Sendedatum: 28.08.1997 21:00 Uhr

Naziaufmarsch aufgelöst - Wie die Polizei falsche Erfolgsmeldungen verbreitet

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Alle Jahre wieder, pünktlich zum Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess, gehen die braunen Garden, die Anhänger und Verehrer, auf die Straße. Und in Mecklenburg-Vorpommern, genauer: in Ludwigslust, ging die Polizei diesmal wohl besonders gezielt und besonnen gegen den braunen Mob vor. Das wurde dann stolz auch so veröffentlicht. Eine Erfolgsmeldung, gut für's Land, so dachte man wohl.

VIDEO: Naziaufmarsch aufgelöst: falsche Erfolgsmeldungen der Polizei (2 Min)

Thomas Berndt weiß da etwas anderes.

KOMMENTAR:

So soll es sein. Das sind Bilder, wie sie die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern liebt: Glatzen in Handschellen, kompromißlose Polizeibeamte. Schon ist es vorbei mit dem Nazi-Spuk. Letztes Wochenende in Ludwigslust. Schnell wird der Erfolg per Pressemeldung verbreitet: "Durch das sofortige Einschreiten der Polizei konnte der Aufzug binnen 15 Minuten beendet werden."

Stop, zurück. Was geschah wirklich in dieser Nacht in Ludwigslust?

Das sind die Bilder, die Mecklenburg-Vorpommerns Polizei gar nicht liebt. Für die Freunde von Rudolf Hess, dem Hitler-Stellvertreter, war es nämlich ein durchaus gelungener Abend. Unbehelligt marschierte die braune Horde, von Angst keine Spur, schon gar nicht vor der Polizei. Die begleitete schließlich den Marsch die ganze Zeit in aller Seelenruhe. Attackiert wurden vorerst nur die Journalisten, die den gemeinsamen Auftritt von Nazis und Polizei dokumentierten.

Wie erfolgreich Nichtstun sein kann und wie geschickt gerade diese Taktik war, erklärte uns die Polizei dann gestern:

0-Ton

KLAUS WIECHMANN:

(Polizei Schwerin)

"Wir haben uns dazu entschlossen natürlich, einzugreifen und diesen Aufzug zu stoppen. Ein aktives Eingreifen ist insoweit von uns nicht mehr erfolgt. Als dann praktisch die Aufzugsteilnehmer die Höhe der eingesetzten Polizeikräfte passiert hatten, haben sie selbständig den Aufzug aufgelöst."

INTERVIEWER:

"Durch Ihre Präsenz haben Sie sozusagen die Kundgebung gesprengt?"

KLAUS WIECHMANN:

"So kann man das deutlich machen, ja."

KOMMENTAR:

Die Bilder des Abends freilich sahen anders aus. Am Ende von Polizei keine Spur. Mit deutscher Gründlichkeit beendeten die Nazis ihren Aufmarsch - ganz allein. Einmal quer durch die Stadt für Rudolf Hess, das reicht ja auch. Nur ein einziger Polizeiwagen in sicherer Entfernung. Von hier konnte man ungestört beobachten, wie die Nazis nach Hause fahren.

Plötzlich dann aber schlägt das Nichtstun um in hektische Betriebsamkeit. Acht Nazis sind noch in der Stadt. Alle acht Spätzünder trifft die volle Härte des Gesetzes. Gut für's Image, gut für die Polizei, gut für Mecklenburg-Vorpommern.

0-Ton

INTERVIEWER:

"Also Sie würden diesen Einsatz durchaus positiv bewerten?"

KLAUS WIECHMANN:

"Jawohl."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 28.08.1997 | 21:00 Uhr

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