Ein Hannover-Fan hält einen Schal mit der Aufschrift "Das Derby" in die Höhe. © picture alliance / dpa Foto: Swen Pförtner

Eintracht Braunschweig - Hannover 96: Rivalen aus Tradition

Stand: 11.04.2024 15:36 Uhr

Wenn Eintracht Braunschweig und Hannover 96 aufeinandertreffen, ist es nicht einfach nur ein Fußballspiel. Das Niedersachsen-Derby geht über einen Nachbarschaftswettstreit hinaus, die beiden Städte eint nur eins: eine uralte Rivalität, die sich in den Fanlagern niederschlägt.

von Bettina Lenner und Florian Neuhauss

In den vergangenen Jahrhunderten konkurrierten beide Städte stets um die Vorherrschaft. War Braunschweig einst als Teil der Hanse die Regionalmacht, verlor die "Löwenstadt" im 17. Jahrhundert an Einfluss, während Hannovers Herrscher zu Kurfürsten wurden. Später blieb Braunschweig zwar ein eigenes Land, doch die Stadt an der Leine überholte den Nachbarn als Provinzhauptstadt Preußens durch die Industrialisierung und den Ausbau der Eisenbahn in ihrer Bedeutung. "Damit wurde Hannover zum zentralen Drehkreuz und Braunschweig rückte in die zweite Reihe", erklärte der Historiker Karl Heinz Schneider.

Nach dem Zweiten Weltkrieg musste Braunschweig dann den Abstieg vom eigenen Land zum Zonenrandgebiet und den zeitgleichen Aufstieg Hannovers zur Landeshauptstadt verkraften. "Die lokale Rivalität zwischen Landeshauptstadt und zweitgrößter Stadt gibt es häufig", sagte Gerd Biegel, Gründungsdirektor des Instituts für Braunschweigische Regionalgeschichte an der TU Braunschweig. Zugleich sei in Braunschweig ein besonders starkes lokales Selbstbewusstsein erwachsen.

Sportlicher Wettstreit beider Vereine

In sportlicher Hinsicht entbrannte ein erbitterter Streit, als die Eintracht - anders als die "Roten" - 1963 zu den Gründungsmitgliedern der Bundesliga erkoren wurde. Zumal der Vereinsauswahl durch den DFB ein undurchsichtiges Verfahren vorausgegangen war: Laut Ausschreibung sollten die sportlichen Leistungen seit der Spielzeit 1951/1952 in die Wertung eingehen. Aus den 74 Bewerbern wurden allerdings mitnichten die 16 erfolgreichsten herausgesucht. Bei den fünf Funktionären, die über Wohl und Wehe der Bewerber entschieden, spielten offenbar auch eigene Vorlieben eine Rolle. Für Braunschweig sprach im Vergleich zu Hannover schließlich aber wohl der dritte Platz in der Oberliga-Saison 1962/1963. Ein Kriterium, das es offiziell gar nicht gab.

"Das Niedersachen-Derby gehört zu den wichtigsten, spektakulärsten und spannendsten Derbys, die wir im deutschen Fußball haben." Fanforscher Harald Lange

Zwar zog Hannover mit dem Aufstieg im Sommer 1964 nach, der Stachel sitzt aber bis heute tief und erklärt zumindest in Teilen die Brisanz. "Die Stadien waren immer voll, wenn Hannover gegen Braunschweig spielte. Eine gewisse Rivalität bestand damals auch schon", erinnerte sich Hannovers Rekordtorschütze Hans Siemensmeyer an die Derbys in den 1960er- und 70er-Jahren: "Aber es war keine Brutalität. Die Braunschweiger hatten in ihrem Stadion so ein kleines Clubheim, eine kleine Gaststätte. Da sind wir schon mal mit reingegangen und haben dann mit den Braunschweiger Spielern ein Bierchen getrunken. Aber ich glaube, die Rivalität auf den Rängen ist ohnehin bedeutend größer als auf dem Platz."

Aggressionsabnahme "von unten nach oben"

96-Boss Martin Kind hatte indes stets Zweifel, dass den Fans der Hintergrund für die fast schon traditionellen Spannungen bewusst ist: "Ich kann mit diesen vergangenheitsgeprägten Verhaltensmustern wenig anfangen. Aber sie sind da. Ich vermute aber, dass die Fans in Braunschweig und Hannover die Zeit, als diese Entscheidungen getroffen wurden, die einen Teil dieser Spannungen ausmachen, selber gar nicht erlebt haben."

Hannovers Julian Börner (l.) spielt gegen Braunschweigs Anthony Ujah. © picture alliance/dpa | Swen Pförtner
AUDIO: Das Niedersachsen-Derby - eine lange Rivalität (2 Min)

Andreas Buchal, der 2008 über die Rivalität der beiden Fanlager seine Diplomarbeit geschrieben und mit zahlreichen Anhängern gesprochen hat, hat andere Erfahrungen gemacht: "Es gibt schon einige, die genau wissen, dass das historische Gründe sind." Es gebe eine Abnahme der Aggressionen "von unten nach oben. Im Hardcore-Fanblock, da ist es absoluter Hass. Je weiter man nach oben in der Preiskategorie der Karten geht, desto weniger wird es. Auf der VIP-Tribüne wird man nichts davon sehen und auf Vorstandsebene sowieso nicht."

Große Polizeipräsenz bei den Derbys

Ohne große Polizeipräsenz geht es beim Derby aber seit vielen Jahren nicht, die Aufeinandertreffen werden durchweg als Hochrisikospiel eingestuft und umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, um die oftmals massiven Ausschreitungen der Fans einzudämmen.

"Ich kann diese Entwicklung überhaupt nicht verstehen. Was viele Fans aus dieser Rivalität machen, ist nicht gesund und zu verurteilen", sagte Bernd Gersdorff. "Es gibt da eine historisch gewachsene Rivalität. Aber wenn man ehrlich ist: Zu meiner Zeit war das noch kein großes Thema, vor allem nicht für uns Spieler. Heute brauchst du Hunderte von Polizisten, um so ein Spiel zu schützen", so der frühere Braunschweiger Nationalspieler weiter.

"Grenzen des guten Geschmacks wahren"

"Derbys sind das Salz in der Suppe. Der Sieg im Derby ist mitunter wichtiger als das Abschneiden in der Meisterschaft", sagte Harald Lange, Fanforscher von der Universität Würzburg, dem NDR: "Den Fans ist die Vorherrschaft im Land und in der Nachbarschaft enorm wichtig. Deswegen bringen sie ganz viele aufgeladene Emotionen mit rein in so ein Derby." Er hoffe zwar, dass es "hoch hergeht und emotional ist, aber alle Beteiligten trotzdem die Grenzen des guten Geschmacks wahren können".

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Sportclub | 19.03.2023 | 22:50 Uhr

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