Am 11. September 2001 steigt schwarzer Rauch aus den brennenden Türmen des World Trade Centers in New York. © picture-alliance/ dpa/dpaweb | Jason_Szenes

9/11: Terror in den USA - Spur der Attentäter führt nach Hamburg

Stand: 11.09.2024 08:15 Uhr

Einige der Attentäter vom 11. September 2001 in den USA haben in Hamburg gelebt, auch "Todespilot" Mohammed Atta. In der Hansestadt wurde sein "Statthalter" Mounir Al-Motassadeq 2003 wegen Beihilfe zu 3.066-fachem Mord verurteilt.

von Marc-Oliver Rehrmann

Kurz nach den Anschlägen auf das World Trade Center (WTC) in New York City und das Pentagon bei Washington am 11. September 2001 bricht auch für die Hamburger Polizei der Ausnahme-Zustand aus. Noch am selben Abend kommt das erste Gerücht auf, dass eine Spur der Attentäter nach Hamburg führt. Am folgenden Tag gegen 22.20 Uhr ist es dann offiziell: Im Lagezentrum der Hamburger Polizei geht eine Liste des FBI mit den Namen der mutmaßlichen Attentäter aus der Hansestadt ein. Eine Abfrage des Melderegisters offenbart: Die Verdächtigen sind tatsächlich in Hamburg registriert.

AUDIO: 22 Jahre nach 9/11: Juristische Aufarbeitung lahmt (4 Min)

Mohammed Atta: Der "Todespilot" - ein Hamburger Student

Die Schlagzeile der "Hamburger Morgenpost" am 13. September 2001: "Terror-Piloten lebten in Hamburg!" © dpa/ Picture-Alliance
Am 13. September 2001 titelt die "Hamburger Morgenpost": "Terror-Piloten lebten in Hamburg".

Mit dabei: Mohammed Atta. Der 33 Jahre alte Ägypter hat am Morgen des 11. September das erste von vier entführten Flugzeugen in den Nordturm des World Trade Centers (WTC) gesteuert. "Es stellte sich dann heraus, dass es die Wohnung in der Marienstraße 54 in Harburg war, in der Mohammed Atta gelebt hatte", schildert später der damalige Pressesprecher der Hamburger Polizei, Reinhard Fallak, die Ermittlungen.

Mehrere Jahre bevor Atta bei dem Anschlag mit dem American-Airlines-Flug 11 mit weiteren 91 Menschen an Bord und einer unbekannten Anzahl von Opfern an der Einschlagstelle am Twin Tower stirbt, studiert er an der TU Hamburg-Harburg. 1992 schreibt er sich dort ein. Im Sommer 1999 reicht Atta seine Diplomarbeit über die vom Abriss gefährdete Altstadt von Aleppo in Syrien ein (Note: 1,7). Sein Deutsch ist hervorragend.

9/11 und die Stationen von Mohammed Atta

Die "Terror-WG": Letzte Spuren im Bad

Das Haus in der Marienstraße 54, in dem Mohammed Atta wohnte © NDR.de Foto: Marc-Oliver Rehrmann
In der Marienstraße 54 (Bildmitte) in Hamburg-Harburg lebte Mohammed Atta, bevor er in die USA ging.

In der Marienstraße wohnt er ab dem 1. November 1998. In einer Drei-Zimmer-Wohnung. 58 Quadratmeter groß. Zusammen mit Ramzi Binalshibh und Said Bahaji. Dort schauen sich die Ermittler in der Nacht auf den 13. September 2001 um. "Das Problem war, dass die Wohnung schon neu renoviert war", so Polizeisprecher Fallak. "Aber ein paar Gebrauchsspuren im sanitären Bereich, die man den Tätern zuordnen konnte, fanden die Ermittler noch." Die Bewohner der "Terror-WG" sind bereits Monate zuvor ausgezogen: Mohammed Atta hält sich zum Zeitpunkt der Wohnungsauflösung längst in den USA auf.

Acht Wohnungen werden in jener Nacht zum 13. September insgesamt überprüft, wie Hamburgs damaliger Innensenator Olaf Scholz am folgenden Tag berichtet. Eine 200 Mann starke Sonderkommission wird gebildet, die den Spuren der "Hamburger Terrorzelle" nachgeht. Unterstützt werden die Ermittlungen von Beamten des FBI und des US-Geheimdienstes CIA.

