Sendedatum: 10.01.2002 20:15 Uhr

Kandidat Stoiber - Vom Kofferträger zum Machtmenschen

von Bericht: Ellen Kaufmann, Andreas Lange, Nicole Stoffele

Fragt man heute einen Bayern nach dem großen Spezlkönig Franz Josef Strauß, wird er sagen: Mei, a Hund war a scho. Das Erregungspotential über Affären und Gebaren von bayerischen Politikern war im Freistaat von jeher gering. Im Rest der Republik sah man das anders. Deshalb blieb Franz Josef Strauß wohl auch immer nur Kanzlerkandidat. Jetzt will sich wieder einer auf den Weg von Bayern nach Berlin machen: Edmund Stoiber.

VIDEO: Kandidat Stoiber - Vom Kofferträger zum Machtmenschen (7 Min)

Mit Franz Josef Strauß verbindet ihn nahtlose politische Übereinstimmung, hat er mal gesagt. Und auch machtstrategisch steht er seinem politischen Ziehvater in nichts nach. Vielleicht adeln die Bayern später auch mal Stoiber mit den Worten: Mei, a Hund war a scho.

Sein langer Marsch nach Berlin begann im bayerischen Landtag. Stoiber, ganz am Anfang seiner CSU-Karriere. Ein Streber, sagen selbst Freunde. Und auch seine Schwester hat ihren Bruder als perfekten Musterknaben in Erinnerung.

Silke-Anne Rieger, die Schwester von Edmund Stoiber: "Mein Bruder hat keine Streiche gemacht. Der ist ein halber Pastor, ein halber Pfarrer. Er hat so eine - wenn er das nicht geworden wäre, Politiker, wäre er wahrscheinlich Pfarrer geworden."

Doch Stoiber macht Politik, mit missionarischem Eifer, oft hart am rechten Rand der Union. Das blonde Fallbeil - so nennen ihn viele - raucht nicht, trinkt nicht, spielt nicht, sondern wettert gegen den Verfall der Sitten, gegen den Geist der siebziger Jahre.

Michael Stiller, Landtags-Korrespondent Süddeutsche Zeitung: "Eine seiner ersten Aktivitäten war, dass er Nacktbader von der Isar vertreiben wollte. München hat ein großes Erholungsgebiet zu seinem Heimatort Wolfratshausen hin, und in diesen Isarauen, die wunderschön sind, tummelten sich die Nackten. Und das war seinem sittlichen Streben irgendwie völlig abhold. Und da hat er so ein Image eines bleichen Landgrafen bekommen, das ihm lange, lange angehangen hat."

Stoiber, ganz jung und schon so nah an der Macht. Als CSU-Generalsekretär der treue Diener von Franz Josef Strauß und sein gefürchteter Kettenhund, mit besonders feiner Witterung für Linke und Liberale - ganz wie der Chef.

Oktober 88. Strauß ist tot. Der Kampf um sein politisches Erbe ist schnell entschieden: Theo Waigel und Max Streibl teilen Macht und Ämter unter sich auf, Stoiber wird mit einem Kabinettsposten abgespeist.

Michael Stiller: "Die Machtschattengewächse von Strauß - Stoiber, Tandler, Gauweiler - wurden in den Hintergrund gedrängt. Und das hat Stoiber 1988 nicht vergessen."

Max Streibl, der neue Ministerpräsident, ahnt nichts Böses, als die sogenannte Amigo-Affäre erste Schlagzeilen macht. Streibl, heißt es, habe sich von Industriellen teure Luxusreisen bezahlen lassen. Aber Max Streibl vertraut auf das System Strauß, das Netzwerk der Freunde und Günstlinge des toten Übervaters. Doch plötzlich jagt eine Amigo-Meldung die andere, und immer sind es Heckenschützen aus der eigenen Partei, die dahinter stecken. Vor allem Stoiber-Leute füttern die Journalisten.

Stiller: "Er wird dann gnadenlos, wenn Leute ihm im Weg stehen oder ihm schaden. Dann entwickelt er einen politischen Killerinstinkt, der seinesgleichen sucht."

Erich Riedl, Ex-Staatssekretär und ein alter Strauß-Amigo, erinnert sich: "Was ich an Stoiber - was mir nicht gefallen hat, ist, wie rasch er sich vom System Strauß entfernt hat, geradezu kategorisch abgekapselt hat. Denn er war ja - also so eng wie Edmund Stoiber auf dem Schoß von Franz Josef Strauß saß, saß keiner von uns, niemand. Und da kann man dann halt einfach sagen: Da hab ich jetzt nichts mehr damit zu tun."

