Heinrich Wöhlk: Die schmerzhafte Erfindung der Kontaktlinse

Stand: 28.08.2024 14:30 Uhr

Der Kieler Konstrukteur Heinrich Wöhlk war selbst stark weitsichtig. Um endlich ohne dicke Brillengläser Sport treiben zu können, hat er in den 1940er-Jahren - unter allerhand eigener Schmerzen - die Kontaktlinse erfunden.

von Cornelius Kob

Viele Erfinder ließen sich von äußeren Ereignissen oder Gegebenheiten inspirieren - wie zum Beispiel der Konstrukteur des ersten Echolots, Alexander Behm, durch den Untergang der "Titanic". Bei der Erfindung der Kontaktlinse spielte die körperliche Einschränkung eines Einzelnen die entscheidende Rolle: Heinrich Wöhlk, geboren am 9. April 1913 in Kiel, war sehr stark weitsichtig.

Gelitten unter "Nickelbrille, die sehr hässlich war"

Heinrich Wöhlk mit Brille im Jahr 1936- © Wöhlk Contactlinsen GmbH
Von Heinrich Wöhlk mit Brille gibt es nur wenige Fotos: Er fand sie nicht nur zu schwer, sondern auch äußerst hässlich.

Mehr als acht Dioptrien hatten die dicken Gläser seiner Brille. Sie war aber nicht nur dick, sondern auch sehr schwer, denn in den 1920er-Jahren gab noch keine leichten Kunststoffgläser. Doch nicht nur darum hat er sie gehasst: "Schon als Junge von zehn Jahren trug ich eine starke Nickelbrille, die sehr hässlich war", erinnerte er sich einst. Später im Berufsleben hätten sich seine Werte weiter verschlechtert, sodass seine Brille noch dicker wurde "und immer hässlich war". Ohne Sehhilfe allerdings konnte Wöhlk vor allem Gegenstände in der Nähe nur unscharf wahrnehmen - Schwimmen und andere Sportarten waren für ihn schon als Kind nur schwer möglich.

Aus der Not wird eine Idee

Zwar gab es in den 20er-Jahren schon Linsen. Sie waren aus Glas oder aus Zelluloid und bedeckten das gesamte Auge. Aber länger als eine halbe Stunde konnte man sie nicht tragen. 1936 probierte Heinrich Wöhlk mit 23 Jahren diese sogenannten Sklerallinsen aus. Viel besser sehen konnte er mit ihnen nicht und musste sie schon nach kurzer Zeit wieder herausnehmen, weil sie starke Schmerzen verursachten. Aber die Idee an sich begeisterte ihn. Von diesem Moment an widmete er sich der Weiterentwicklung der Kontaktlinse.

Kompakt: Heinrich Wöhlk und die Kontaktlinse

Auf der Suche nach der perfekten Kontaktlinse

Heinrich Wöhlk bei einem Kontrollvorgang während der Produktion von Kontaktlinsen, undatierte Aufnahme. © Wöhlk Contactlinsen GmbH
Bis Heinrich Wöhlk mit seiner ersten kleinen und gut tragbaren Kontaktlinse zufrieden war, hatten ihm seine eigenen Augen jahrelang als Versuchsobjekte gedient.

Zu jener Zeit arbeitete Wöhlk als Maschinen-Konstrukteur in der Kieler Firma Anschütz, die Kreiselkompasse produzierte. Seine Kollegen sahen ihn morgens oft mit blutunterlaufenen Augen an der Werkbank stehen. Was sie nicht wussten: Heinrich Wöhlk nutzte seine Kenntnisse der Feinmechanik, um in Eigenarbeit Linsen herzustellen, die speziell an seine Augen angepasst waren. Dafür benötigte er genaue Abdrücke seiner Augen. Was heute möglich ist - Augen berührungslos, einfach und äußerst genau zu vermessen - war damals undenkbar.

Mit Selbstversuchen zum Ziel

Heinrich Wöhlk an einer Apparatur zur Herstellung von Kontaktlinsen, undatierte Aufnahme. © Wöhlk Contactlinsen GmbH
Bis kurz vor seinem Tod im Dezember 1991 war Heinrich Wöhlk auch stets selber in seiner Firma präsent.

Wie konnte er also die Linsenform seiner exakten Augenform anpassen? Heinrich Wöhlk hatte eine Idee: Er rollte sehr dünne Wachsplättchen aus, die er auf seinen Augapfel legte. Dann erwärmte er die Augen mit einer Wärmelampe, das Wachs wurde weich und passte sich der Augenform an. Um es dann schnell auszuhärten, tauchte er seinen Kopf gleich darauf in Eiswasser. Die Wachsplättchen wurden sofort hart und er hatte einen Abdruck. Allerdings zerbrachen sie häufig beim Herausnehmen, sodass Wöhlk den mühsamen Vorgang mehrmals wiederholen musste, um brauchbare Vorlagen zu bekommen. Endlich hatte er gute Abdrücke beisammen und fertigte die ersten eigenen Kontaktlinsen an, die aber immer noch genauso aussahen wie die bis dahin bekannten.