TU Harburg wird von Presseanfragen überrollt

Aus aller Welt reisen Journalisten an, um zu sehen, wo Mohammed Atta und seine Freunde lebten und studierten. In den zwei Wochen nach den Anschlägen geben Mitarbeiter der TU Harburg 150 Journalisten aus 15 Ländern Interviews. Eine Extrem-Situation. Der damalige Uni-Präsident Christian Nedeß zeigt sich "erschüttert, dass die Spur des Verbrechens nach Hamburg führt". Die Hochschule ruft zu Spenden für die Angehörigen der Opfer in den USA auf. Etwa 3.000 Menschen sind bei den Anschlägen getötet worden.

Drei der "Terror-Piloten" vom 11. September aus Hamburg

Eine Überwachungskamera hält fest, wie Mohammed Atta (rechts) am 11. September 2001 die Kontrolle am Flughafen von Portland passiert. © dpa/ Picture-Alliance Foto: Portland Police-Department
Dieses Bild einer Überwachungskamera zeigt, wie Mohammed Atta (rechts) am 11. September 2001 die Kontrolle am Flughafen von Portland passiert.

Drei der vier Selbstmord-Piloten haben die Jahre zuvor in Hamburg verbracht. Neben Atta ist dies zum einen der 23 Jahre alte Marwan Al-Shehhi. Er steuert am 11. September ein entführtes Flugzeug in den Südturm des World Trade Centers. Der dritte im Bunde: der 26 Jahre alte Ziad Jarrah. Er hat den Auftrag, eine United-Airlines-Maschine (Flug 93) in das Kapitol in Washington zu fliegen. Wahrscheinlich sind es Passagiere, die dies verhindern: Die Maschine stürzt auf einem Feld bei Pittsburgh ab, alle Menschen an Bord kommen ums Leben.

VIDEO: 9/11: Hamburger Todespiloten - Neue Spuren, neue Namen (2002) (7 Min)

Zammar: "Atta zählte zu meinen besten Freunden"

Der Kreis um den Terroristen Mohammed Atta: (oben von links nach rechts) Zakariya Essabar, Ramsi Binalshibh, Said Bahaji und Marwan Al-Shehhi - (unten von links nach rechts) Mounir El Motassadeq, Mohammed Atta, Abdelghani Mzoudi und Ziad Jarrah © dpa/ Picture-Alliance
Der Kreis um den Terroristen Mohammed Atta: (oben v.l.n.r.) Zakariya Essabar, Ramsi Binalshibh, Said Bahaji und Marwan Al-Shehhi - (unten v.l.n.r.) Mounir Al-Motassadeq, Mohammed Atta, Abdelghani Mzoudi und Ziad Jarrah.

Wie aber kommt es, dass ausgerechnet ein paar Studenten aus Hamburg eine so verhängnisvolle Rolle bei den Anschlägen vom 11. September hatten? Eine Schlüsselfigur dabei ist Mohammed Haydar Zammar. Er führt die "Hamburger Terrorzelle" Jahre zuvor zusammen. Der gebürtige Syrer kommt 1971 nach Deutschland, elf Jahre später wird er eingebürgert. Der gelernte Kfz-Schlosser aus Alsterdorf begeistert Atta und seine Gefährten in Hamburg für den Dschihad, den Kampf gegen "die Ungläubigen". Zammar trifft sie in der Al-Quds-Moschee am Steindamm 103 im Stadtteil St. Georg.

Sie seien damals "meine besten Freunde" gewesen, sagt Zammar später rückblickend. Gemeint sind die späteren "Todespiloten" Mohammed Atta, Marwan Al-Shehhi und Ziad Jarrah sowie der Student Mounir Al-Motassadeq. "Ich wollte immer Dschihad machen gegen die Ungerechtigkeit gegenüber Muslimen." So schildert Zammar es im Jahr 2018 in einem Gespräch mit dem "Spiegel". Der Krieg in Bosnien gegen die Muslime habe ihn radikalisiert.

