VIDEO: RAF-Fahndung: Festnahmen in Frankfurt und Hamburg (2 Min)

Hamburg 1974: MEK überrascht RAF-Terroristen im Schlaf

Stand: 04.02.2024 05:00 Uhr

Anfang 1974 planen RAF-Terroristen in Hamburg die Befreiung ihrer Anführer Andreas Baader und Ulrike Meinhof aus der Haft. Doch das MEK überrascht sie im Schlaf und verhaftet sie ohne Blutvergießen.

von Dirk Hempel

In den frühen Morgenstunden des 4. Februar 1974 dringen zwölf Beamte des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) über die Tiefgarage in ein Hochhaus an der Bartholomäusstraße in Hamburg-Barmbek ein. Ihr Auftrag: Sie sollen die linksradikalen Terroristen Helmut Pohl, Ilse Stachowiak, Christa Eckes und Eberhard Becker verhaften, die sich in dieser Nacht in einer Dreizimmerwohnung im siebten Stock aufhalten.

Seit Monaten observieren die Behörden die Gruppe

So hat es der Verfassungsschutz ermittelt, der die Gruppe gemeinsam mit der Polizei seit vier Monaten beobachtet. Zwar tarnen sich die Terroristen immer wieder mit Perücken und Brillen, versuchen die Beschatter in Kaufhäusern oder U-Bahnhöfen abzuschütteln. Aber die Beamten haben ihre Wohnungen aufgespürt, Telefone abgehört, die Verdächtigen selbst aus Mülltonnen heraus fotografiert, wie der Autor Butz Peters in seinem Buch "Tödlicher Irrtum. Die Geschichte der RAF" berichtet.

Die Baader-Meinhof-Nachfolger formieren sich

Deshalb wissen die Beamten auch, dass die Terroristen jetzt einen Banküberfall in Kiel planen. Denn sie brauchen Geld, um den "bewaffneten Kampf" gegen die Bundesrepublik fortzusetzen, den die Gründer der Rote Armee Fraktion (RAF) Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin, die inzwischen gefasst worden sind, vier Jahre zuvor begonnen haben. Ihr Ziel ist der politische Umsturz, ihre Mittel sind Brandanschläge, Sprengstoffattentate, Raubüberfälle. Selbst vor Mord schrecken sie nicht zurück.

Das MEK kommt auf leisen Sohlen

In diesem Haus in Hamburg-Barmbek wurden am 4. Februar 1974 drei RAF-Terroristen festgenommen. © NDR
Polizisten sichern den Eingang des Hauses, in dem die RAF-Terroristen festgenommen wurden.

Mit dem Fahrstuhl fahren die Polizisten in der Barmbeker Bartholomäusstraße vom Keller in den neunten Stock und steigen dann zwei Etagen zu der observierten Wohnung hinunter. Sie tragen Stahlhelm und kugelsichere Weste, außerdem Turnschuhe mit Sohlen, die ihre Schritte im Treppenhaus dämpfen. Nach kurzer Vorbereitung sprengt das MEK um 3.57 Uhr die Wohnungstür aus den Angeln. Drei Beamte stürmen mit gezogenem Revolver in den zehn Meter langen Flur. Tretminen müssen sie nicht befürchten, das hat ihnen der Verfassungsschutz versichert, denn die Terroristen haben viel Alkohol getrunken an diesem Abend – und deshalb vermutlich auf die Schutzmaßnahme verzichtet.

Verfassungsschutz hört bei der Verhaftung mit

Die Explosion hat auch die Glastür zum Wohnzimmer zerstört. Der Hörer des Telefons ist aus der Gabel gerissen, sodass der Verfassungsschutz, der den Anschluss abhört, Ohrenzeuge der Verhaftungsaktion wird, wie der "Spiegel" später berichtet. Demnach rufen die Polizisten "Aufstehen - keine Fisimatenten – Hände hoch". Vielleicht auch "Halt, Polizei!" So meldet es das "Hamburger Abendblatt" am folgenden Tag. Jedenfalls sind die vier Terroristen auf ihrem Matratzenlager völlig überrascht. Sie leisten keine Gegenwehr, obwohl ihre Pistolen geladen neben dem Kopfkissen liegen. Innerhalb weniger Sekunden sind sie verhaftet, werden in Handschellen und von Wolldecken verhüllt abgeführt.

