Destroy Kapitalismus - Eva von Redecker über den Zeitgeist
Die Folgen des Klimawandels bedrohen unsere Erde. Trotzdem hat der Kapitalismus keine passenden Werkzeuge dagegen, sagt die aus Schleswig-Holstein stammende Philosophin Eva von Redecker.
In ihrem Buch "Bleibefreiheit" hat Eva von Redecker eine Freiheitstheorie entwickelt, die sich mit dem Klimawandel auseinandersetzt. Sie stellt darin unseren liberalen Freiheitsbegriff in Frage. Denn wenn die Freiheit des Einzelnen eine Gefahr für alle bedeutet, stößt diese Form von Gesellschaft ihrer Ansicht nach an ihre Grenzen. Freiheit muss für sie auch bedeuten, nachfolgende Generationen mitzudenken.
Im Gespräch analysiert die Philosophin auch das zunehmende Erstarken autoritärer Systeme. Die Unzufriedenheit vieler Menschen über eine veränderte und unübersichtliche Welt führe zu dem Bedürfnis, Flüchtlingen die Schuld am eigenen Frust zu geben. Der Staat werde dabei immer stärker als nicht mehr handlungsfähig erlebt.
Frau von Redecker, was ist eigentlich gerade mit der Menschheit los? Wir haben ganz viele Probleme mit dem Klimawandel, einen Hitzerekord nach dem anderen, Starkregen, Dürre, Überschwemmungen. Man das Gefühl, wir machen weiter, als wäre nichts geschehen.
Eva von Redecker: Die Menschheit macht ihre eigene Erde zu einem immer schwerer bewohnbaren Ort. Ich glaube nicht, dass sie demnächst unbewohnbar wird oder dass wir auf so eine Art Exodus zusteuern, wo dann einfach alle Lichter ausgehen. Aber gerade darum ist es so wahnsinnig wichtig, was jetzt passiert und was nicht passiert. Man könnte sagen, dass wir in einer Art Schockstarre stecken über die Erkenntnis eine Macht zu haben, von der man in einem Märchen glaubt, dass nur Hexen das könnten: Wetter machen. Wir merken, dass es sogar eine menschliche Kraft ist, Klima zu machen - aber keine Kraft, die wir bewusst je eingesetzt hätten. Das ist eben, während diese ganze Fossil-Verbrennung stattgefunden hat, zu ganz anderen Zwecken passiert: Wohlstandsanstieg und so weiter. Ich glaube, wir stehen wie Kaninchen vor dieser Schlange - einer Macht, die wir, natürlich nicht alle zu gleichen Teilen und überwiegend nicht bewusst, in die Welt gesetzt haben.
Destroy-Mentalität trifft es aber vielleicht insofern, als zumindest für die letzten Jahrzehnte gilt, was für die 200 Jahre Industrialisierung davor nicht galt: Dass wir zumindest wissen können, was wir tun. Trotzdem ist das ja keine Zerstörung, wo man den Hammer selber in der Hand hat. Es ist ein Gemetzel, was zeitlich und räumlich ausgelagert ist. Deswegen sind wir gewissermaßen ein Kaninchen vor einer Schlange, die uns aber gar nicht gegenüber ist, wie das Kaninchen bei "Alice im Wunderland" mit der Uhr, das sagt, es gäbe keine Zeit mehr. Aber es ist eigentlich noch schlimmer: Wir haben nicht nur keine Zeit und es passiert nicht das Richtige, sondern es geht die ganze Zeit rasant weiter in die falsche Richtung, wenn man auf den CO2-Ausstoß guckt.
Es wirkt ein bisschen so, als hätten wir keine Werkzeuge gelernt und als ob das System, in dem wir leben, der Kapitalismus, bei dieser Art Krise nicht greift.
von Redecker: Nein, das kann nicht reagieren, weil es wirklich seinen Kern ändern müsste. Natürlich kann sich der Kapitalismus an ganz viele Sachen anpassen, aber er kann nicht aufhören, wachsen zu wollen, und er kann nicht aufhören, sich an Profit zu orientieren. Meinetwegen können wir es dann weiter "Kapitalismus" nennen, wenn das irgendeinen beruhigt, aber es ist dann ein anderes System. Und angesichts dessen ist diese Starre nicht einfach eine von überforderten Einzelnen, sondern die Starre eines überforderten Systems.
Das Gespräch führte Verena Gonsch. Das komplette Interview hören Sie oben auf dieser Seite - und in der ARD Audiothek.