VIDEO: Chronik: Die Revolution der Matrosen 1918 (2 Min)

Novemberrevolution: Vom Matrosenaufstand zur Weimarer Republik

Stand: 09.11.2023 19:25 Uhr

Am 9. November 1918 endet die letzte deutsche Monarchie, Sozialdemokrat Philipp Scheidemann ruft die Republik aus. Begonnen hat die Revolution mit dem Aufstand von Matrosen in Wilhelmshaven und Kiel.

von Helene Heise

"Die Hochseeflotte erhält die Weisung, baldigst zum Angriff auf die englische Flotte vorzugehen" - diesen Befehl gibt die Marineführung am 24. Oktober 1918 aus. Die in Wilhelmshaven stationierten Schiffe der kaiserlichen deutschen Marine sollen am 29. Oktober auslaufen in eine letzte Schlacht mit der überlegenen Royal Navy. Kurz vor Kreigsende - die Reichsregierung verhandelt bereits mit den Alliierten über einen Waffenstillstand - soll die Flotte in den "ehrenvollen Untergang" geschickt werden.

Deutschlands Heer gibt den Ersten Weltkrieg verloren

Dabei ist der Erste Weltkrieg längst entschieden: Nach endlosem Stellungskampf an der Westfront sind die deutschen Soldaten in den Schützengräben in Frankreich und Belgien erschöpft und kriegsmüde, die Armeeführung muss ihre Stellungen immer weiter zurückziehen. Bereits im Sommer 1918 hat die Oberste Heeresleitung die Situation als aussichtslos erkannt, Ende September fordert sie die Reichsregierung auf, über einen Waffenstillstand zu verhandeln. Die Öffentlichkeit wird von der Nachricht überrascht: Zuvor hatte die Propaganda stets verkündet, dass ein "Siegfrieden" noch immer möglich sei.

Symbol des Weltmachtanspruchs: Die deutsche Flotte

Die Marineoffiziere wollen ihre soldatische Ehre verteidigen. Gerade die Flotte, ganzer Stolz der deutschen Armee, hat nicht zu einer Entscheidung im Krieg beitragen können - meist hatten die Panzerkreuzer und Korvetten im Hafen gelegen. Dabei hatten Wilhelm II. und sein Großadmiral Alfred von Tirpitz die Flotte in bewusster Konkurrenz zur britischen Marine aufgebaut, sie verkörperte wohl am deutlichsten den Weltmachtanspruch des deutschen Kaiserreichs: "Einen Platz an der Sonne" hatte der zu martialischen Gesten neigende Monarch gefordert - Kolonien und einen gleichberechtigten Status neben den Weltmächten England und Frankreich.

Matrosen meutern gegen Himmelfahrtskommando

Doch die einfachen Matrosen wollen nicht für den Ehrenkodex ihrer Offiziere in ein Himmelfahrtskommando auslaufen. Auf den Schlachtschiffen des I. und III. Geschwaders der Marine in Wilhelmshaven regt sich Widerstand: In der Nacht vom 29. auf den 30. Oktober löschen die Heizer die Heizkessel, die Matrosen verweigern die Befehle. Schnell erkennt die Marineleitung, dass an ein Auslaufen nicht zu denken ist. Die Mannschaften halten die Schiffe besetzt. Doch am 31. Oktober geben die Meuterer auf und lassen sich widerstandslos festnehmen.

Aus Widerstand in Wilhelmshaven wird Aufstand in Kiel

Einen Teil der Gefangenen bringt die Militärführung im Gefängnis in Wilhelmshaven unter, einige Matrosen und Heizer schickt sie nach Kiel. Ein strategischer Fehler, wie sich bald herausstellt: In Kiel solidarisieren sich Schiffsbesatzungen und Dockarbeiter mit den Gefangenen. Aus der Befehlsverweigerung der Matrosen in Wilhelmshaven wird ein Aufstand in Kiel. Dort suchten die meuternden Matrosen bald den Kontakt zu Vertetern von SPD und USPD. Lothar Popp und Karl Artelt, beide Vertreter der USPD, übernehmen die Führung des inzwischen gegründeten Kieler Arbeiter- und Soldatenrates.

Als am 3. November Militäreinheiten auf einen Demonstrationszug in Kiel schießen, sterben sieben Demonstranten, 29 werden verletzt. Die Nachricht von den Schüssen auf die Matrosen verbreitet sich schnell. In den nächsten beiden Tagen erreicht sie alle Flottenstützpunkte an der Küste.

