Smartphone mit Logo des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) vor einer Website. © imageBROKER Foto: TimonxSchneider

Journalisten im Auftrag der US-Regierung? Vorwürfe gegen OCCRP

Stand: 04.12.2024 11:30 Uhr

Das internationale Journalistennetzwerk „Organized Crime and Reporting Project“ (OCCRP) war an zahlreichen großen Enthüllungen der vergangenen Jahre beteiligt. „Panama Papers“, „Suisse Secrets“, der „Russian Laundromat“: investigative Recherchen zu Korruption und organisiertem Verbrechen mit Verbindungen bis in höchste politische Kreise. Nun wird das OCCRP selbst zum Gegenstand einer aktuellen Recherche.

von Lea Eichhorn & Jochen Becker

Mehrere internationale Medien, namentlich „Mediapart“ (Frankreich), das US-amerikanische „Drop Site News” (DSN), „Il Fatto Quotidiano” (Italien) und „Reporters United” (Griechenland) berichten: OCCRP soll sich zum überwiegenden Teil aus Geldern der US-Regierung finanzieren. Der Recherche zufolge, an der auch Reporter des NDR beteiligt waren, soll das Netzwerk seit seiner Gründung im Jahr 2008 mindestens 47 Millionen US-Dollar von verschiedenen US-Behörden erhalten haben. Die Zahlungen sowie strukturelle Verbindungen zur US-Regierung stellen die journalistische Unabhängigkeit des OCCRP in Frage. Belege für eine direkte Einflussnahme liefern die Recherchen nicht.

Die Vorwürfe: Recherchen im Regierungsauftrag?

Die Vorwürfe von Mediapart und DSN wiegen schwer: OCCRP verschleiere gegenüber der Öffentlichkeit und seinen Partnern, in welchem Umfang die Organisation von der US-Regierung finanziert werde. Zwischen 2014 und 2023 sei diese für rund 52% aller Ausgaben des OCCRP aufgekommen. Das gehe aus den jährlichen Finanz-Prüfberichten (Audits) von OCCRP und öffentlich einsehbaren Dokumenten von US-Behörden hervor.

Die staatlichen Gelder sind offenbar an Bedingungen geknüpft. So sei OCCRP aufgrund der Förderrichtlinien eingeschränkt, über Themen und Personen mit US-Bezug zu recherchieren und zu berichten. Bei der Besetzung von redaktionellen Leitungsposten sollen Vertreter der verantwortlichen US-Behörden ein Vetorecht haben. Mitarbeitende des US-Außenministeriums und der verantwortlichen Entwicklungshilfebehörde USAID bestätigten diese Informationen grundsätzlich im Interview mit den Reportern des NDR, wie „Mediapart” und „Drop Site News” berichten. Eine Mitarbeiterin von USAID erklärte dem Bericht zufolge aber auch, dass sich die Behörden nicht in die redaktionellen Entscheidungen von OCCRP einmischten: „Sie sind zu 100% unabhängig.“

Auch OCCRP selbst weist in einer aktuellen Stellungnahme jegliche Einflussnahme von Spendern zurück: „Die Geschichte [...] konnte keinen einzigen Fall von Ungenauigkeit oder Einflussnahme in unserer Arbeit anführen und stützt sich stattdessen auf Andeutungen und Implikationen.“ OCCRP habe Informationen über seine Geldgeber immer offengelegt. Eine „Reihe von Sicherheitsmaßnahmen im redaktionellen Prozess“ stelle sicher, „dass wir unsere Unabhängigkeit wahren.“ Wie genau diese Maßnahmen aussehen, bleibt offen.

OCCRPs Finanzierung schon früher in der Kritik

Für OCCRP sind schon die Vorwürfe „ein massives Problem”, erklärt Leonard Novy. Er leitet das deutsche Institut für Medien und Kommunikationspolitik. Seit Jahren beschäftigt Novy sich mit medienethischen Fragen und der Finanzierung von Journalismus. Das Ausmaß der personellen und finanziellen Verflechtung von OCCRP mit der US-Regierung, so wie es „Mediapart” und DSN darstellen, laufe „jeglichen Prinzipien journalistischer Ethik” zuwider, so Novy. Es lasse den Verdacht zu, dass Journalisten für politische Zwecke eingespannt oder instrumentalisiert werden könnten.

Es ist nicht das erste Mal, dass OCCRP eine Nähe zur US-Regierung nachgesagt wird. Schon 2016 warf die Enthüllungsplattform WikiLeaks OCCRP vor, im Zuge der Panama Papers vor allem Russland ins Visier zu nehmen, im Interesse seiner amerikanischen Geldgeber, namentlich „USAID” und „Soros”.

