Der NDR Redakteur Jan Ehlert applaudiert der Schriftstellerin Claire Keegan auf einem Podium. © NDR Foto: Jens Büchsenmann
Der NDR Redakteur Jan Ehlert applaudiert der Schriftstellerin Claire Keegan auf einem Podium. © NDR Foto: Jens Büchsenmann
Der NDR Redakteur Jan Ehlert applaudiert der Schriftstellerin Claire Keegan auf einem Podium. © NDR Foto: Jens Büchsenmann
AUDIO: Siegfried-Lenz Preisträgerin Claire Keegan bei "Der Norden liest" (4 Min)

Siegfried-Lenz-Preisträgerin Claire Keegan bei "Der Norden liest"

Stand: 03.10.2024 07:54 Uhr

Die Lesung im Rolf-Liebermann-Studio des NDR in Hamburg bot die seltene Gelegenheit, die irische Schriftstellerin Claire Keegan kennenzulernen. Am Freitag bekommt sie im Hamburger Rathaus den Siegfried-Lenz-Preis verliehen.

von Jens Büchsenmann

Fast zwei Stunden hing das Publikum an ihren Lippen. Wohl kaum einer hatte sie, die sich so rar macht, erlebt bei einer Lesung. Aber fast jeder im Saal kannte die wenigen, sehr kurzen Romane und Erzählungen der irischen Autorin, und alle wollten wissen, wie sie das schafft, so packend, so intensiv, so zu Herzen gehend zu schreiben - mit so wenig Text. Diese Knappheit schien auch für Claire Keegans Antworten zu gelten. "Ich versuche nicht, so kurz wie möglich zu sein", sagte sie. "Ich versuche nur, die richtige Länge zu finden."

Claire Keegan hadert mit jedem Wort

Die Geschichten der irischen Autorin sind zumeist Erzählungen oder kurze Romane von kaum 100 Seiten, und doch haben sie eine solche Intensität, eine solche Wucht, dass schon zwei von ihren Geschichten zu abendfüllenden Kinofilmen wurden. Die Filmtitel sind: "Small Things Like These" und "Das Stille Mädchen". Bei der Lesung beschrieb sie, wie sehr sie mit jedem Wort hadert, ihre kurzen Erzählungen immer wieder, bis zu 30 Mal, oder noch häufiger überarbeitet. Immer geht es darin um die Situation von Frauen in Irland, drangsaliert von der katholischen Kirche, oder gefangen in einer Ehe.

Erzählung mit spöttischem Unterton

Es geht um Liebe und Mitgefühl, die man in jungen Jahren erlebt haben sollte - von liebevollen Eltern. In ihrer gerade erschienen Erzählung "Reichlich spät" hat der junge Ire Carl genau das nie erfahren. Er macht seiner französischen Freundin, die ihm gerade einen Kuchen gebacken hatte, bei einem Glas Beaujolais einen unbeholfenen Heiratsantrag. Die Freundin antwortet mit einem kühlen Lachen. Claire Keegan las das mit bitterem Spott, der den Ton dieser außergewöhnlichen Autorin ausmacht.

Keine Freundin kryptischer Geschichten

Die Klarheit der Texte nannten ihre Leserinnen und Leser immer wieder als ihre besondere Qualität. Im Gespräch mit Jan Ehlert erzählte die Schriftstellerin, warum diese Klarheit ihr wichtig ist. "Sie liest sehr langsam mit der Geschwindigkeit einer Schnecke und deswegen ist es für sie umso wichtiger, dass das, was sie liest, Sinn ergibt, dass es zusammenhängt", übersetzte der NDR Redakteur ihre Antwort. Sie sei keine Freundin von besonders kryptischen Geschichten, die man sich erst selber erklären müsse. Ihr gehe es darum, dass sich das, was auf den Seiten geschieht, logisch erschließe. "Für sie ist die Körperlichkeit das ganz Entscheidende. Alles andere ergibt sich daraus. Wenn sie weiß, wie sich ein Mensch fühlt, wenn sie weiß, wie sich ein Mensch in bestimmten Situationen körperlich verhält, dann folgt der Rest daraus", übersetzt Ehlert.

"Klar, pur, authentisch und überraschend"

Claire Keegan ist damit eine mehr als würdige Trägerin des Siegfried-Lenz-Preises. Und auch das Publikum hatte daran keinen Zweifel. Eine Besucherin bezeichnet Keegan als eine gute Autorin, die die Lesenden fesselt und der es außerdem gelingt, bei der Lesung unterhaltsam zu sein und an das Werk heranzuführen. "Das hat sie sehr gut gemacht. Das hat mich sehr beeindruckt," sagte die Besucherin. Einer anderen Leserin gefällt der Schreibstil. "Claire Keegan ist einfach so klar, pur, authentisch und überraschend - und dann hat sie gesagt, ihre Geschichten sind nicht kurz, sondern sie sind so lang, wie sie sein müssen, um das auszudrücken was sie ausdrücken möchte. Das hat mir gefallen."

Lesung nachhören bei NDR Kultur

Sie können die vollständige Lesung nachhören bei uns, bei NDR Kultur, in der Sendung "Das Sonntagsstudio" am 08. Dezember. Am Freitag erhält Claire Keegan den mit 50.000 Euro dotierten Siegfried-Lenz-Preis im Hamburger Rathaus. Die Laudatio hält die Dramatikerin und Literaturkritikerin Laura de Weck.

Weitere Informationen
Caroline Wahl © Frederike Wetzels Foto: Frederike Wetzels

"Der Norden liest" - Alle Termine im Überblick

In der Reihe "Der Norden liest" präsentieren das Sonntagsstudio und NDR Kultur - Das Journal renommierte Autoren und Newcomer der Buchszene. Hier die kommenden Termine und alle Infos zur Herbsttour im Überblick. mehr

Siegfried Lenz im Jahr 2011 © picture alliance / Fabian Bimmer/dpa Foto: Fabian Bimmer

Siegfried Lenz: Erfolgreich über den Tod hinaus

Siegfried Lenz zählt zu den bedeutendsten Autoren der Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur. Posthum erlangte er erneuten Ruhm. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 03.10.2024 | 08:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Romane

Ein Latte Macchiato, eine Brille und eine Kerze liegen auf einem Buch © picture alliance / Zoonar | Oleksandr Latkun

Bücher 2024: Das waren die interessantesten Neuerscheinungen

Unter anderem gab es Neues von Martina Hefter, Frank Schätzing, Markus Thielemann, Isabel Bogdan oder Lucy Fricke. mehr

Logo vom NDR Kultur Podcast "eat.READ.sleep" © NDR Foto: Sinje Hasheider

eat.READ.sleep. Bücher für dich

Lieblingsbücher, Neuerscheinungen, Bestseller – wir geben Tipps und Orientierung. Außerdem: Interviews mit Büchermenschen, Fun Facts und eine literarische Vorspeise. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Bäume mit aufgehendem Mond in melancholischer, winterlicher Landschaft. © picture alliance / imageBROKER Foto:  Willi Rolfe

Nächte, die es nicht gibt: Raunächte zwischen den Jahren

In den Nächten zwischen Heiligabend und dem Dreikönigstag scheint die Zeit still zu stehen. Was bedeuten die Raunächte? mehr