Früher Twitter jetzt "X": Kaum noch norddeutsche Kulturinstitutionen aktiv
Twitter war mal eine innovative Kurznachrichten-Plattform, auf der nicht nur diskutiert wurde, sondern auch fleißig experimentiert. Seit dem Kauf von Elon Musk hat sich der Ton auf der Plattform verändert. Wie hält es die norddeutsche Kultur mit X?
Die Alarmglocken schrillten bei einigen norddeutschen Kulturinstitutionen schnell, nachdem im Oktober 2022 Elon Musk Twitter übernommen hatte. Konsequenzen hat daraus das Schauspiel Hannover gezogen: Bereits im Januar 2023 hat sich das Staatstheater komplett von der Plattform zurückgezogen. Das Twitter-Profil ist gelöscht. So konsequent räumen nicht alle ihre Accounts ab, auch wenn sie diese nicht länger bespielen. So findet man noch das Philharmonische Staatsorchester Hamburg bei X, aber das Profil ist seit Sommer 2023 nicht mehr aktiv. Die Staatsoper Hamburg hat ihre Aktivität auf X im Oktober 2023 eingefroren, erklärt Michael Klaffke, Referent für Online-Kommunikation, "weil sich damals schon stark abgezeichnet hat, dass diese Plattform sich auf dem rechten Spektrum einzuordnen scheint. Auch Elon Musk selbst als öffentlichkeitswirksame Galionsfigur der Plattform war ein Grund für uns, weil er dort offen menschenverachtend auftrat. Das hatte alles ein entdemokratisierendes Geschmäckle, bei dem wir uns nicht mehr wohl fühlten zu sein."
Auffällig ist, dass vor allem große Kulturinstitutionen in Hamburg nach und nach ihre Aktivitäten auf X eingestellt haben - oder sie sind kurz davor, ihr Profil ganz zu löschen. Die meisten größeren Kulturinstitutionen in Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein bespielen viel lieber Facebook und Instagram, oft auch YouTube.
Hamburger Kulturinstitutionen ziehen sich nach und nach zurück
Das Hamburger Schauspielhaus hat sich komplett verabschiedet. Das Thalia Theater schweigt auf X seit Dezember 2023, die Hamburger Kunsthalle seit Mai, das Hamburg Ballett seit Sommer. Das Kulturzentrum Kampnagel schleicht sich nach ohnehin reduzierter Aktivität jetzt endgültig raus. Mitte November hat schließlich auch das Team der Elbphilharmonie verkündet, dass es sein X-Profil nicht mehr länger aktiv betreiben wird. Dem Profil waren immerhin mehr als 24.000 Follower verbunden.
Es ist offenbar ein Prozess, bis sich Institutionen zum Handeln entschließen. So war es auch an der Staatsoper Hamburg, berichtet Online-Referent Michael Klaffke. Dass Elon Musk die Hälfte der Belegschaft von Twitter bei Übernahme feuerte, war eines von vielen Warnsignalen. "Wenn man eine Entwicklung in Echtzeit begleitet, ist sie erst einmal noch ergebnisoffen", erklärt Klaffke. "Im Nachhinein weiß man, wie es sich entwickelt hat und dass der Schritt richtig war. Das kann man erst dann zusammen puzzeln. Versprechungen waren groß, es sollte ein 'Paradies-Netzwerk' werden - es war unklar, dass es eine Propagandamaschine werden sollte."
Sporadische Nutzung von X als internationale Kommunikationsmöglichkeit
Dafür ist die Liste der norddeutschen Kulturinstitutionen, die noch nie ein Profil auf Twitter beziehungsweise X hatten, sehr lang. Auf eine Anfrage zu X per Mail antwortet etwa Carolin Löher vom Literaturhaus Hamburg, dass ihre Institution "zum Glück" noch nie auf dieser Plattform gewesen sei. Daneben gibt es auf X eine Reihe von "Karteileichen": Die Gezeitenkonzerte in Ostfriesland oder auch das Theater Osnabrück bespielen ihre Profile bereits seit 2018 nicht mehr. Auch die NordArt in Büdelsdorf bei Rendsburg hat ihren X-Auftritt seit Anfang des Jahres nicht mehr genutzt.
Ihr Profil ganz abgeräumt haben die KunstFestSpiele Herrenhausen. Die Kunsthalle Emden bespielt X noch sporadisch, hat aber auf ihrer Website schon länger keine Verlinkung mehr dorthin. Noch sei der Kanal eine Kontakt-Möglichkeit zu Medien, anderen Kulturinstitutionen und den Gästen aus den Niederlanden, sagt Pressesprecherin Ilka Erdwiens. Auch die Lübecker Museen nutzen X noch als Verbindung zur internationalen Wissenschaftsszene.
Möglicher Umzug zu alternativen Kurznachrichtendiensten
Der Reiz eines Kurznachrichtendienstes scheint für Norddeutschlands Kulturszene überschaubar - sei es Bluesky, Mastodon oder Threads, sagt Michael Klaffke: "Auf jeden Fall beobachten wir dieses breite Repertoire an Twitter- oder X-Nachfolger-Plattformen. Wir haben auch selbst einen Threads-Account. Bisher hat keine Plattform die Lücke gefüllt, die die Alte hinterlassen hat. Jede Plattform ist ein bisschen anders, hat einen anderen Fokus und auch nicht diese breite Abdeckung wie sie Twitter und X hatten. Für uns ist dieses Grundprinzip niemals so essenziell gewesen wie die anderen Plattformen, mit denen wir unsere Besucher:innen erreichen können. Deshalb ist es für uns nicht zwingend notwendig, einen Twitter-Nachfolger zu bedienen. Mal sehen, was sich hervortut, was uns passt und sich durchzusetzen erscheint. Dann können wir erwägen, ob wir dort einen neuen Account machen." Die Elbphilharmonie ist umgezogen - und hat ihre Zelte jetzt auf Bluesky aufgeschlagen.