Panorama - die Reporter

Die Trolle

Donnerstag, 04. Mai 2017, 00:20 bis 00:50 Uhr

Vor ein paar Monaten erschüttert eine Nachricht den kleinen Ort Meßstetten: Ein Polizist soll entführt worden sein. Ein Verdacht liegt nahe: In dem Ort auf der Schwäbischen Alb leben 5.000 Einwohner und fast noch mal genauso viele Flüchtlinge. Wer könnte es sonst gewesen sein? Lokalreporter Michael Würz fängt an zu recherchieren und hat den Polizisten plötzlich an der Strippe. Der ist nicht entführt worden - sondern liegt krank im Bett. Solche Lügengeschichten geistern derzeit massenhaft vor allem durch die sozialen Medien: Bordellgutscheine für Flüchtlinge, entführte Kinder, geklaute Ziegen und Schafe. Alles frei erfunden. Oft sind es Internettrolle, die die Gerüchte in Umlauf bringen. Wie verändern sie die Stimmung im Land?

Und auf einmal bist Du Terrorist

Am eigenen Leib erfahren hat dies Anas Modamani: Der syrische Flüchtling lebt in Berlin. Kurz nach seiner Ankunft in Deutschland hatte Angela Merkel seine Unterkunft besucht, und er nutzte die Gelegenheit zu einem Selfie mit der Bundeskanzlerin. Doch nach den Anschlägen von Brüssel kursiert sein Selfie plötzlich als Collage mit einem der Selbstmordattentäter im Netz. Anas Modamani, so wird behauptet, sei der tote Islamist Najim Laarchraoui. Suggeriert wird: Merkel machte ein Selfie mit einem Terroristen. "Ein Freund hat mich angerufen und gesagt, dass ein Foto von mir auf Facebook kursiert, dass ich als Terrorist im Internet stehe", berichtet er. "Ich dachte, das wäre ein Witz. Aber dann habe ich gesehen, was im Netz los war. Das war ein großer Schock für mich. Ich habe geweint."

Was tut die Politik gegen Hass?

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat eine "Task Force" gegen den Hass im Netz ins Leben gerufen. Sein Ministerium sieht "einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Steigerungsraten bei Hasskriminalität und körperlicher Gewalt". "Fremdenfeindliche und rassistische Hassbotschaften, die gegen Strafgesetze verstoßen, müssen schneller und umfassender aus dem Netz verschwinden", erklärt Pressesprecher Julian Zado. Ziel sei es, dass die "Mehrzahl der gemeldeten Inhalte in weniger als 24 Stunden geprüft und, falls erforderlich, entfernt werden". Lesen Sie hier die komplette Antwort des Ministeriums.

Modamanis Glück: Er bekam Hilfe von Anke M., bei deren Familie der junge Flüchtling wohnt. Sie erzählt, wie sie den Kampf mit den Trollen aufnahm: "Ich habe am Abend angefangen zu schreiben wie eine Irre. Alle Verbreiter anzuschreiben: Der Junge wohnt bei mir." Sie startete eine Gegenkampagne und informierte Journalisten. Schließlich berichteten Berliner Zeitungen breit über den Fake - und damit war das Gerücht tot. Selbst in flüchtlingsfeindlichen Foren wussten nun zu viele, dass diese Lügenstory aufgeflogen war.

Fakes im Netz: Von 9/11 zur Flüchtlingskrise

Aber es gibt ja noch Tausende andere - und André Wolf kennt die meisten: Er ist ein professioneller Gegenspieler der gesichtslosen Trolls. Auf der Internet-Plattform "Mimikama" räumt er mit den zahlreichen Fakes im Netz auf, beschäftigt sich mit betrügerischen Gewinnspielen genauso wie mit falschen Gerüchten über Flüchtlinge. Früher ging es noch um vergleichsweise harmlose Hoaxes wie das berühmte Bild eines Touristen, der angeblich auf dem Word Trade Center ein Foto machte, kurz bevor die erste Maschine einschlug.

