Buxtehude und die Verkehrsberuhigung: Die Tempo-30-Zone wird 40
Als eine von sechs Modellstädten testete Buxtehude im Landkreis Stade ab dem 14. November 1983 die Tempo-30-Zone. Damals sorgte sie für Protest, inzwischen ist sie aus dem Bild vieler Städte nicht mehr wegzudenken.
Große Blumenkübel aus Rohrsegmenten stehen an den Straßenrändern, ein Schild mit dem Hinweis auf eine Tempo-30-Zone davor. Unter der schwarzen 30 mit rotem Rahmen noch der Zusatz "Verkehrsberuhigung". Das war so ab 14. November 1983 in der Konopkastraße, einer Straße in der neu gebauten Siedlung Sagekuhle in Buxtehude. Autofahrern dürften diese Schilder besonders ins Auge gestochen sein. Dass ein ganzes Viertel zur verkehrsberuhigten Zone erklärt wurde, ist in Deutschland neu.
Ein umstrittenes Projekt
Stadtbaurat Otto Wicht, der mittlerweile verstorben ist, muss damals viel Spott über sich ergehen lassen. "Kübel-Otto" nennen die Bürger ihren Stadtbaurat, als Anspielung auf die knapp 200 Blumenkübel, die Wicht in den neuen verkehrsberuhigten Bereichen aufstellen lässt. Freiwillig geht anfangs nämlich kaum ein Autofahrer vom Gas. In einer Gesprächsrunde im NDR-Fernsehen muss sich Wicht im Januar 1984 verschiedene Vorwürfe anhören. Zur Fragerunde sind auch 20 Buxtehuder Bürger geladen. "Mit welcher Berechtigung verstellen Sie mit einem unheimlichen Aufwand ausgebaute Kreuzungen so, dass man sie nur noch mit einem Kompass befahren kann?", ärgert sich einer der Studiogäste.
Andere Tempo-30-Gegner sehen in den Blumenkübeln sogar eine Gefahr. Die aufgestellten Betonhindernisse würden ihnen die Einsicht auf die Straße einschränken. "Unmöglich, ich fahre lieber schneller" oder "Jetzt sind die Straßen ja noch mehr verstopft als vorher", die Autofahrer in Buxtehude haben viel Wut auf das Modellprojekt. Otto Wicht lässt die Kritik nicht an sich heran, entgegnet in der Gesprächsrunde nur: "Es fehlt nur noch, dass Sie sagen, ab 150 kannst du abheben wie auf dem Flughafen. Wir müssen doch umdenken lernen."
Von Blumenkübeln zu Berliner Kissen
Um das Projekt möglichst kostengünstig zu halten, müssen 1983 zunächst einmal die Blumenkübel als Geschwindigkeitsbegrenzung herhalten. Betonrohrsegmente werden kurzerhand umfunktioniert und mit Blumenerde gefüllt. Um einen Schritt auf die Menschen in Buxtehude zuzugehen, die sich auch nach einiger Zeit nicht mit den Kübeln anfreunden können, lässt Stadtbaurat Wicht später Bäume pflanzen und Bodenwellen einbauen. Nun soll die Aufpflasterung der sogenannten Berliner Kissen den Verkehr beruhigen. Doch auch hier kommt es anfänglich zu Problemen. "Diese Hügel, die wurden bestimmt fünf, sechs Mal gepflastert, weil das immer nicht richtig war", erzählt Anwohner Karl Brunckhorst dem NDR. Regelmäßig seien tiefergelegte Autos auf dem Pflaster aufgeschlagen und Reparaturarbeiten nötig gewesen. Heute gehören die "Berliner Kissen" bundesweit zum Straßenbild von Tempo-30-Zonen.
Positiver Effekt der 30er-Zone auf Fahrverhalten und Sicherheit
Trotz allen Ärgers und Frusts in Buxtehude, der Modellversuch hat einen positiven Effekt. So sei auf den Tempo-30-Straßen nicht nur langsamer gefahren worden, sondern auch wesentlich gleichmäßiger und ruhiger, so der ADAC in der Auswertung der Versuchsergebnisse. Zudem hätten Anwohner ihre eigene Fahrweise in Befragungen als vorsichtiger und ruhiger beschrieben. Das schlägt sich auch in den Unfallzahlen im Modellgebiet nieder. In den beobachteten Straßen sinkt den Angaben zufolge die Zahl der Schwerverletzten um etwa 75 Prozent.
1990 wird die Tempo-30-Zone bundesweit eingeführt und in die Straßenverkehrsordnung aufgenommen. Sie darf maximal 1.000 Meter lang sein und die Fahrbahn muss einer bestimmten Breite entsprechen. Diese Begrenzungen werden 2001 aufgehoben.
Otto Wicht wird zum Preisträger
Für die Buxtehuder Bürger ist die höhere Sicherheit zunächst kein schlagendes Argument. Doch das Meinungsbild ändert sich. Als auch überregional über die positiven Versuchsergebnisse in Buxtehude berichtet wird, sind die Menschen in der Hansestadt begeistert. Spätestens als Otto Wicht den Deutschen Verkehrssicherheitspreis bekommt, ist der anfängliche Ärger über Blumenkübel am Straßenrand vergessen. Und auch heute beschwert sich keiner mehr über einen Kübel. Im Gegenteil, die Stadt bekommt regelmäßig Hinweise auf weitere Bereiche, in denen eine Verkehrsberuhigung sinnvoll sein könnte.
20 ist das neue 30 in Buxtehude
Die Stadt Buxtehude ist heute fast flächendeckend eine Tempo-30-Zone. An der Zufahrt zur Altstadt steht seit dem vergangenen Jahr allerdings keine 30 mehr auf dem Straßenschild, sondern eine 20. Die Hansestadt hat damit wieder einen Modellversuch gestartet. Damit ist die Altstadt jetzt ein verkehrsberuhigter Geschäftsbereich, so die offizielle Bezeichnung. Perspektivisch strebe die Stadt in diesem Bereich sogar eine Tempo-10-Zone an, so Verkehrsplaner Johannes Kleber. Derzeit erlaube die Straßenverkehrsordnung das noch nicht. In Berlin ist an einer Stelle schon der Versuch unternommen worden, so eine Zone einzurichten. Sie musste aber nach Klagen zurückgenommen werden.
Reform soll Vereinfachungen bringen
Bundesweit spielt dieser Versuch zwar keine besonders große Rolle, die Stadt Buxtehude engagiert sich aber nach wie vor in der Verkehrspolitik. In der Initiative "Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten" haben sich bundesweit Städte zusammengeschlossen. Sie fordern mehr Handlungsmöglichkeiten für Kommunen, wenn es um Tempo-30-Zonen geht. Noch können sie das Tempo-Limit nur an besonderen Gefahrenstellen und mithilfe von Gutachten anordnen. Eine Reform hat das Bundeskabinett bereits beschlossen, nachdem der Druck der mittlerweile über 900 Kommunen im Bündnis größer wurde. Zwar sieht diese Reform kein flächendeckendes Tempo 30 in Städten vor, aber Kommunen, die mit dem Klima- und Umweltschutz, der Gesundheit oder der städtebaulichen Entwicklung argumentieren, sollen es künftig leichter haben.