Stand: 16.03.2015 10:38 Uhr

2005: Der "Heide-Mörder" stürzt Simonis

Plenarsaal des Landeshauses in Kiel © dpa Foto: Wulf Pfeiffer
Die Landtagswahl 2005 sorgt im Parlament für knappe, unklare Mehrheitsverhältnisse.

Ganze 735 Wählerstimmen fehlen der CDU in Schleswig-Holstein bei der Landtagswahl am 20. Februar 2005, um mit der FDP an die Regierung zu kommen. Zwar werden die Christdemokraten stärkste Kraft, doch ihre 30 Sitze reichen zusammen mit den 4 Mandaten der FDP nicht für die notwendige Mehrheit von 35 Sitzen. Doch auch die SPD (29 Sitze) kann zusammen mit den Grünen (4 Sitze) die rot-grüne Regierungskoalition nicht fortsetzen. Denn mit zwei Abgeordneten ist der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) ebenfalls im Landtag vertreten. Die Partei, die die Interessen der dänischen Minderheit vertritt, wird zum "Zünglein an der Waage".

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Heide Simonis, ehemalige Ministerpräsidentin (SPD) von Schleswig-Holstein, im März 2015. © picture alliance / dpa Foto: Carsten Rehder

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Jeder verhandelt mit jedem

Außer der FDP, die sich früh auf die CDU als Partner festgelegt hatte, spricht in den Tagen nach der Wahl fast jeder mit jedem: Sozialdemokraten und Christdemokraten diskutieren über eine Große Koalition, der SSW trifft sich mit der SPD, die Grünen beraten mit den Sozialdemokraten, auch CDU und SSW sondieren eine mögliche Zusammenarbeit. Am 25. Februar beschließt ein Kleiner Parteitag des SSW, mit der SPD und den Grünen über die Tolerierung einer Minderheitsregierung zu verhandeln.

Trotz Differenzen in der Bildungspolitik und bei der Verwaltungsreform kommen die Gespräche der drei Parteien voran. SPD und Grüne einigen sich am 11. März auf einen Koalitionsvertrag. Einen Tag später beschließt der SSW eine Tolerierung einer rot-grünen Regierung mit Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) an der Spitze. Björn Engholm, früherer schleswig-holsteinischer Ministerpräsident, bezeichnet die "Dänen-Ampel" genannte Konstellation fast schon prophetisch als ein "fragiles Bündnis" und empfiehlt eine Große Koalition.

Ein Abgeordneter verweigert sich

Die bisherige schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) sitzt am 27. April 2005 kurz vor der Wahl des neuen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten zum letzten Mal auf ihrem Platz im Landtag in Kiel. © picture-alliance/ dpa/dpaweb Foto: Wulf Pfeiffer
Kann es nicht glauben: Bei vier Abstimmungen erhält Heide Simonis keine ausreichende Mehrheit.

Als Simonis am 17. März mit den Stimmen von SPD, Grünen und SSW zur Ministerpräsidentin wiedergewählt werden soll, kommt es im Kieler Landtag zum Eklat: Entsetzt erlebt die bisherige Regierungschefin, wie sie im ersten Durchgang nur 34 Stimmen erhält und ihr Kontrahent Peter Harry Carstensen (CDU) 33. Bei zwei Enthaltungen hat mindestens ein Abgeordneter aus dem rot-grünen Lager Simonis seine Stimme verweigert. In einem zweiten Wahlgang kommen Simonis und Carstensen auf je 34 Stimmen bei nur noch einer Enthaltung. Es folgt eine dritte Runde, die zum gleichen Ergebnis führt, danach wird die Sitzung unterbrochen. Die Fraktionen ziehen sich zu Beratungen zurück. Während Simonis wortlos den Plenarsaal verlässt, nennt Carstensen den Vorgang ein "Wechselbad der Gefühle" und erneuert sein Angebot, mit der SPD eine Große Koalition zu bilden.

Unentschieden im vierten Wahlgang

Nach Probeabstimmungen in den Fraktionen wird ein vierter Wahlgang anberaumt - und führt wieder nur zum Patt zwischen Simonis und Carstensen. Nach siebeneinhalb Stunden beendet Landtagspräsident Martin Kayenburg die Sitzung. Die bisherige Regierung bleibt zwar geschäftsführend im Amt, doch nach dem Debakel erklärt Heide Simonis, nicht erneut zu kandidieren und zieht sich später aus allen Ämtern zurück.

Wer war der "Heide-Mörder"?

Trotz vieler Spekulationen über Täter und Motiv ist bis heute ist nicht klar, wer aus dem Lager von SPD, Grünen und SSW der "Heide-Mörder" ist, der die Regierung verhinderte. Persönliche Gründe, Rache oder Stimmenkauf werden als mögliche Beweggründe genannt. Zwar geraten schnell mehrere SPD-Abgeordnete ins Fadenkreuz der Verdächtigungen, doch als "Verräter" enttarnt wird niemand.

Große Koalition wählt Carstensen

Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Peter Harry Carstensen (CDU) © dpa
Peter Harry Carstensen leitet als Ministerpräsident die Große Koalition in Kiel.

Nach der gescheiterten Abstimmung treffen sich SPD und CDU erneut zu Verhandlungen über eine Große Koalition, der einzigen Konstellation, die noch realistisch ist. Am 27. April 2005 wählt das Parlament Peter Harry Carstensen zum Ministerpräsidenten. Gleich im ersten Wahlgang bekommt er mit 54 zwar nicht alle 59 Stimmen aus dem schwarz-roten Lager - aber genug, um Schleswig-Holstein regieren zu können. Damit stellt die CDU erstmals seit dem Rücktritt von Uwe Barschel 1987 wieder den Ministerpräsidenten.

Koalition hält nicht durch

Die Große Koalition erweist sich als wenig stabil, steht mehrfach vor dem Scheitern. Im Juli 2009 beschließt die CDU-Fraktion, das Bündnis mit der SPD vorzeitig zu beenden und auf Neuwahlen zu setzen. Carstensen stellt im Parlament die Vertrauensfrage, scheitert und tritt bei der Landtagswahl am 27. September erneut als Spitzenkandidat der CDU an. Gemeinsam mit der FDP kommen die Christdemokraten auf eine klare Mehrheit im neuen Landtag.

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Der unterlegene SPD-Kandidat Helmut Kasimier (l) und SPD-Sozialminister Helmut Greulich (r) nach der Wahlniederlage in Hannover am 15.1.1976 © picture-alliance / dpa Foto: Wolfgang Weihs

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Schleswig-Holstein Magazin | 15.03.2015 | 19:30 Uhr

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