ARD-Vorsitzender Kai Gniffke © picture alliance / Panama Pictures Foto: Christoph Hardt

ARD und ZDF: Textangebote im Netz sollen eingeschränkt werden

Stand: 11.10.2024 15:30 Uhr

ARD, ZDF und Deutschlandradio sollen nach dem Entwurf des "Reformstaatsvertrags" ihre Textangebote im Netz deutlich reduzieren. Die Vorgabe geht auf den Druck der Verlage zurück. In den Rundfunkanstalten regt sich Widerstand.

von Mandy Mülling & Jochen Becker

In einem Post auf LinkedIn zeigt sich der SWR-Intendant und derzeitige ARD-Vorsitzende Kai Gniffke alarmiert: "Selbst bei Breaking News, die eine komplexere Einordnung erfordern, soll unser Angebot auf bloße Schlagzeilen verkürzt werden", warnt Gniffke. Die ARD wolle die Menschen mit aktuellen Informationen versorgen – "egal ob ihr die tagesschau um 20:00 Uhr schaut oder euch online informiert". Das aber stelle der Entwurf für den so genannten "Reformstaatsvertrag" in Frage, mit dem der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die nächsten Jahre neu formuliert werden soll.

Die Redaktion der Tagesschau, die mit tagesschau.de eins der reichweitenstärksten Informationsangebote im Netz betreibt, hat für sich einmal simuliert, wie ihre Webseite streng nach den neuen Vorgaben aussehen würde. Die Simulation liegt ZAPP vor. Sie soll exemplarisch zeigen, was wegfiele, sollten die bisher im Entwurf formulierten Regeln zukünftig gelten.

Der Streit um die so genannte Presseähnlichkeit der Online-Angebote von ARD, ZDF und Deutschlandradio geht in der öffentlichen Debatte über weniger Hörfunkwellen oder die geplante Zusammenlegung der Kultursender 3sat und Arte sowie eine Fusion der Informationskanäle tagesschau24, Phoenix und ZDFinfo bislang unter. Seit Jahren kämpfen die privaten Zeitungsverleger unter dem Dach des BDZV gegen die in ihren Augen stetig wachsenden Text-Angebote vor allem einiger ARD-Anstalten.

Unfaire Konkurrenz?

"Mit den vielen presseähnlichen Texten, die der ÖRR veröffentlicht, könnten jeden Tag diverse Zeitungen und Zeitschriften gefüllt werden", heißt es vom BDZV gegenüber ZAPP. "Die bisherige Regelung hat ihren Schutzzweck verfehlt. Sie konnte gesetzlich nicht ausreichend klarstellen, dass öffentlich-rechtliche Presseersatz-Produkte vom Gesetzgeber und der Verfassung nicht vorgesehen sind."

Die Verleger wollen, dass die Sender sich auf Videos und Audios beschränken, um den Digitalangeboten der Verlage nicht beitragsfinanziert Konkurrenz zu machen. Gerade Regionalzeitungen beklagen einen unfairen Wettbewerb. Die nun deutlich enger gefassten Vorgaben im Entwurf des "Reformstaatsvertrags" sollen diesem Ansinnen Rechnung tragen: Dort heißt es: "Texte sind nur noch sendungsbezogen und in Ausnahmefällen möglich."

Haben die Sender überzogen?

Dabei steht im Medienstaatsvertrag schon heute: Die Online-Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender dürfen nicht presseähnlich sein. Der Fokus soll auf Videos und Audios liegen. Text ist grundsätzlich zulässig, wenn es einen Sendungsbezug gibt. Heißt: wenn über ein Thema audio-visuell berichtet wurde. Die bisherige Regelung ermöglicht zudem, Hintergrundinformationen, die "inhaltlich die Sendung unterstützen, begleiten und aktualisieren."

Heike Raab, SPD © picture alliance / dts-Agentur
Die Vorsitzende der Rundfunkkommission Heike Raab (SPD) meint, die Sender hätten den Spielraum beim "Sendungsbezug" mehr als ausgereizt.

Der Sendungsbezug werde aber "sehr extensiv ausgelegt", so die SPD-Politikerin und Vorsitzende der für den Entwurf zuständigen Rundfunkkommission Heike Raab in einem BR24-Interview. Was sie meint: einige Online-Texte gingen inhaltlich deutlich über das hinaus, was in der zugehörigen Sendung stecke.

Auf Anfrage von ZAPP schreibt eine Sprecherin der Rundfunkkommission: "In den vergangenen Jahren hat sich die praktische Handhabung des sogenannten Verbots der Presseähnlichkeit durch einige Landesrundfunkanstalten von den ursprünglichen Vorstellungen des Gesetzgebers zunehmend entfernt".