Streibl beteuert bis zuletzt seine Unschuld. Doch das System Strauß funktioniert nicht mehr, der Regierungschef muss abtreten.

Riedl: "Alles, was gut in Bayern läuft, ist Stoiber, und alles, was schlecht läuft - und natürlich läuft auch in Bayern manches schlecht, und natürlich gibt's auch in Bayern Politskandale und Schwierigkeiten in den Ministerien - hat Stoiber nichts damit zu tun."

Edmund Stoiber ist am Ziel: Ministerpräsident - und räumt nun auf unter den Amigos in der CSU. Gerold Tandler, erst Generalsekretär, dann Minister, stürzt über Geschäfte mit dem bayerischen Bäderkönig und Strauß-Spezi Zwick. Erich Riedl, Ex-Fußballpräsident und Staatssekretär, werden Schmiergeld-Affären bei Rüstungsgeschäften zum Verhängnis. Peter Gauweiler, Stoibers Umweltminister, muss gehen wegen angeblicher Vorteilsnahme im Amt. Und Stoiber? Längst auf dem Weg vom Amigo zum Saubermann. Eine wundersame Häutung.

Michael Stiller: "Das hat aber nicht so lange eigentlich vorgehalten, weil sich die Strauß-Kreise, die Erinnerungskreise, die Bruderschaften, die ihn nach wie vor verehren, sehr deutlich bemerkbar gemacht haben und ihm gesagt haben: Pass auf, der Max muss sich nur - der Max ist der Strauß-Sohn - 24 Stunden hinsetzen und alles zusammenschreiben, und dann bist du erledigt, was du in der Strauß-Zeit gemacht hast."

Das nächste Opfer: Alfred Sauter, Stoibers Justizminister. Der soll den Sündenbock abgeben für eine Affäre um die staatliche Baugesellschaft LWS. Stoiber, politisch mit verantwortlich für die Millionenpleite, opfert seinen alten Duzfreund. Doch der schlägt zurück, greift Stoiber öffentlich an. Das gab's noch nie in Bayern.

Alfred Sauter, CSU, Justizminister Bayern 1999: "Die vergangenen acht Tage waren für mich besonders schlimm, weil der Herr Ministerpräsident mich deutlich hat spüren lassen, dass er es nicht erwarten kann, sich endlich meiner entledigen zu können. Ich bin bisher davon ausgegangen, meine Damen und Herren, dass eine erfolgreiche jahrzehntelange Zusammenarbeit mit Würde beendet wird, wenn es schon sein muss. Leider bin ich eines Besseren belehrt worden."

Alfred Sauter: "Offensichtlich hat's gereicht, mich zu opfern, weil danach war meine Geschichte in der Öffentlichkeit nicht mehr von Interesse."

"Tut das weh?"

Sauter: "Es hat weh getan."

"Und jetzt?"

Sauter: "Jetzt bin ich um eine Erfahrung reicher."

Stiller: "Wenn man weiß, dass Sauter und Stoiber enge Freunde waren, per Du waren, sich dann das Du entzogen haben, dann weiß man, wie wenig plötzlich so etwas zählt. Und das wird Stoiber nachgesagt, dass er das in verschiedenen Fällen auch schon gemacht hat. Wenn ihm Leute lästig geworden sind, kann er sie fallen lassen wie heiße Kartoffeln. Das hat sich in der CSU herumgesprochen, dass im Ernstfall auf menschliche Qualitäten bei Stoiber niemand zählen kann."

Freunde, Hobbys, Laster - nicht Stoibers Welt. Ein Workaholic, 18-Stunden-Tage sind normal, Akten seine große Leidenschaft.

Sauter: "Es gibt einen guten Spruch, der lautet: Lieber 'ne dicke Akte als 'ne schlanke Nackte. Der trifft sicherlich auf Stoiber zu."

Erich Riedl: "Anekdoten gäbe es über viele Politiker, bis zu Helmut Kohl, ach Gott, Herbert Wehner könnte ich sogar zählen und tausend Geschichten - Sie sind mir hoffentlich nicht böse: über Stoiber fällt mir nichts ein."

"Warum nicht?"

Riedl: "Ja, weil's der Stoiber ist."

"Wie ist er?"

Erich Riedl: "So, wie ich ihn beschrieben habe - ziemlich humorlos."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 10.01.2002 | 20:15 Uhr

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