Weniger Gerichte: Kritik an Schleswig-Holsteins Reformplänen

Stand: 26.09.2024 11:03 Uhr

Im Zuge ihres Sparkurses will die Landesregierung die Struktur der Gerichte im Land reformieren: Unter anderem sollen die neun Sozial- und Arbeitsgerichte zusammengelegt werden. Die Kritik an den Plänen ist groß.

von Ulrike Drevenstedt

"Wir haben einen hohen Sanierungsstau bei einzelnen Gebäuden. Wir haben einzelne Gerichte, die sehr klein sind, wo wir auch personell Schwierigkeiten haben, diese Standorte aufrecht zu erhalten", erklärt Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU) die Pläne. Hintergrund sei die schwierige Haushaltslage.

Zusammenlegung von Gerichten im Fokus

Konkret ist unter anderem geplant, die vier Sozialgerichte in Itzehoe (Kreis Steinburg), Kiel, Lübeck und Schleswig (Kreis Schleswig-Flensburg) sowie die fünf Arbeitsgerichte in Elmshorn (Kreis Pinneberg), Flensburg, Kiel, Lübeck und Neumünster an einem Standort zusammenzufassen. Kriterien für die Standortwahl sind laut Justizministerium eine möglichst zentrale Lage in Schleswig-Holstein, eine gute Erreichbarkeit, die erforderliche Größe und eine zeitnahe Nutzungsmöglichkeit.

Darüber hinaus ist geplant, dass das Finanzgericht von Kiel nach Schleswig zieht. Die Pläne sollen bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode im Jahr 2027 abgeschlossen sein. Mittelfristig sollen außerdem die Amtsgerichte überprüft und auf ein Gericht pro Kreis reduziert werden. Derzeit gibt es in Schleswig-Holstein insgesamt 22 Amtsgerichte. Wie die Struktur der Gerichte im Land in Zukunft genau aussehen soll, ist noch nicht bekannt.

Richterverband zeigt sich "fassungslos"

Nur kurz nach Bekanntwerden der Pläne des Justizministeriums ist die Kritik daran heftig. Der schleswig-holsteinische Richterverband warf der Koalition "Gutsherrenart" vor: "Mehrere Hundert Beschäftigte von insgesamt zehn betroffenen Fachgerichten unangekündigt und ohne jeden Dialog quer durchs ganze Land versetzen zu wollen, haben wir bislang in Schleswig-Holstein für unvorstellbar gehalten", sagte die Vorsitzende, Christine Schmehl.

"Das ist eine Kommunikationsweise, die ins 21. Jahrhundert nicht mehr gehört, das gehört für mich eher in die Kaiserzeit." Christine Schmehl, Vorsitzende des Richterverbands

Schmehl bezweifelt nach eigenen Angaben außerdem, dass die Pläne wirtschaftlich sind, weil der tatsächliche Investitionsbedarf nicht offengelegt worden sei. Sie erwartet, dass das Justizministerium jetzt auf alle Betroffenen zugeht.

Sozialgerichte sind stark ausgelastet

Auch der Landesverband Schleswig-Holstein der "Neuen Richtervereinigung" spricht von einer "Bringschuld" der Justizministerin. Die Pläne seien ein "Schlag ins Gesicht der Justiz", teilte Sprecher Michael Burmeister mit. Nicht nur für Mitarbeitende, auch für rechtschutzsuchende Bürgerinnen und Bürger würden die Wege teils erheblich länger und teurer.

Für den Sozialverband Schleswig-Holstein sind die Pläne "das Gegenteil von Bürgernähe". Der Landesvorsitzende, Alfred Bornhalm, sagte, der Verband vertrete jedes Jahr hunderte Mitglieder vor den Sozialgerichten und schon jetzt gebe es Wartezeiten von weit über zwei Jahren.

Sozialverband kündigt Protest an

Kritik an den Plänen kommt auch vom Sozialverband VdK Nord. Geschäftsführer Ronald Manzke sagte NDR Schleswig-Holstein: Wenn Sozialgerichte zusammengelegt würden, mache es das vielen betroffenen Klägerinnen und Klägern schwer, persönlich zu den Verhandlungen zu kommen.

"Wenn man da weite Wege auf sich nehmen muss, ist das ein echtes Problem. Die Bürger müssen einen nahen Zugang zu den Gerichten haben." Sozialverband VdK Nord. Geschäftsführer Ronald Manzke

Viele der Betroffenen seien krank und nicht mobil, besäßen etwa kein eigenes Auto. Die Pläne seien deshalb eine "Rechtsbeschneidung", erklärt er und fügt hinzu: "Wir werden Sturm laufen, das werden wir so nicht hinnehmen."

Sozialgerichte sind unter anderem in Fällen von Rechtsstreitigkeiten rund um Krankheit oder beispielsweise Behindertenstatus zuständig. An Arbeitsgerichten werden unter anderem Fälle von Kündigungen verhandelt.

Auch Opposition im Landtag kritisiert Pläne

Die SPD im schleswig-holsteinischen Landtag hat am Mittwoch einen Dringlichkeitsantrag in die laufende Landtagssitzung eingebracht, der einvernehmlich angenommen wurde. Voraussichtlich am Freitagnachmittag soll über das Thema debattiert werden. Der justizpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Marc Timmer, nannte die Pläne eine "Holzhammermethode für die Beschäftigten in der Justiz". Die FDP-Fraktion bezweifelt laut dem justizpolitischen Sprecher Bernd Buchholz, "ob weitere Zentralisierungen im Fachgerichtsbereich tatsächlich Einsparungen bewirken können".

Der Vorsitzende der SSW-Landtagsfraktion, Lars Harms, teilte mit, dass diese Welle der Kritik absehbar gewesen sei: "Denn genau das passiert eben, wenn man drastische Einschnitte plant, ohne die Betroffenen auch nur im Ansatz mit einzubeziehen."

Anhörungsprozess startet

Justizministerin von der Decken reagierte auf die Kritik: "Es tut mir Leid, dass wir den Justizmitarbeitern diesen Schritt zumuten müssen. Wir würden ihn nicht tun, wenn wir nicht in einer Lage wären, in der wir jetzt sind." Nach ihren Angaben soll zu zur geplanten Reform der Gerichtsstrukturen in Schleswig-Holstein jetzt ein Anhörungsprozess starten.

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NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 25.09.2024 | 15:00 Uhr

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