Russische Schattenflotte: Millionengeschäft für norddeutsche Reeder
Mehr als 200 ehemals westliche Tanker fahren heute in der russischen Schattenflotte. Den Eigentümern der Schiffe brachte der Verkauf Milliarden ein. Auch norddeutsche Reeder profitierten von den fragwürdigen Geschäften, wie ein internationales Rechercheprojekt zeigt.
Die russische Schattenflotte stellt insbesondere die Nord- und Ostseeanrainerstaaten vor große Herausforderungen. Experten zählen mehr als 650 alte Tankschiffe zu der Flotte. Mehrmals täglich durchqueren die Schattentanker die Ostsee, um russisches Öl oder Ölprodukte wie Diesel zu transportieren und in vielen Fällen die westlichen Sanktionen zu umgehen.
Die meisten der Schiffe sind unzureichend oder überhaupt nicht versichert. Seit längerem warnen Experten der Umweltschutzorganisation Greenpeace vor den Gefahren einer drohenden Umweltkatastrophe, die von den teilweise maroden Schiffen ausgehen könne.
Live-Karte zur russischen Schattenflotte:
Mehr als ein Drittel der Tanker stammt aus Europa und USA
Ein internationales Rechercheprojekt mit dem Namen "Shadow Fleet Secrets" zeigt nun, dass mehr als ein Drittel der Tankschiffe der russischen Schattenflotte von europäischen und US-amerikanischen Reedereien stammt. Die insgesamt 230 Schiffe wurden allesamt nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine in die Schattenflotte verkauft - zu einem Zeitpunkt, als die Preise für gebrauchte Tankschiffe besonders hoch lagen.
Auch elf Tanker aus der deutschen Handelsflotte gelangten auf diese Weise in die Schattenflotte, das zeigen die Recherchen, an denen in Deutschland Reporterinnen und Reporter von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) beteiligt waren. Betroffen sind unter anderem Schiffe, die zuvor für die Schulte-Gruppe und für die Chemikalien Seetransport GmbH fuhren. Beide Reedereien sind in Hamburg beheimatet und stehen in langer Tradition.
Der Verband Deutscher Reeder (VDR) übte in einem Statement Kritik. Die Tatsache, dass Schiffe aus der deutschen Handelsflotte Teil der russischen Schattenflotte geworden seien, sei eine "besorgniserregende Entwicklung". Wirtschaftlicher Gewinn dürfe "nicht auf Kosten von Sicherheit, Compliance oder ethischen Grundsätzen erzielt werden", erklärte der Verband auf Nachfrage von NDR, WDR und SZ.
Höchstpreise auch für alte Schiffe nach Kriegsbeginn
Die Recherchen zeigen, dass deutsche Reedereien und Schiffsinvestoren mit dem Verkauf der Schiffe etwa 200 Millionen Euro eingenommen haben dürften. Die hohen Summen ergeben sich vor allem aus dem Umstand, dass nach Kriegsbeginn eine sehr große Nachfrage nach gebrauchten Tankern bestand und selbst für Schiffe, die zu einem früheren Zeitpunkt nur noch den Metallpreis erzielt hätten, Höchstsummen gezahlt wurden.
Im April 2022, wenige Wochen nach dem Angriff auf die Ukraine, verkaufte dem Datensatz zufolge in Deutschland unter anderem die Dortmunder Reederei Salamon AG gemeinsam mit einer Gruppe Investoren den Rohöltanker "Cup" an eine türkische Firma. Einige Monate später, im Juni 2022, verkaufte die Hamburger Schulte-Gruppe - gemeinsam mit den Miteignern des Schiffes - den Rohöltanker "Angelica Schulte" an eine Firma aus Hongkong.
Beide Schiffe wurden zweieinhalb Jahre nach dem Verkauf von den USA auf eine Sanktionsliste gesetzt, weil sie inzwischen Teil der russischen Schattenflotte sein sollen.
Beide Reedereien erklärten, dass die Verkaufsverhandlungen für die Schiffe bereits vor dem Krieg begonnen hätten, und dass die Überprüfung der Käuferseite keine Auffälligkeiten gezeigt habe. Die Salamon AG führte außerdem an, sie habe an eine griechische Firma, nicht an eine türkische Firma verkauft.
