Erster Todestag des Holocaust-Überlebenden Guy Stern
Bis ins hohe Alter hielt der Autor und Holocaust-Überlebende Guy Stern Vorträge über die Demokratie. Der in Hildesheim geborene Stern starb am 7. Dezember 2023 im Alter von 101 Jahren in Detroit (USA).
Guy Stern wurde am 14. Januar 1922 in Hildesheim unter dem Vornamen Günter als Kind einer jüdischen Familie geboren. Mit 15 Jahren floh er 1937 zu einem Onkel in die USA, seine Familie konnte nicht nachkommen. Seine Eltern und zwei Geschwister wurden in das Warschauer Ghetto deportiert und von den Nationalsozialisten ermordet. Während des Zweiten Weltkriegs war Stern Teil des Nachrichtendienstes der US-amerikanischen Armee. Er gehörte zu einer Spezialeinheit, die in Europa von 1944 bis Kriegsende deutsche Kriegsgefangene verhörte.
Vorträge bis ins hohe Alter gehalten
Nach dem Krieg studierte Stern Romanistik und Germanistik. Er lehrte als Professor an zahlreichen amerikanischen und deutschen Universitäten. Seit seiner Emeritierung 2002 war er Direktor des Instituts für Altruismusforschung am Holocaust-Museum in Detroit.
Außerdem veröffentliche Stern Bücher und Sammelwerke. Er war zudem Mitbegründer der Lessing Society, Vize-Präsident der Kurt Weill Foundation for Music und Präsident des PEN Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland.
Als Zeitzeuge und Wissenschaftler thematisierte er bei Vorträgen und Lesungen die NS-Zeit und kritisierte immer wieder Nationalismus und rechtspopulistische Bestrebungen. Bis ins hohe Alter hielt Stern Vorträge als Streiter für die Demokratie.
Preisgekrönter Wissenschaftler
Der Wissenschaftler erhielt zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland, die Goethe-Medaille und die Ehrenbürgerschaft von Hildesheim. Er war mit der deutschen Schriftstellerin Susanna Piontek verheiratet und lebte im US-Bundesstaat Michigan.
Stolpersteine zu Ehren Sterns Familie
An Sterns getötete Eltern und Geschwister erinnern seit Anfang 2022 Stolpersteine in Hildesheim. Die Messingtafeln mit den Namen der Ermordeten wurden in den Gehweg vor der letzten Adresse der Familie eingelassen. "Es ist eine sehr schöne Geste - spät kommt sie, doch sie kommt", sagte Stern 2022 dazu. Er selbst habe nach seiner Rettung an "Überlebensschuld" gelitten und sich gefragt: "Alle meine Liebsten tot - aber ich darf weiterleben. Warum? Warum ich? Es muss doch einen Sinn gehabt haben, dass ich davonkam." Er habe deshalb - zunächst unbewusst - versucht, in seinem beruflichen Leben besonders viel zu erreichen.
2023 in Detroit gestorben
Guy Stern starb am 7. Dezember 2023 im Alter von 101 Jahren in Detroit (USA). Neben der Stadt Hildesheim informierte der Berliner Aufbau-Verlag über Sterns Tod. Dort war die Autobiografie des gebürtigen Hildesheimers ("Wir sind nur noch wenige") auf Deutsch erschienen.
Oberbürgermeister Meyer: "Bemerkenswerte Persönlichkeit"
Stern hatte nach Angaben der Stadt Hildesheim auch die Verbindung zu seiner Geburtsstadt wieder neu aufgebaut. Regelmäßig habe er bei Vorträgen und Lesungen dort Einblicke in sein Leben gegeben, so Hildesheims Oberbürgermeister Ingo Meyer (parteilos) 2023. Er würdigte den Ehrenbürger der Stadt als "bemerkenswerte Persönlichkeit und einen äußerst liebenswürdigen Menschen". Er habe seine Gesprächspartner "mit umfangreichem Wissen und Zugewandtheit in den Bann gezogen und dabei mit seinem feinen, geistreichen Humor überrascht und berührt". Sterns Name sei und bleibe eng mit der Erinnerungskultur und der Geschichtsaufarbeitung in Hildesheim verbunden.
Landtagspräsidentin Naber würdigt "unermüdliches Engagement"
Die niedersächsische Landtagspräsidentin Hanna Naber unterstrich Sterns "unermüdliches Engagement für Aufklärung, für Verständigung und gegen Antisemitismus". Sie erinnerte an seine Rede vor dem Landtag im Jahr 2019: "Trotz schmerzhafter Erinnerungen hat Guy Stern den Kontakt nach Deutschland und nach Niedersachsen immer intensiv gepflegt." Mit Sterns Tod habe ein beeindruckendes und vielfältiges Leben sein Ende gefunden.