Die jüngste Terroristin ist 19 Jahre alt

Das Porträt von Ilse Stachowiak (Ausschnitt aus einem undatierten Tableau, das mehrere ab 1970 per Haftbefehl von den deutschen Justizbehörden gesuchte Terroristen zeigt). © picture-alliance / dpa
Ilse Stachowiak ist als Jüngste schon über drei Jahre bei der RAF.

Einige Stunden später gibt der damalige Hamburger Innensenator Hans-Ulrich Klose (SPD) auf einer Pressekonferenz die Identität der "Berufsrevolutionäre", wie er sie nennt, bekannt: Die 24-jährige Christa Eckes hat als Aushilfe für ein linkes Hamburger Anwaltsbüro gearbeitet und ist im Vorjahr bei der Räumung eines besetzten Hauses an der Ekhofstraße im Stadtteil Hohenfelde vorübergehend verhaftet worden. Der RAF-Anwalt Eberhard Becker ist 35 Jahre alt und erst vor kurzem in den Untergrund gegangen. Er gilt als enger Vertrauter von Ulrike Meinhof. Der 30-jährige Helmut Pohl ist bereits einmal wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt worden. Ilse Stachowiak hat eine Lehre als Kfz-Mechanikerin abgebrochen. Mit 19 Jahren ist sie zwar die Jüngste, aber schon seit mehr als drei Jahren bei der RAF.

Verhaftungen nicht nur in Hamburg

Auf der Pressekonferenz am 4. Februar 1974 in Frankfurt präsentiert die Polizei (2.v.l. der Leiter der Frankfurter Schutzpolizei Horst Vogel und 2.v.r. Polizeipräsident Knut Müller), sichergestellte Waffen. In einer Überraschungsaktion hat eine Spezialgruppe der Polizei in der vergangenen Nacht in Frankfurt am Main und Hamburg sieben Angehörige der RAF (Rote Armee Fraktion) festgenommen, © picture-alliance / dpa Foto: Roland Witschel
Auch in Frankfurt werden Terroristen verhaftet. Die Polizei präsentiert sichergestellte Waffen.

In derselben Nacht werden in Frankfurt am Main drei weitere Terroristen in einer Wohnung verhaftet, die in Hamburg geborenen Kay Werner Allnach und Wolfgang Beer, der ebenfalls bei der Hausbesetzung in der Ekhofstraße beteiligt war, sowie Magrit Schiller, die bereits 1971 in Hamburg im Zusammenhang mit der Ermordung eines Zivilpolizisten verurteilt wurde und später untergetaucht ist. Am folgenden Tag wird in Amsterdam der Terrorist Ekkehard Blenck festgenommen, der laut "Hamburger Abendblatt" als "Schatzmeister" der RAF gilt.

Die Terroristen haben ein Waffenarsenal angelegt

In Frankfurt und Hamburg stellen die Beamten Waffen, Sprengstoff und Munition sicher. Allein in der Barmbeker Hochhauswohnung lagern fünf Handgranaten, zwei Tretminen, vier Maschinenpistolen, zwei Schrotflinten mit abgesägtem Lauf, acht Pistolen, 800 Gramm hochexplosiver Sprengstoff und Rohrbomben, dazu 16.584 Mark, norwegische und schwedische Kronen. So berichtete es das "Hamburger Abendblatt".

Ein überraschender Fund

Hamburgs Innensenator Hans-Ulrich Klose bei einer Pressekonferenz am 4. Februar 1974 zur Festnahme von RAF-Terroristen © NDR
Hamburgs damaliger Innensenator Hans-Ulrich Klose informiert die Öffentlichkeit über den Fall.

In jeder der zwei Wohnungen entdeckt die Polizei außerdem Kassiber - geheime Briefe aus der Haft - von Andreas Baader, in denen er die Gesinnungsgenossen zu seiner baldigen Befreiung aus der JVA Schwalmstadt auffordert. Zwar haben die Beamten bereits geahnt, dass die Terroristen auch Gefangenenbefreiungen planen, wie der "Spiegel" eine Woche nach der Verhaftung meldet. Aber dass die Anweisungen dazu von Baader persönlich stammen und offenbar aus der JVA herausgeschmuggelt worden sind, überrascht die Ermittler. Die Kassiber enthalten detaillierte Anleitungen für einen Sprengstoffanschlag auf das Gefängnis. Und als Alternativplan den Vorschlag, Politiker als Geiseln zu nehmen ("es müssen rechte schweine sein"), den CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf etwa oder den Innenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) ("irgendein austausch, ist einfacher zu organisieren, euer risiko ist kleiner 'mit minimalen kräften'.") So zitiert es Klaus Pflieger, ehemaliger Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft in seinem Buch "Die Rote Armee Fraktion - RAF").