Mohammed Atta und Co.: Die "Hamburger Terrorzelle"

"Wir wollten nicht verloren gehen in dieser Gesellschaft"

Das verbindende Element der Hamburger Freunde beschreibt Zammar als gesellschaftlich motiviert: "Wir wollten nicht verloren gehen in dieser Gesellschaft, wo alles erlaubt ist: Sexualität, unanständiges Anziehen. Wir wollten uns als Gruppe helfen, mit Gott zu bleiben, den Koran zu lesen." Er vervielfältigt damals eine Broschüre mit Osama Bin Ladens Aufruf zum Dschihad gegen Amerika und verteilt sie vor der Moschee in St. Georg. "Dafür schäme ich mich nicht", sagt Zammar dem "Spiegel". "Für mich war Bin Laden ein sehr sympathischer, guter Mensch."

Von Hamburg zu Al-Qaida nach Afghanistan

Den Kontakt zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida suchen Mohammed Atta und drei Weggefährten aus Hamburg offenbar von sich aus. Ende 1999 brechen sie auf eigene Faust zu einem islamistischen Ausbildungslager in Afghanistan auf, um sich dem "Heiligen Krieg" anzuschließen. Durch diese Reise wird die Al-Qaida-Führung, die gerade die Anschläge in den USA plant, auf die jungen Männer aufmerksam. Dass die drei aus Norddeutschland unauffällig im Westen leben, ist aus Sicht des Terrornetzwerks ideal. Und Atta ist nach seinem Afghanistan-Aufenthalt offenbar fest entschlossen, die Anschläge mit entführten Passagiermaschinen durchzuführen. Menschen, die ihn zu dieser Zeit in Hamburg erleben, berichten später von seinem Hass auf Israel und Juden. Im Sommer 2000 - mehr als ein Jahr vor den Anschlägen - ziehen Atta und Co. in die USA, um Flugschulen zu besuchen. Dort wollen sie lernen, wie man ein Flugzeug steuert.

Blick von New Jersey über den Hudson River auf die Zwillingstürme des World Trade Centers in Manhattan © picture alliance/dpa Foto: Dabrowski
AUDIO: 9/11 - Die Vorgeschichte (30 Min)

Der Marokkaner Motassadeq, seit 1993 in Deutschland und ab 1995 für Elektrotechnik an der TU Hamburg-Harburg eingeschrieben, bleibt in der Hansestadt. Mit Atta hatte er an der Islam-AG auf dem Hochschulgelände teilgenommen, war regelmäßig zu Gast in der Wohnung in der Marienstraße. Nun regelt er für die späteren Attentäter Geld- und Miet-Angelegenheiten - und er unterschreibt Attas Testament. Zudem reist er im Jahr 2000 in ein Al-Qaida-Trainingscamp nach Afghanistan.

Zammar: "Ich habe absolut nichts gewusst"

Zammar gibt in dem "Spiegel"-Interview an, nicht in die Anschlagspläne für den 11. September eingeweiht gewesen zu sein. "Die haben mir nichts gesagt. Ich hatte die letzten zwei Jahre davor auch kaum noch Kontakt zu den dreien. Ich habe absolut nichts gewusst. Wahrscheinlich haben sie mich außen vor gehalten, um mich nicht reinzureißen." Als er erfährt, dass seine Freunde maßgeblich an den Anschlägen des 11. September beteiligt gewesen waren, kann er es zunächst nicht glauben. "Ich dachte nicht, dass die das können."

Und tatsächlich: Deutsche Ermittler können Zammar keine Beteiligung oder Mitwisserschaft an den Terroranschlägen nachweisen. Ein Verfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung stellt der Generalbundesanwalt nach jahrelangen Ermittlungen ein.

Entführt, verschleppt, gefoltert

Dennoch hat seine Freundschaft mit den Attentätern für Zammar gravierende Folgen. Nach 9/11 wird er - wohl auf Geheiß des CIA - in Marokko festgesetzt und nach Syrien verschleppt. Dort sitzt der deutsche Staatsbürger mehr als zehn Jahre in syrischen Gefängnissen ein und wird laut eigener Aussage wiederholt gefoltert. 2013 kommt Zammar während des syrischen Bürgerkrieges frei und schließt sich dem "Islamischen Staat" an. 2018 wird er in Syrien von kurdischen Kämpfern festgenommen.

Einer wird verurteilt: Prozess gegen Mounir Al-Motassadeq

Mounir El Motassadeq im Jahr 2006, umringt von Journalisten. © dpa/ Picture-Alliance
Im weltweit ersten Prozess um die Anschläge vom 11. September wurde Mounir Al-Motassadeq zu 15 Jahren Haft verurteilt.