Die entscheidende Idee: Weniger ist mehr

Heinrich Wöhlk an einer Spritzgießmaschine, undatierte Aufnahme. © Wöhlk Contactlinsen GmbH
1940 gelang es Wöhlk erstmals, eine Skleralschale aus Plexiglas herzustellen. Später übernahmen selbstgebaute Maschinen Teile der Produktion.

Für seine Kontaktlinsen verwendete Wöhlk Plexiglas. Seine Linsen waren zwar besser als die bisherigen, aber auch sie konnte man nicht lange auf dem Auge behalten. Um dieses Problem zu lösen, kam Heinrich Wöhlk auf die Idee, den mittleren Teil, der auf der Iris sitzt, herauszuschneiden. Denn nur dieser Teil war ja für die Verbesserung des Sehens notwendig. Aber würde eine so viel kleinere Linse auch auf dem Auge halten? Wöhlk schliff die Ränder dieser kleinen Linse sorgfältig, rundete sie ab, setzte sie ins Auge und merkte sofort: Das war die entscheidende Idee. Diese Linse mit einem Durchmesser von gerade einmal zwölf Millimetern konnte er stundenlang tragen und gut damit sehen. Klein, wie sie war, bewegte sie sich frei mit der Tränenflüssigkeit auf dem Auge mit und das Auge war gut mit Sauerstoff versorgt.

Mehr als zehn Jahre hatte Heinrich Wöhlk an dieser Erfindung gearbeitet und getüftelt. Endlich konnte er zum Beispiel Sport treiben wie jeder andere. Auf dem Platz hinter seinem Wohnhaus konnte man ihn nun an einer Reckstange beobachten, wie er eine Riesenwelle nach der anderen machte.

Wöhlk Contactlinsen: Vom Wohnzimmer-Labor zur Weltfirma

Das frühe Team von Wöhlk Contactlinsen, undatierte Aufnahme. © Wöhlk Contactlinsen GmbH
In den 60er-Jahren bauten Wöhlk und seine Mitarbeiter die Fertigung im Ladengeschäft aus. 1971 folgte der Umzug ins Werk in Schönkirchen.

Außerdem sah Wöhlk jetzt die Möglichkeit, mit seiner Erfindung Geld zu verdienen. 1947 gründete er die Wöhlk Contactlinsen GmbH, in seiner Wohnung entstand die erste kleine Fertigung. Die ersten Fertigungsmaschinen baute Wöhlk selbst und verkaufte die neuartigen Linsen an Optiker. Die Eintragung eines Patents scheiterte an dem notwendigen Geld für den Anwalt - in der Nachkriegszeit waren die Einkünfte noch gering -, aber Heinrich Wöhlk kam auch ohne Patent klar. In einer ausgebombten Kieler Wohnung eröffnete er 1949 sein erstes Ladengeschäft, Anfang der 60er-Jahre folgt der Wechsel in ein großes Ladengeschäft in der Kieler Innenstadt, ab den 70er-Jahren findet die Fertigung in einer neuen Fabrik in Schönkirchen statt.

Weiche Linse und Bundesverdienstkreuz

Heinrich Wöhlk wurde 1978 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. © Wöhlk Contactlinsen GmbH
Seine Erfindung hat Millionen Menschen das Leben leichter gemacht. 1978 wurde Heinrich Wöhlk mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Von nun an eroberten die modernen Kontaktlinsen die Welt. Weitere Verbesserungen folgten. In den 70ern entstanden bei Wöhlk die ersten weichen Kontaktlinsen aus speziellen flexiblen Kunststoffen. Geforscht und produziert wird bei der Firma Wöhlk Contactlinsen in Schönkirchen bei Kiel noch immer. Inzwischen gibt es sogar Linsen, die wie Gleitsichtgläser in Brillen funktionieren und die Nah- und die Fernsicht gleichzeitig verbessern. Und das können Kontaktlinsen sogar noch besser als Brillengläser, weil sie direkt auf dem Auge sitzen.

Millionen Menschen tragen heute Kontaktlinsen. Ihr Erfinder ist Heinrich Wöhlk, der Junge mit der dicken Brille und einem Traum: Einmal auch ohne Brille gut sehen - und aussehen - zu können.

Heinrich Wöhlk starb am 23. Dezember 1991 in Schönkirchen im Kreis Plön.

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