Ein Hamburger Gericht verurteilt die Terroristen

Die acht Terroristen werden in Hamburg vor Gericht gestellt und am 28. September 1976 zu Haftstrafen zwischen zwei und sieben Jahren verurteilt, wegen Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung, teilweise Betrug, unerlaubtem Waffenbesitz, Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Waffen- und Sprengstoffgesetz.

Die RAF mordet noch 20 Jahre weiter

Ein 3er-Porträt der ehemaligen RAF-Terroristin Christa Eckes, nach ihrer Festnahme am 2. Juli 1984 in Frankfurt © picture alliance / ASSOCIATED PRESS
Christa Eckes wird 1984 erneut verhaftet und muss wieder ins Gefängnis.

Den Behörden ist ein großer Erfolg  gegen die RAF gelungen. Doch der linksradikale Terrorismus ist nicht zerschlagen. Noch immer stehen fast zwei Dutzend Terroristen auf den Fahndungslisten der Polizei. Und auch wenn Baader, Meinhof und Ensslin nicht freigepresst werden konnten und später in der Haft Selbstmord begehen, verüben immer neue Gruppen bis Anfang der 1990er-Jahre Attentate und Sprengstoffanschläge, töten zahlreiche Politiker, Wirtschaftsleute, US-Soldaten, Diplomaten.

Auch einige der Terroristen, die in Hamburg vor Gericht standen, gehen nach ihrer Entlassung wieder in den Untergrund. 1984 wird Christa Eckes erneut verhaftet und erhält eine achtjährige Haftstrafe wegen Mitgliedschaft in der RAF. Helmut Pohl ist 1981 an einem Bombenanschlag auf das Hauptquartier der US-Luftstreitkräfte in Ramstein beteiligt, wird deswegen 1986 zu lebenslanger Haft verurteilt. Erst 1998 erklärt die RAF ihre Auflösung, 28 Jahre nach ihrer Gründung.

Weitere Informationen
Beamte sichern Spuren in dem teils zerstörten Gebäude des Springer-Verlages in Hamburg nach dem RAF-Anschlag am 19.05.1972. © picture-alliance/dpa

Terror der RAF: Hamburg war eine Bastion

Hamburg war eine Bastion der Roten Armee Fraktion (RAF), so Historiker Wolfgang Kraushaar. Einige Mitglieder hatten eine Hamburger Vergangenheit. mehr

26.05.1972: Fahndungsplakat RAF Erste Generation © picture-alliance / dpa

Die Geschichte der RAF: Morde und Bombenanschläge

Ihre Ursprünge liegen in der 68er-Bewegung. Dann wird die RAF zur brutalen Terrorgruppe. 1998 löst sie sich auf. Ex-Mitglieder werden weiter gesucht. mehr

RAF-Logo, Ausschnitt aus einem Foto des entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer (Archivbild aus dem Jahr 1977) © dpa

Terror statt Politik: Die Rote Armee Fraktion

Sie wollten den Staat verändern, doch sie verrannten sich: Die Rote Armee Fraktion steht für den Terror der 70er-Jahre. Ein Dossier. mehr

Dieses Thema im Programm:

tagesschau | 04.02.1974 | 20:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Die 70er-Jahre

Terrorismus

Mehr Geschichte

Für fünf Tage, bis zum 30. Dezember 1974, hatte die Hamburger Baubehörde zwei der drei neuen Elbtunnelröhren zur Besichtigung frei gegeben. © picture-alliance / dpa Foto: Lothar Heidtmann

Vor 50 Jahren: Tausende Hamburger besichtigen Neuen Elbtunnel

Vom 26. bis 30. Dezember 1974 feiern 600.000 Hamburger ein Tunnelfest unter der Elbe. Die Bauarbeiten hatten 1968 begonnen. mehr

Norddeutsche Geschichte