Damals antwortete die Organisation in einer Stellungnahme: OCCRPs journalistische Arbeit spreche für sich, ganz unabhängig von der Frage, wer sie bezahle. Auf X beteuert der Gründer und noch heute amtierende Leiter des OCCRP Drew Sullivan noch im vergangenen Jahr, OCCRP behalte sich gegenüber allen Spendern eine „totale redaktionelle Kontrolle“ vor.

Auch diesmal gehört WikiLeaks zu den ersten, die die Recherche über „die versteckten Verbindungen zwischen einem Giganten des investigativen Journalismus und der US-Regierung“ auf der Plattform X verbreiten. WikiLeaks stand einst in direkter Konkurrenz zu OCCRP – als Plattform für Whistleblower und ihre Enthüllungen. Doch spätestens nach Veröffentlichung des „Collateral Murder“-Videos, das mutmaßliche Kriegsverbrechen amerikanischer Soldaten im Irak dokumentierte sowie der Publikation der US-Botschaftsdepeschen und zahlloser geheimer US-Militärdokumente aus den Irak- und Afghanistan-Kriegen, wurden WikiLeaks und sein Gründer Julian Assange von der US-Regierung systematisch verfolgt und zu Staatsfeinden erklärt.

Falscher Gründungsmythos von OCCRP

Drew Sullivan, Direktor des OCCRP (Organized Crime and Corruption Reporting Project) bei einer Anhörung vor dem US-Kongress im Juli 2023. © xx 071823_Commission-Security-Cooperation-Europe_0083 RodxLamkeyx-xCNPx cnpphotos280150 Foto: Rod Lamkey/CNP/ABACAPRESS.COM
OCCRP-Direktor Drew Sullivan bei einer Anhörung vor dem US-Kongress im Juli 2023

OCCRP hingegen wurde gefördert. Die Recherche von „Mediapart“ und DSN zeigt auch: Schon die Gründung von OCCRP ging offenbar auf Anregung von US-Regierungsbeamten zurück. Sullivan habe dafür im Jahr 2008 eine Anschubfinanzierung über 1,7 Millionen US-Dollar vom Bureau of International Narcotics and Law Enforcement Affairs (INL), einer Strafverfolgungsbehörde des US-Außenministeriums, erhalten.

„Mediapart“ gegenüber schreibt Sullivan, OCCRP betrachte eine Förderung aus dem Demokratiefonds der Vereinten Nationen (UNDEF) im Jahr zuvor als Gründungsfinanzierung. So steht es auch auf der Webseite des OCCRP. Tatsächlich hätte der Aufbau der Organisation jedoch ohne das zusätzliche Geld der US-Regierung nicht realisiert werden können: „Wir mussten uns entscheiden, entweder nehmen wir Regierungsgeld für unsere Arbeit bei OCCRP, oder wir können nicht existieren“, räumt Sullivan ein. Die US-Regierung sei wohl der „größte Geldgeber“ für „die meiste Zeit der Geschichte“ von OCCRP gewesen.

Mit dem Geld baute Drew Sullivan in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens redaktionelle Einheiten auf, schulte und vernetzte Investigativ-Journalisten vor Ort. Das Ziel: Mithilfe von journalistischer Recherche Korruption und organisiertes Verbrechen aufdecken, demokratische Akteure und Strukturen fördern. Ein Ziel, durchaus auch im Sinne der außenpolitischen Interessen der USA.

Seitdem ist das OCCRP zu einem weltumspannenden Netzwerk angewachsen, mit nach eigenen Angaben mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten in 30 Ländern auf allen Kontinenten. Der Vorwurf, sie arbeiten für eine Organisation, die die Interessen der USA mit den Mitteln des investigativen Journalismus verfolgt, kann nun besonders für jene Partner zum Problem werden, die in autokratischen Staaten arbeiten, die zu den politischen Gegnern der USA zählen. Dort werden sie teils heute schon als „feindliche Agenten“ gebrandmarkt und verfolgt.

Schon der Anschein von Einflussnahme schadet Glaubwürdigkeit

Viele der von der US-Regierung bereitgestellten Gelder sind laut „Mediapart“ und „Drop Site News“ für konkrete Projekte in Ländern wie Russland, Malta, Zypern oder Venezuela bestimmt. Damit lenke sie den Fokus der Aktivitäten von OCCRP und werde selbst nicht zum Gegenstand kritischer Berichterstattung, so die Autoren.

