Kinofilm "Milchzähne": Ein Wolfskind im deutschen Märchenwald
Regisseurin Sophia Bösch zeigt in ihrem Kinodebüt "Milchzähne", eine Verfilmung nach dem Roman von Helene Bukowski, ein atmosphärisch dichtes Kinodebüt um ein mysteriöses Außenseiterkind in einer abgeschotteten Dorfgemeinschaft.
Deutschland in einer nicht allzu fernen, wahrscheinlich post-apokalyptischen Zukunft. Was geschehen ist, bleibt unklar. Es gibt noch Strom und Autos und Tauschhandel. Doch die Menschen im Wald bleiben bewusst versteckt und abgegrenzt von der Außenwelt. Sie erzählen sich abergläubische Geschichten über Kreaturen im Wald, die dem Menschen Böses wollen. Die Bedrohung ist allgegenwärtig.
Legende um Wolfskinder, die sich unter Menschen mischen
"Tagelang war Ruhe - und jetzt drei Angriffe in einem Monat", sagt Pesolt, gespielt von Ulrich Matthes, eine Art Dorfoberhaupt. Im Ort sind mehrfach Tiere gerissen worden, ein Widder liegt zerfetzt über mehrere Orte verbreitet, der Kopf liegt unheilvoll am Seerand. Von wem die Bedrohung ausgeht, bleibt ebenfalls unklar.
Aber es könnte eine Erklärung geben: In einer Geschichte wollen sich die Wölfe unter die Menschen mischen, die nennt man Wolfskinder. Die haben ganz kleine Zähne, die nie ausfallen. Die Wolfskinder nehmen dann den Platz der Menschenkinder ein, bringen das Böse mit, so der Aberglaube.
Kann es da ein Zufall sein, dass ausgerechnet jetzt, wie aus dem Nichts, ein junges, fremdes Mädchen auftaucht? "Die stand einfach im Garten - wie hingezaubert", sagt Edith (Susanne Wolff). Die Dorfgemeinschaft reagiert skeptisch auf den Neuankömmling. Ihr Name: Meïsis (verkörpert von der siebenjährigen Viola Hinz). "Da kommt einfach so eine Fremde über unsere Grenze!" Doch Ediths Tochter Skalde (gespielt von Matilde Bundschuh) und ihre Mutter nehmen das Kind gegen alle Widerstände bei sich auf.
Deutsches Genre-Kino, wie man es selten sieht
Das Mädchen fragt verwundert: "Wieso sagen alle Leute, dass ich Unglück bringe". Rein äußerlich wirkt sie wie ein normales Mädchen. Doch die Gemeinschaft achtet peinlich genau darauf, dass keine Einflüsse von außen eindringen. Doch ist das Kind wirklich so anders? Skalde beschwört die Dorfgemeinschaft: "Sie wird ihre Milchzähne verlieren - sie ist eine von uns!" Irgendwann steht Pesolt da und fordert: "Zeig uns das Kind"!
Der Film nach dem gleichnamigen Roman von Helene Bukowski ist deutsches Genre-Kino, wie man es selten sieht. Keine klassische Science-Fiction, sondern ein Drama mit Mystery-Elementen, das geschickt mit den Ängsten und Vorbehalten gegenüber allem Fremden spielt. Und somit auch als Spiegel unserer gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation dient. Der Film ist atmosphärisch erzählt, einnehmend, wenn auch nicht immer ganz ausgegoren. Von den fantastischen Bildern her erinnert er an die dystopische Erfolgsserie "The Last of Us" (mit Pedro Pascal).
Milchzähne als Metapher und Symbol
Vor wenigen Tagen hat die Schweizer Regisseurin Sophia Bösch die Produktion bei den Nordischen Filmtagen gezeigt - und bei einer Hamburger Premiere im Zeise Kino. Als sie die Buchvorlage von Helene Bukowski von ihrer Produktionsfirma bekommen habe, habe sie sofort gedacht "der Roman ist sehr filmisch geschrieben. Ich hatte sofort die ganz großen Bilder vor Augen und dachte, 'das muss ein Film werden'", erzählt Sophia Bösch im Gespräch mit NDR Kultur.
"Die Milchzähne sind in dieser Geschichte eine Metapher, aber auch ein konkretes Symbol. Die Kinder haben nämlich als Zeichen der Zugehörigkeit zu dieser Dorfgemeinschaft ihre Zähne, die sie als Kind verloren haben, an einer Kette um den Hals. Es geht eine Sage um, dass die Menschen von außen keine echten Menschen seien und das sehe man anhand der Zähne. Dass Wolfskinder, so nennen wir sie im Film, von außen untergejubelt würden. Die erkenne man daran, dass sie ihre Zähne nicht verlieren."
"Milchzähne" zum Teil in Norddeutschland gedreht
Für sie sei der Film "eine Art düsteres Märchen. Es hat gewisse dystopische Züge und hat etwas Entrücktes, Märchenhaftes, was unserer Realität sehr ähnlich ist, aber leicht verschoben." Das kleine Mädchen sei ein Katalysator, das etwas mit sich bringe, auch ein Wissen, "was die Hauptfigur Skalde auf eine Reise schickt, die sie gehen muss", sagt Bösch. Es gehe auch ums Erwachsenwerden.
Die Locations zu finden, sei gar nicht so einfach gewesen: "Weil wir so fern jeglicher Zivilisation drehen wollten. Es ist alles sehr rudimentär in dieser Dorfgemeinschaft. Wir waren in Thüringen, Schleswig Holstein, Brandenburg und Mecklenburg Vorpommern. Den Wald haben wir aus verschiedenen Drehorten zusammengefügt." Der Film wurde unter anderem von der Moin Filmförderung unterstützt.
Der Film läuft seit 21. November im Kino, FSK: ab 12 Jahren.