Die Lichterkette mit dem Schriftzug Weihnachtsmarkt spiegelt sich im Fenster eines Polizeiautos © picture Alliance Foto: Thomas Bartilla

NachGedacht: Die Welt brüllt lauter, die Sinne werden stumpfer

Sendung: NachGedacht | 30.12.2023 | 10:20 Uhr | von Kühn, Ulrich
4 Min | Verfügbar bis 30.12.2025

Ulrich Kühn freut sich in seiner Kolumne auf die Adventszeit mit ihrem wärmenden Licht. Leider nicht ohne Bitterkeit, weil er diese Tage, alles in allem, trotzdem viel zu düster findet.

Und wieder wird Advent und es locken Dezemberlichter: alles besser als November. Abends ein Glühwein am Stand, süßer Kram ohne Zuckerwarnung, Stände mit Wollhandschuhen, blechernes Scheppern der Weihnachtslieder, die schön gewesen sind, bis man sie das Dudeln lehrte.

Drüben das Pferdekarussell, auf dem gelangweilt ein Kleinkind sitzt, und in den Altstädten hier und da Düfte von Mittelaltermärkten, die uns erinnern wollen: Es gab eine kernige Zeit, in der man sein Brot noch selber buk und in ranzigen Sackklamotten immerzu lächelnd menschlich war. Vielleicht auch einander umgebracht hat. So fern liegt dieses Mittelalter - man kann es gefahrlos romantisieren.
Nicht ganz vielleicht. Nicht so fern und nicht so gefahrlos. Erneut die Schlagzeile jetzt: Anschlag auf Weihnachtsmarkt geplant. Es brodele, schreibt der "Spiegel", in Deutschlands Islamisten-Szene, nicht nur einen Weihnachtsmarkt hätten zwei Teenager anvisiert, sondern auch eine Synagoge. Spätestens jetzt klopft es wieder an, das beklemmende Gefühl: Die Geschichte der Menschheit - ist sie vielleicht am Ende doch eine in sich verdrehte Spirale?

Nichts geht herrlich immer voran, nichts wird für immer überwunden. Der Weihnachtsmarkt-Horror von 2016, der zuletzt blasser und blasser wurde: Wieder, wie so oft, war die Hoffnung gewachsen, man werde das alles hinter sich lassen. Die Beklemmung. Das Verdrängen. Nichts davon ist vergangen.

Verdrängen ist Kunst und ist Verhängnis. Es ermöglicht ein Weiterleben, das uns lächeln lässt, plappern, planen, lieben. Und es ermöglicht Negieren, mutwilliges Vergessen. Es sorgt gründlich dafür, dass Lektionen ungelernt bleiben. Wer länger auf der Welt ist, muss sich gegen den Eindruck wehren: Mancher horrende Irrtum bleibt jahrtausendelang in Kraft, und stehe er für das Grauen schlechthin. Woran ich denke, erklärt sich von selbst.

Und dann noch, zu allem Überfluss, das Dröhnen des Mahlwerks der Rechthaberei, panzerkrawallhafte Meinungsgewissheit bei längst abgestumpften Ohren. Man ist es jetzt so laut gewöhnt, dass die feineren Zwischentöne fast aus dem Wahrnehmungsspektrum verschwinden.

Es hilft ja nichts. Man wird älter, die Welt brüllt lauter, die Sinne werden stumpfer. Wir müssen mit dem hantieren, was wir mal mitbekommen haben und noch mitzubekommen vermögen. Im Moment ist es schwierig. Im Moment vibrieren Sorgen, die wir überwunden glaubten. Im Moment sind da Kriege, denen kein friedliches Ende winkt. Im Moment sieht es wieder so aus, als drehe sich die Welt in Spiralen. Die Schlimmste von allen, wie ich finde: Ein Antisemitismus brach auf, den man sich nicht mehr vorstellen wollte, quittiert mit Eiseskälte und relativierendem Text, der Vorurteile und üble Gefühle in aller Unklarheit vermengt. Und Tausende sterben im Krieg. Wann wird es heller?

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