Heute hingegen wird gezielt Stimmung gemacht: gegen Flüchtlinge, den Islam und andere Minderheiten. "Ein ausschlaggebender Punkt war die Falschmeldung, dass Ebola durch Flüchtlinge nach Europa gebracht wird", so Wolf. "Im Jahr 2014 gab es angeblich in Italien erste Ebola-Fälle - das war natürlich unwahr. Auch das Foto, das dafür benutzt wurde, hatte damit nichts zu tun. Aber damit fing es an und je mehr Flüchtlinge nach Europa kamen, desto stärker kamen auch die Fakes nach Europa rein. Es sind viele rechtspopulistische Inhalte, die dort wiedergegeben werden. Wer genau dahintersteckt, lässt sich leider gerade bei den anonymen Seiten nicht herausfinden."

Die Trollfabrik

Marat Burkhard arbeitete früher in einer russischen "Trollfabrik". © NDR
135 Troll-Posts am Tag hat Marat Burkhard absetzen müssen.

Dass Falschmeldungen auch gezielt produziert und genutzt werden, ist dagegen aus anderen Zusammenhängen bekannt: Im russischen St. Petersburg soll eine ganze Fabrik voller professioneller Trolle arbeiten, die gezielt gegen den Westen anschreiben und regierungsfreundliche Stimmung verbreiten. Marat Burkhard war einer von ihnen. Rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche sei dort mit 200 bis 300 Mitarbeitern die öffentliche Meinung beeinflusst worden. In seiner Abteilung für "Politische Kommentare" habe er mindestens 135 Posts pro Tag absetzen müssen.

Die Themen seien dabei vorgegeben worden: gegen die EU, gegen die USA, gegen Angela Merkel und ihren Kurs in der Flüchtlingskrise, gegen Homosexuelle und die russische Opposition. Der Tonfall dabei ist schrill und beleidigend: US-Präsident Obama wird in Fotomontagen als Affe gezeigt, Merkel hingegen als dumme Nuss, die einen Terroristen an ihre naive Mutterbrust drückt. Ob die Bilder wirklich aus der Trollfabrik stammen, ist letztlich nicht zu belegen. Niemand, der aktuell dort arbeitet, will reden, mehrfach hat die Firma zudem ihren Namen gewechselt. Hinweise in Dokumenten deuten darauf, dass sie einem Geschäftsmann aus Putins Umfeld gehören könnte.

Interviews
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"Der Journalismus hat eine Erklärfunktion"

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Wie kann Journalismus gegensteuern?

Doch unabhängig davon, wer hinter bestimmten Gerüchten steckt, stellt sich für Journalisten die Frage, wie sie mit dem Phänomen umgehen, was sie dazu beitragen und wie sie gegensteuern können. Für den Lokalreporter Michael Würz bleibt es ein mühseliger, aber notwendiger "Kampf gegen Windmühlen": "Man muss die Leute trotzdem ernst nehmen", glaubt Würz. "Wir Journalisten müssen ernst nehmen, was da im Netz passiert. Wir haben früher gesagt, die Themen liegen auf der Straße, da liegen sie auch heute, es gibt genauso viel Unsinn wie früher, nur verbreitet der sich schneller."

 

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Auch "Spiegel"- Chefredakteur Klaus Brinkbäumer glaubt, dass man sich journalistisch stärker als bisher mit Gerüchten und falschen Behauptungen beschäftigen muss: "Unberechtigte Gerüchte muss man sofort kontern und erklären, warum sie Unsinn sind", so Brinkbäumer. Denn dann seien sie nach seiner Beobachtung häufig "auch sofort wieder weg". Klassische Recherche als Weg aus der Gerüchteküche? Der Fall von Anas Modamani scheint Brinkbäumer recht zu geben. Und dennoch: Im Netz hat sich eine Parallelöffentlichkeit etabliert, die in weiten Teilen nur das glaubt, was sie hören will - und daran wird kurzfristig kaum etwas ändern. Die Trolle stehen gut im Futter.

Autor/in
David Hohndorf
Birgit Wärnke
Sabine Puls
Andrej Reisin
Redaktion
Dietmar Schiffermüller
Lutz Ackermann
Produktionsleiter/in
Nicole Deblaere

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