Weltweit wird nur einer aus dem Kreis der Attentäter des 11. September und ihrer mutmaßlichen Helfer verurteilt - und zwar in Hamburg. Am 22. Oktober 2002 beginnt der Prozess vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht gegen den damals 28-jährigen Mounir Al-Motassadeq. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, die Anschläge mit der Hamburger Terrorzelle mit vorbereitet zu haben und sieht Beihilfe zum Mord in mehr als 3.000 Fällen. "Ich habe nie zu dieser Gruppe gehört", sagt Motassadeq vor Gericht und bestreitet über das gesamte Verfahren hinweg, an den Anschlägen des 11. September beteiligt gewesen zu sein.

In den folgenden fünf Jahren liefern sich Anklage und Verteidigung ein juristisches Tauziehen und kämpfen um jeden Punkt. Ein erstes Urteil fällt am 19. Februar 2003: Wegen Beihilfe zum Mord in 3.066 Fällen und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung soll Motassadeq für 15 Jahre hinter Gitter. Doch nicht nur gegen dieses Urteil legen Motassadeqs Anwälte Revision beziehungsweise Beschwerde ein. Der Angeklagte kommt zwischenzeitlich auf freien Fuß, wird erneut inhaftiert, wird abermals aus der Haft entlassen, kommt wieder hinter Gitter.

Anfang 2007 schließlich steht der finale Schuldspruch gegen Motassadeq: Er wird zu 15 Jahren Haft verurteilt - wegen Beihilfe zum Mord an den 246 Passagieren, die in den zum Absturz gebrachten Flugzeugen gesesssen haben, und wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.

Motassadeq: Einreise-Verbot bis 2064

Nach Verbüßung eines Großteils seiner Haftstrafe wird Motassadeq am 15. Oktober 2018 schließlich in sein Heimatland Marokko abgeschoben - im Alter von 44 Jahren. Bis zu seinem 90. Geburtstag im Jahr 2064 darf er nicht wieder nach Deutschland einreisen.

Ein Mahnmal vor dem US-Generalkonsulat

Peter Tschentscher (r), Hamburgs erster Bürgermeister, Susan Elbow, ehemalige US-Generalkonsulin in Hamburg (2001 im Amt) und Darion Akins, der Generalkonsul der Vereinigten Staaten von Amerika, enthüllen anlässlich des 20. Jahrestags der Terroranschläge vom 11. September 2001 zwei Schrifttafeln vor dem Generalkonsulat der USA in Hamburg. © picture alliance/dpa Foto: Ulrich Perrey
Im Beisein von Susan Elbow, der ehemaligen US-Generalkonsulin in Hamburg, enthüllten Hamburgs Bürgermeister Tschentscher und Darion Akins, Generalkonsul der USA, das Mahnmal zum Gedenken der Opfer von 9/11.

Heute erinnert ein Mahnmal in Hamburg an die Opfer der Anschläge vom 11. September. Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und US-Generalkonsul Darion Akins enthüllen 20 Jahre nach dem Terror Tafeln in englischer und deutscher Sprache vor dem US-Generalkonsulat an der Außenalster. "Der 11. September 2001 hat die Welt verändert", so Tschentscher am 20. Jahrestag im September 2021. Mit dem Gedenken an die Opfer wolle Hamburg erneut Anteilnahme und Solidarität zeigen. Seit dem Sommer 2022 befindet sich das Generalkonsulat in der Hafencity. Die seit 2001 vorgenommene Straßensperrung am Gebäude an der Alster wird im Januar 2023 zumindest für Radfahrer und Fußgänger aufgehoben.

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 11.09.2023 | 05:15 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Zeitgeschichte

Die 2010er-Jahre

Terrorismus

Mehr Geschichte

Autos fahren am 06.05.2003 durch die vierte Röhre des Hamburger Elbtunnels. © picture-alliance / dpa Foto: Soeren Stache

Neuer Elbtunnel: Hamburgs Hoffnungsträger unter Wasser

Am Hamburger Elbstrand beginnen 1968 die Arbeiten am Neuen Elbtunnel. Auch nach dem Bau einer vierten Röhre ist die Unterführung weiter ein Nadelöhr. mehr

Norddeutsche Geschichte