Bildschöne Bücher: Karl Blossfeldts sinnliche Pflanzen-Fotografien
Vor knapp 100 Jahren kamen die legendären Pflanzen-Fotografien des deutschen Bildhauers Karl Blossfeldt erstmals in gedruckter Form auf den Markt. Nun ist im Taschen Verlag ein Bildband erschienen, der alle bisher veröffentlichten Fotografien von Blossfeldt vereint.
Der Winter-Schachtelhalm treibt seinen jungen Spross der Sonne entgegen. Die Stängel erinnern an Manhattans Hochhäuser und den schiefen Turm von Pisa. Farne versuchen sich aus ihren kunstvoll eingerollten Schneckenformationen zu entwinden. Eine Pflanze ohne Namen - "sine nomine" - scheint geradezu fürs Bild zu posieren: Oder ist dies ein indigenes Volk mit pompösem Kopfschmuck und freudig in die Luft gestreckten Armen?
Feine Härchen, galante Röckchen, kelchförmige Knospen, knorrige Verzweigungen, bis in die äußersten Spitzen geschwungene Blätter "en detail": Wunderwerke der Natur.
Blossfeldt fotografierte mit selbstgebauter Holzkamera
Karl Blossfeldt wusste um diese sprießende Kunst: Auf seinen nüchternen Lichtbildern in Schwarz-Weiß wirken die Stiele und Stacheln, die Blütendolde und Bommel, besonders poetisch. Die Fotografien sind sachlich und doch sinnlich.
Die Blüte der Akelei könnte auch ein Köcher mit Flügeln und mehreren Pfeilen sein, der Elbenwelt von Mittelerde entsprungen. Der Schuppenkopf erinnert an ein flauschiges Mikrofon. Der blühende Teil des Silbersalbeis türmt sich wie ein mehrstufiger Springbrunnen auf. Und das verwelkte Samenköpfchen der Tauben-Skabiose hat mit den kleinen, aneinandergereihten Fächern, den spitzen Stacheln und dem schmal-blättrigen Kragen einen geradezu divenhaften Auftritt.
"Das Unüberschaubare, Überbordende der Natur hat Blossfeldt zu einer Darstellung des isolierten Pflanzenindividuums in asketischer, auf grafische Weise überzeugender Strenge geführt, die sein Werk im Vergleich zu allem auszeichnet, was vor und nach ihm an künstlerischer Leistung auf dem Gebiet der Pflanzenfotografie vollbracht wurde", heißt es im Bildband. Dabei sah Blossfeldt sich selbst gar nicht als Fotograf. Er benutzte für seine Aufnahmen eine selbstgebaute Holzkamera. Die Lichtbilder fertigte er für seinen Zeichenunterricht an der heutigen Hochschule der Künste in Berlin an.
Immer auf der Suche nach Pflanzen
Insgesamt hat Blossfeldt wohl um die 6.000 Pflanzen-Fotografien gemacht. Erst ein Bruchteil ist bis heute aufgearbeitet. Auch von Blossfeldt selbst ist ein Foto abgedruckt - wie er lässig dasteht, zwischen den hohen Gräsern, buschiger Schnauzer, Vollbart. Der locker anliegende Anzug mit Hemd, Weste und Sakko: Dandy-like.
Karl Blossfeldt, geboren 1865 in Schielo im Unterharz, absolvierte eine Lehre in einer Kunstgießerei, reiste durch Italien, Griechenland, Nordafrika - immer auf der Suche nach Pflanzen. Dabei interessierten ihn vor allem jene, die am Wegesrand wuchsen, an Bahndämmen - "proletarischen" Orten, wie er selbst sagte.
Kürbisstängel, die wie Griffe einer Karaffe aussehen. Die Zweigspitzen der Rosskastanie scheinen verdutzte Gesichter zu haben und tragen eine Mitra, Bischöfen gleich.
Karl Blossfeldts Ziel: "Die Verbindung mit der Natur wiederherzustellen"
Blossfeldts Werk habe ihn zwei völlig gegensätzlichen Kunstrichtungen nahegebracht, schreibt der Autor und Fotograf Hans Christian Adam im Vorwort: der Neuen Sachlichkeit und dem Surrealismus. Ein erstaunlicher Gedanke - und so wahr! Blossfeldt selbst war das ziemlich sicher schnuppe. Er wollte vor allem eines: "Meine Pflanzenurkunden sollen dazu beitragen, die Verbindung mit der Natur wiederherzustellen. Sie sollen den Sinn für die Natur wieder wecken, auf den überreichen Formenschatz in der Natur hinweisen und zu eigener Beobachtung unserer heimischen Pflanzenwelt anregen."
Karl Blossfeldt: The Complete Published Work
- Seitenzahl:
- 512 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Taschen
- Bestellnummer:
- 978-3-8365-9851-4
- Preis:
- 25 €