"Online First" nicht möglich

Künftig soll daher gelten: Text nur noch sendungsbezogen. Und: strengere Vorschriften nicht nur für die eigenen Online-Angebote der Anstalten, sondern zusätzlich auch für deren Auftritte auf externen Plattformen. Dazu wird der sogenannte Sendungsbezug, bei dem Text bisher ja grundsätzlich zulässig ist, restriktiver formuliert als bisher: Texte dürfen künftig erst publiziert werden, wenn ihr Inhalt zuvor veröffentlicht wurde, in einer Radio- oder Fernsehsendung, bei YouTube oder in der Mediathek.

Screenshot: Ein tabellarischer Vergleich, der die Unterschiede zwischen den Staatsverträgen zeigt © NDR
Im Vergleich zeigen sich die Unterschiede im geplanten Staatsvertrag: In der linken Spalte der Status Quo, mittig die Änderungsvorschläge und rechts Anmerkungen und Erläuterungen.

Weil es deutlich zeitaufwendiger ist, Audio oder Video zu produzieren, käme ein Text entsprechend spät. "Das führt zu Verzögerungen, die man in der digitalen Nachrichtenwelt niemandem mehr erklären kann", so Wolfhard Kahler, der Redaktionsleiter von hessenschau.de in seinem eigenen Programm. Er sieht die Reformvorschläge kritisch: "Wir könnten unseren gesetzlichen Auftrag nicht mehr vollständig erfüllen. Viele Beiträge würden zu spät erscheinen oder ganz wegfallen. Die Menschen in Hessen erwarten aber gerade bei Großereignissen zu Recht eine schnelle und zuverlässige Information".

Einschränkungen für tagesschau.de

Einschneidend vor allem für übergreifende Programmangebote wie die Sportschau oder die Tagesschau, wäre eine weitere Regelung: Danach "muss der Sendungsbezug zu einer eigenen Sendung hergestellt werden." Heißt: tagesschau.de könnte sich nicht mehr darauf beziehen, was beispielsweise Deutschlandfunk oder MDR Aktuell berichten, sondern nur noch darauf, was die Tagesschau/ ARD Aktuell selbst gesendet hat. Das würde das Angebot einschränken (s. oben).

Juliane Leopold, Chefredakteurin Digitales ARD aktuell © picture alliance/dpa Foto: Fabian Sommer
Juliane Leopold warnt davor, dass Menschen sich von öffentlich-rechtlichen Angeboten abwenden könnten.

Die Digitalchefin der Tagesschau, Juliane Leopold verweist auf Anfrage von ZAPP auf ihren Post bei LinkedIn. Dort schreibt sie: "Menschen, die bei uns nicht mehr finden, was sie suchen, wenden den Blick auf soziale Medien. Und dort ist nicht jeder Akteur vertrauenswürdig - vorsichtig ausgedrückt."

Natürlich bieten auch viele Verlage im Netz schnellen Zugang zu seriösen Informationen. Doch noch immer ist nur eine Minderheit offenbar bereit, für solche Angebote zu zahlen – lediglich 13 Prozent der Befragten hierzulande, so der Reuters News Report 2024. Fraglich also, ob es den Verlagen tatsächlich besser ginge, wenn die beitragsfinanzierten Sender auf ausführliche Texte verzichten würden.

Das ZDF - mitgehangen, mitgefangen

Das ZDF verweist darauf, "dass das Onlineangebot des ZDF im Kern audiovisuell" ist und bisher von Verlegern nicht kritisiert wurde. Und trotzdem ergäben sich auch für das ZDF nun Nachteile aus der geplanten Verschärfung. "Die jetzt bekanntgewordenen Formulierungen würden aber das Nachrichtenangebot stark einschränken. Im digitalen Zeitalter sind die Onlineangebote aller Mediengattungen längst multimedial geprägt. Presseähnlichkeit als Kriterium macht da keinen Sinn mehr", heißt es gegenüber ZAPP.

Noch pointierter drückt es ZDF-Verwaltungsratsmitglied Leonhard Dobusch in seiner Kolumne "Neues aus dem Fernsehrat" bei Netzpolitik.org aus: "Das Konzept der "Presseähnlichkeit" ist derart retro, es hat in einem "Reformstaatsvertrag" nichts verloren. Ganz im Gegenteil, ein Reformstaatsvertrag wäre die perfekte Gelegenheit, es endgültig zu beerdigen."

Wie weiter?

Das ist wohl nicht zu erwarten. Mögliche Änderungen sind aber noch drin. "Wir erhoffen uns aus der Anhörung zum Reformstaatsvertrag wertvolle Hinweise, die wir im Länderkreis sehr ernsthaft auswerten und diskutieren werden", heißt es aus der verantwortlichen Staatskanzlei Rheinland-Pfalz. Bis zur heutigen Einspruchsfrist seien mehr als 10.000 Stellungnahmen eingegangen. Ende Oktober sollen sich dann die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit dem überarbeiteten Entwurf befassen, bevor er zur Abstimmung in die Landtage geht.

Über dieses Thema berichtete der Deutschlandfunk in "Nach Redaktionsschluss – Der Medienpodcast" am 10.10.2024.

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