Zehnkampf-Olympiasieger Willi Holdorf beim Diskuswerfen in Tokio 1964 © picture-alliance/ dpa

Willi Holdorf - Ein wahrer König der Athleten

Stand: 06.07.2020 11:45 Uhr

Willenskraft war seine Stärke. So wurde Willi Holdorf am 20. Oktober 1964 in Tokio Deutschlands erster Olympiasieger im Zehnkampf. Doch der Holsteiner war nicht nur als Leichtathlet ein erfolgreicher Sportler. Als Bobfahrer holte er EM-Silber, später trainierte er die Bundesliga-Fußballer von Fortuna Köln.

20. Oktober 1964, Olympiastadion Tokio: Die Entscheidung im Zehnkampf steht an. Willi Holdorf, der junge deutsche Hoffnungsträger, liegt nach neun Disziplinen in Führung. Kann er sie verteidigen gegen den laufstarken Rein Aun (Sowjetunion)? 18 Sekunden Rückstand darf sich der Mann aus Leverkusen erlauben. Sonst ist der Traum vom Gold geplatzt. Holdorfs Aufgabe ist herkulesgleich. Er muss schneller laufen als je zuvor in einem 1.500-m-Lauf im Zehnkampf, 4:35 Minuten etwa. Doch Holdorf ist ein Kämpfer, Willenskraft einer seiner großen Trümpfe.

"Holdorf war am Ende seiner Kräfte. Aber er holte aus sich selbst Reserven heraus, die niemand hatte vermuten können. Zehn Meter vor dem Ziel begann der Deutsche hin und her zu taumeln", schilderte der französische Journalist Edouard Seidler in der "L'Équipe" jene Sekunden, in denen den Zuschauern der Atem stockte.

Ehrenrunde fällt aus

Kaum im Ziel, bricht Holdorf zusammen. 4:34,3 Minuten zeigen die Stoppuhren. "Willi, wir haben verloren", ruft ihm in Verkennung der Tatsachen Hans-Joachim Walde zu, der die Bronzemedaille gewinnt. Doch Holdorf hat nicht verloren. Ihm gehört Gold. Kraft zum Jubeln hat er da nicht mehr, die Ehrenrunde fällt aus. Aber der in Tallinn geborene Aun ist ein fairer Verlierer, er beugt sich nieder und hilft dem Deutschen auf die Beine, gleich zweimal. "Ich dachte an meinen kleinen Sohn zu Hause. Der sollte später nicht einmal sagen: Mein Vater hätte Olympiasieger werden können, aber er war zu schlapp dazu!" So schilderte Deutschlands erster Zehnkampf-Olympiasieger später dem Fachjournalisten Gustav Schwenk das, was ihm damals durch den Kopf ging.

Ein sportliches Multi-Talent

Auf dem Höhepunkt trat Holdorf mit nur 24 Jahren ab. Der Triumph von Tokio war sein letzter Zehnkampf. "Ich war schon verheiratet, musste eine Familie ernähren und mich um mein Studium kümmern", so Holdorf, der durch Olympia-Gold nicht reich wurde. Trotzdem hätte er nicht mit den heutigen Athleten tauschen wollen: "Wir hatten damals weniger Geld, aber mehr Spaß als heute. Die Kameradschaft unter uns Zehnkämpfern war groß."

Willi Holdorf (M.) beim Fußballtrainer-Lehrgang in Köln. © imago images / Horstmüller
Mit dem Fußball konnte Willi Holdorf (M.) auch umgehen, in Köln ließ er sich zum Trainer ausbilden.

Das Nordlicht erfreute sich größter Popularität, nicht nur seiner Goldmedaille wegen. Was Holdorf besonders auszeichnete, war Vielfältigkeit. Gewiss war der am 17. Februar 1940 im holsteinischen Blomesche Wildnis (bei Glückstadt) geborene Mehrkämpfer eines der größten Multi-Talente, das der (deutsche) Sport je gesehen hat. Viele seiner Karriere-Stationen seien aber Zufall gewesen, berichtete der Athlet, der nach seinem Olympia-Coup zum "Sportler des Jahres" gewählt wurde und das Silberne Lorbeerblatt bekam, die höchste Auszeichnung im deutschen Sport. Er hatte einen Namen, ein Sportlehrer-Diplom und eine Menge Kontakte. Als Bremser im Bob von Horst Floth etwa landete er nur, weil er den Piloten gut kannte. Es wurde EM-Silber daraus.

Markenzeichen Willensstärke

Leichtathlet war Holdorf geworden, weil ein Arbeitskollege eine Bezirksmeisterschaft ausrichtete. "Da laufe ich mit", meinte der damals 17-Jährige aus einer Laune heraus. Als Steppke war er zuvor dem Fußball nachgejagt, als Schüler stand er im Handball-Tor. Mit 19 war er deutscher Jugendmeister im Zehnkampf, fünf Jahre später Olympiasieger. Stationen als Leichtathletik-Coach in Leverkusen und Fußball-Trainer beim damaligen Bundesligisten Fortuna Köln folgten. Stabhochspringer Claus Schiprowski führte er 1968 als Trainer zu Olympia-Silber, und auch um das deutsche Tennis machte er sich verdient: Für das Davis-Cup-Team arbeitete er als Konditionstrainer. Was er auch tat: Er ging es mit Willenskraft, Kampfgeist und Disziplin an. "Vom Naturell her bin ich ein bisschen faul", sagte er. "Aber wenn ich merke, dass etwas zum Erfolg führt, entwickele ich viel Ehrgeiz."

Dem Sport verbunden geblieben

Den stellte Holdorf, der 2011 in die "Hall of Fame" des deutschen Sports aufgenommen wurde, auch nach Ende seiner sportlichen Karriere immer wieder unter Beweis. Als Repräsentant eines Sportartikel-Weltkonzerns blieb er der Leichtathletik über Jahrzehnte erhalten. Zudem saß er im achtköpfigen Wirtschaftsausschuss des Handball-Bundesligisten THW Kiel. Auch seine Ehefrauen wiesen achtbare Karrieren in seinen "Spezialgebieten" auf. Schon seine erste Frau Doris war Handball-Nationalspielerin, seine zweite Frau Sabine führte nach Jahren als Marketing-Expertin bei der Leichtathletik-Fördergesellschaft die Geschäfte beim THW Kiel. Sohn Dirk war sowohl Spieler als auch Manager beim Fußball-Drittligisten Eintracht Braunschweig. "Meine Familie hatte dafür Verständnis", blickte Holdorf auf seine vielen Tätigkeiten im Sport zurück.

2002 und 2008 erlitt der Vorzeige-Sportler aus dem Norden Schlaganfälle, aber er blieb agil. Sein letzter Traum, eine weitere Reise zu den Olympischen Spielen nach Tokio, ging jedoch nicht mehr in Erfüllung. Am 5. Juli 2020 starb die deutsche Sport-Ikone im Alter von 80 Jahren nach schwerer Krankheit zu Hause im schleswig-holsteinischen Achterwehr bei Kiel.

Dieses Thema im Programm:

Sport aktuell | 17.02.2020 | 09:25 Uhr

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