Die Berichte liefern jedoch keinen Nachweis für eine direkte redaktionelle Einflussnahme. Keine einzige OCCRP-Recherche wird inhaltlich oder journalistisch in Frage gestellt. Panama Papers, Swiss Secrets, Nordstream – in all diesen Großprojekten arbeitete OCCRP im Team mit teils hunderten Journalistinnen und Journalisten weltweit, die ihre Recherchen gegenseitig nachvollziehen und überprüfen konnten. Schwer vorstellbar, dass Versuche der Einflussnahme oder Widerstände gegen Recherchen hier nicht aufgefallen wären.

Der NDR hat seine Zusammenarbeit mit der Organisation nach eigenen Angaben vorerst auf Eis gelegt - seit der kritischen Recherche von NDR-Autoren am OCCRP hat der Sender an keinen Rechercheprojekten des OCCRP mehr teilgenommen.

Der Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik Leonard Novy © Nin Solis
Politikexperte Leonard Novy kritisiert die enge Verbindung des OCCRP zur US-Regierung

Der Schaden für die Glaubwürdigkeit entstehe unabhängig von der Frage, ob Politik tatsächlich Einfluss auf die redaktionelle Arbeit genommen habe, erklärt Leonard Novy vom Institut für Medien- und Kommunikationspolitik. Schon der Anschein von Parteilichkeit sei ein massives Problem für die Glaubwürdigkeit und Legitimation der journalistischen Arbeit. Auch scheinen Sullivan und das OCCRP sowohl ihre journalistischen Partner als auch ihre Leserinnen und Leser über die Nähe zur US-Regierung im Unklaren gelassen zu haben. Damit habe die Organisation in den Augen von Novy eine Grenze überschritten.

Staatliche Förderung ist nicht in jedem Fall problematisch

Grundsätzlich sind staatliche Fördermittel in der Medienbranche keine Seltenheit. So vergibt etwa die Europäische Kommission im Rahmen ihres Investigative Journalism Funds for Europe insgesamt rund 2 Millionen Euro für journalistische Recherchen. In einem Förderprogramm speziell für Nachrichtenmedien vergibt die EU nach eigenen Angaben zusätzlich jährlich rund 50 Millionen Euro. In Deutschland fördert die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) einzelne journalistische Projekte mit rund 1,2 Millionen Euro.

Auch das OCCRP wurde nach den Recherchen mit Geldern der EU und aus Ländern wie Dänemark, Großbritannien und Frankreich gefördert. Insgesamt sollen es in den vergangenen 10 Jahren rund 15 Millionen US-Dollar gewesen sein. Das OCCRP betont gegenüber „Drop Site News“ und „Mediapart“, dass investigative journalistische Arbeit in manchen Ländern ohne staatliche Förderung schlicht nicht möglich sei.

Politikwissenschaftler Leonard Novy sieht angesichts der „existenziellen strukturellen Herausforderungen, vor denen der Journalismus steht“, durchaus die Notwendigkeit für finanzielle Förderung aus öffentlichen Geldern. Diese müsse aber „intelligent und transparent“ eingesetzt werden. Um die journalistische Unabhängigkeit nicht zu gefährden, müsse das Geld nach klaren Kriterien vergeben werden, die Förderung transparent gemacht und unbedingt staatsfern organisiert sein - beispielsweise durch unabhängige Gremien, die das Geld verwalten.

Was hat ZAPP damit zu tun?

Mediapart erhebt in einem zweiten Artikel den Vorwurf, der NDR habe die eigene Recherche zum Thema OCCRP „zensiert“. Hierzu stellt die ZAPP-Redaktion klar:

Es gab keinerlei Zensur bei ZAPP, dieser Vorwurf entbehrt jeglicher Grundlage. ZAPP war an der NDR-Recherche zu OCCRP gar nicht beteiligt und auch nicht Teil der internationalen Recherchekooperation. Auch der NDR insgesamt hat den Vorwurf der Zensur nach Veröffentlichung der Recherchen zurückgewiesen.

Autoren des NDR haben die Recherche begonnen und über einen längeren Zeitraum fortgeführt. In der Abwägung gegenüber anderen Projekten haben wir uns gegen eine Beteiligung entschieden. Dies war alleinige und freie Entscheidung der Redaktion.

ZAPP berichtet unabhängig und immer wieder kritisch über den NDR. Auch deswegen hat die Redaktion sich dagegen entschieden, eine Recherche zu übernehmen, die nicht in der Redaktion entstanden ist. Wir haben uns stattdessen darauf vorbereitet, im Nachgang über die Recherche und ihre möglichen Auswirkungen zu berichten.