Hand in Hand: Bau-Hof bietet Kindern eine Alternative zum Smartphone
Kinder gehören an die frische Luft, sagt Sozialpädagogin Dani Marchthaler im Interview mit NDR.de. Sie erlebt auf dem Bau-Hof, wie wichtig dabei "elternfreie" und selbstbestimmte Räume für Kinder sind.
Dani Marchthaler hat das Kinder- und Jugendzentrum "Der Bau-Hof" in Wunstorf (Region Hannover) vor knapp 30 Jahren mit vielen Mitwirkenden aufgebaut. Die Idee: Ein offenes Angebot zu schaffen, bei dem jedes Kind willkommen ist, ganz viel draußen in Bewegung sein kann und viele Möglichkeiten hat, eigene Ideen umzusetzen. 80 bis 150 Kinder und Jugendliche nutzen das Gelände täglich. Immer nachmittags und je nach Wetter und Jahreszeit. Es gibt einen BMX-Parcours, einen Fußballplatz, einen Hoch- und Niedrigseilgarten, eine Kletterhalle, einen Matsch-Spielplatz, einen Hüttenbaubereich, eine Kreativwerkstatt, eine große Küche, sieben Pferde und Hühner, Meerschweinchen, Kaninchen und Schafe. NDR.de stellt das Projekt im Rahmen der Benefizaktion "Hand in Hand für Norddeutschland" vor.
Frau Marchthaler, warum braucht es einen solchen Ort im ländlichen Wunstorf überhaupt?
Dani Marchthaler: Vor knapp 30 Jahren habe ich schon gedacht: Es ist wichtig, dass Kinder in Bewegung kommen und draußen Plätze finden, an denen sie sich selbst ausprobieren können. Heute, nach Corona und mit einer stark digitalisierten Kindheit, denke ich, wir benötigen diese Räume und Plätze noch viel dringender. Wir haben heutzutage so wenig Räume für Kinder ohne thematische Einschränkung. Um einfach mal zu gucken, was gerade das eigene Interesse ist, ohne Anmeldung, ohne Zeitbegrenzung und ohne Mitgliedschaft. Viele Kinder sitzen zu Hause nur indoor, oft lange am Smartphone. Das hat auch teilweise etwas mit der Angst von Eltern zu tun - wir leben dicht bebaut und es gibt viel Verkehr. Kinder haben häufig wenig Ideen, was sie gemeinsam draußen mit anderen Kindern machen könnten. Kinder benötigen jedoch für ihre motorische, kognitive und soziale Entwicklung viel freies Spiel draußen mit Gleichaltrigen. Sie lernen im Spiel kreativ, selbstständig und selbstwirksam zu sein. Sich häufig digital allein zu Hause zu beschäftigen, macht einsam und reduziert die Chancen für ein gesundes Aufwachsen von Kindern.
Was heißt das konkret für Ihre Arbeit?
Marchthaler: Das heißt für uns hier: Grundschüler*innen sollen ihr Handy zu Hause lassen. Noch besser ist, sie haben noch kein eigenes Handy. Bei Kindern, die in der weiterführenden Schule sind, sagen wir natürlich schon, dass sie mal aufs Handy gucken können, weil die digitale Welt heute einfach zur Lebenswelt von Jugendlichen gehört. Aber auch Jugendliche brauchen Alternativen zum Digitalen. Das Digitale bringt schnell und einfach Erfolgserlebnisse. Ich kann oft bestimmen, was passiert oder ich gestalte das digitale Geschehen nach meinen Vorstellungen. Alles funktioniert immer so, wie ich es haben will. Im realen Leben und im Kontakt mit anderen ist das nicht so.
Wie merken Sie das im Kontakt mit Kindern?
Marchthaler: Die Frustrationstoleranz ist bei einigen sehr gering und viele Kinder haben kaum noch Geduld. Alles muss mittlerweile schnell und sofort gehen. Das geht so weit, dass sie auch körperliche Gewalt anwenden, wenn etwas nicht nach den eigenen Vorstellungen funktioniert. Bei Kindern entsteht Frust, dass andere Menschen nicht automatisch per Knopfdruck das tun, was sie gerne möchten. Im realen Leben muss ich mich arrangieren. Plötzlich muss ich die Bedürfnisse des anderen wahrnehmen und vielleicht meine eigenen zurückstecken.
Welche Rolle spielen die Eltern dabei?
Marchthaler: Wir haben das Diskussionsthema auch mit den Eltern, weil viele Erziehungsberechtigte glauben, dass es wichtig ist, dass ihre Kinder immer erreichbar sind. Viele Grundschulkinder haben deswegen schon eine Smartwatch oder ein Smartphone. Wir raten den Eltern von dieser Anschaffung ab und beraten sie gerne, wie sie ihr Kind sinnvoll an die digitalen Möglichkeiten heranführen können.
Macht das auch etwas mit den Kindern?
Marchthaler: Es erzeugt für viele Kinder sehr viel Stress, weil sie Angst haben, einen Anruf oder eine Nachricht zu verpassen. Manche Kinder können sich deshalb auch weniger intensiv auf das Spielen mit anderen Kindern einlassen. Außerdem gehen sie teilweise Konflikten aus dem Weg beziehungsweise lösen sie mit Hilfe ihrer Eltern am Smartphone. Beides wirkt sich negativ auf die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern aus und sie werden dadurch weniger eigenständig und selbstsicher. Aus meiner Sicht eine nachteilige Entwicklung. Aus diesen Gründen ist es uns wirklich wichtig, dass hier ein Ort ist, wo Smartphones eben nicht das Mittel der Wahl sind. Es geht darum, Probleme möglichst selbst zu lösen. Unsere Aufgabe als Fachkräfte ist es, Kinder dabei zu unterstützen, aber auch Räume zu geben, in denen sie sich selbst ausprobieren können. Räume, wo Kinder sich treffen können und miteinander in Kontakt kommen. Auch Konflikte gehören dabei dazu und damit die Möglichkeit, hierfür Lösungsstrategien zu erlernen. Das war vor 30 Jahren so und gilt heute noch viel mehr.
Das Interview führte Anja Datan-Grajewski, NDR.de