Reichsregierung versucht, den Aufstand einzudämmen

Die Reichsregierung in Berlin versucht, die beginnende Revolution unter Kontrolle zu halten. Der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Gustav Noske reist in Begleitung von Staatssekretär Conrad Haußmann nach Kiel. Die Arbeiter und Soldaten, die inzwischen Räte gebildet haben, begrüßen den SPD-Mann und wählen ihn am 5. November zum Vorsitzenden des Arbeiter- und Soldatenrates von Kiel. Mit Amnestieversprechen gelingt es ihm, den Aufstand einzudämmen.

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Die Revolution erreicht Berlin

Doch der Funke der Revolution ist bereits vom Norden auf das gesamte Reichsgebiet übergesprungen. Am 7. November erreicht die Revolution München, als erster deutscher Fürst muss Ludwig III. von Bayern abdanken. Auch in der Reichshauptstadt gärt es. Am 9. November überschlagen sich dort die Ereignisse: Reichskanzler Prinz Max von Baden verkündet die Abdankung von Wilhelm II. - ohne dessen Einverständnis. Der Monarch flieht ins niederländische Exil, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1941 lebt. Am Nachmittag ruft der SPD-Abgeordnete Philipp Scheidemann vom Balkon des Berliner Reichstagsgebäudes die Republik aus.

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Philipp Scheidemann hält eine Ansprache von einem Fenster der Reichskanzlei. Foto nachgestellt und nachträglich koloriert. Am 9. November 1918 rief der Sozialdemokrat Scheidemann vom Balkon des Reichstags die Republik aus. © picture-alliance / akg-images
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Verlauf der deutschen Revolution: Spaltung von SPD und KPD

Dass Karl Liebknecht, Mitgründer der Kommunistischen Partei, wenig später im Tierpark die sozialistische Republik verkündet, verweist bereits auf den weiteren Verlauf der deutschen Revolution vom November 1918: Für die SPD ist mit der Abdankung des Kaisers, der Einführung des allgemeinen und freien Wahlrechts und der Grundsteinlegung für eine Republik das politische Ziel erreicht. Reichskanzler Friedrich Ebert und die Genossen der Mehrheits-SPD suchen den Ausgleich mit den tragenden Schichten des Kaiserreichs - die Rückkehr zu Ruhe und Ordnung ist für die neue Regierung von nun an oberstes Gebot.

Spartakus-Aufstand endet blutig

Karl Liebknecht bei seiner letzten Rede am 4. Januar 1919 in Berlin. © picture-alliance / akg-images Foto: Willy Roemer
Der Kommunist Karl Liebknecht will eine sozialistische Revolution einleiten. 1919 wird er während des Spartakus-Aufstands getötet.

Die radikaleren Anhänger der unabhängigen Sozialdemokraten und der von Liebknecht und Rosa Luxemburg angeführten KPD wollen die Revolution nach sowjetischem Vorbild vollenden. Mit dem Spartakus-Aufstand im Januar 1919 findet ihr Vorhaben ein blutiges Ende: Der inzwischen zum Reichswehrminister ernannte Gustav Noske verbündet sich mit den teils reaktionären Freikorps, um die Unruhen niederzuschlagen. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht werden von den Korps-Soldaten umgebracht.

Weimarer Republik mit schwerem Erbe

Am 11. August 1919 wird die Verfassung der Weimarer Republik feierlich verabschiedet. Doch auf der jungen Republik lastet eine schwere Hypothek: Sie erbt vom Kaiserreich eine tief geteilte Gesellschaft mit großen inneren Gegensätzen, weite Teile der Gesellschaft links wie rechts sind gegen die Republik. Der Aufstand der Matrosen dient den reaktionären politischen Kräften zur "Dolchstoßlegende", die entgegen der historischen Tatsachen besagt, dass der Krieg für Deutschland noch nicht verloren gewesen sei, als die Matrosen aufbegehrten. Auch Hitler wird sich später darauf beziehen, um den erneuten Griff zu den Waffen im Zweiten Weltkrieg zu rechtfertigen.

Deutsche Flotte versenkt sich selbst

Der deutschen Flotte, dem Stolz des Kaiserreichs, steht ein unrühmliches Ende bevor: Von der Royal Navy in der Bucht von Scapa Flow auf den Orkney Inseln interniert, versenkt sich die Flotte im Juni 1919 selbst.

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Erstürmung des Untersuchungsgefängnisses in Wilhelmshaven am 6. November 1918: Meuternde Matrosen vor dem Gefängnis. © picture-alliance / akg-images Foto: akg-images

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin! Schleswig-Holstein – Von Binnenland und Waterkant | 03.11.2018 | 20:05 Uhr

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