Fünf Schiffe einer Hamburger Reederei nun in Schattenflotte
Gleich fünf Schiffe gingen den Recherchen zufolge von der Chemikalien Seetransport GmbH in die Schattenflotte. Die Firma gehört zur Hamburger Reederfamilie Krämer und ist nicht zuletzt für ihr gemeinnütziges Engagement bekannt. Die Chemikalien Seetransport GmbH managte die Schiffe und war auch finanziell an ihnen beteiligt. Auffällig ist, dass vier der Tankschiffe erst nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine Teil der Krämer-Flotte wurden, um dann nach kurzer Haltedauer wieder verkauft zu werden.
So wurde beispielsweise das Tankschiff "Chemtrans Carolina" im Oktober 2022 Teil der Krämer-Flotte. Mehrheitseigner des Schiffes war zu diesem Zeitpunkt eine norwegische Investmentgesellschaft, Reeder Christian Krämer war Geschäftsführer.
Im Januar 2024 wurde das Schiff dann an ein chinesisches Unternehmen verkauft, das laut öffentlich einsehbarer Unterlagen erst zwei Monate zuvor gegründet worden war. Bis heute besitzt das Unternehmen offenbar lediglich ein Schiff, nämlich den ehemaligen Krämer-Tanker, der heute "Sino Prosperity" heißt und vor allem russische Häfen ansteuert. Experten von Lloyds List rechnen den Tanker der russischen Schattenflotte zu.
Reederei streitet Preisspekulation ab
Die Reederei Chemikalien Seetransport wollte nicht auf die Frage antworten, ob man bereits beim Erwerb der Schiffe auf steigende Preise in Folge des Angriffskriegs auf die Ukraine spekuliert hatte. Vom Unternehmen hieß es, dass alle Käufer zuvor geprüft worden seien, es hätten sich allerdings "keine Auffälligkeiten" gezeigt. Insgesamt lege man Wert darauf, dass die Chemikalien Seetransport Reederei "ihre weltweiten Aktivitäten zu jeder Zeit im Einklang mit internationalen Gesetzen und Vorschriften durchgeführt hat, durchführt und auch weiterhin durchführen wird."
Viele Beobachter des Tanker-Marktes wie Michelle Bockmann vom Branchen-Dienst Lloyds List Intelligence glauben, dass die Nachfrage der Schattenflotte so groß war, dass Schiffseigner in Europa sehr genau wussten, wohin ihre Schiffe letztlich gehen würden.
Kritik von Linke und CDU
Norbert Hackbusch, der für die Partei Die Linke in der Hamburger Bürgerschaft sitzt, gilt als ausgewiesener Kenner der maritimen Branche. Das Vorgehen der betroffenen Reeder hält er für "moralisch völlig verkommen". Für ihn spreche vieles dafür, dass sie die Verkäufe bewusst so strukturiert hätten, dass diese nicht öffentlich werden und dass sie möglichst viel davon profitieren.
Der CDU-Verteidigungspolitiker Johann Wadephul bezeichnete die Verkäufe der deutschen Tankschiffe als "hochproblematisch". Es gebe ein europäisches Interesse, diese Geschäfte nicht zu machen. Deutsche Reeder würden sonst Russland indirekt dabei helfen, westliche Sanktionen zu umgehen. Die nächste Bundesregierung sei in der Pflicht "dafür zu sorgen, dass diese Naivität nicht mehr stattfinden kann".
Auch in Zukunft deutsche Schiffe für Russlands Flotte?
Verkäufe deutscher Tankschiffe in die russische Schattenflotte könnten dabei nicht nur ein Problem der Vergangenheit sein. Zwar müssen Tankerverkäufe in Drittländer in der EU inzwischen gemeldet werden. Explizit ist der Verkauf in die Schattenflotte aber nicht verboten, sofern dem Verkäufer nicht nachgewiesen werden kann, dass er weiß, wofür das Schiff künftig eingesetzt werden soll.
Daten des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik aus Bremen zeigen, dass sich derzeit 89 Tanker in der deutschen Handelsflotte befinden, die älter als 15 Jahre sind. In diesem Alter werden Tankschiffe häufig weiterverkauft.
Vom Verband Deutscher Reeder heißt es dazu, es sei notwendig, dass die Verkäufer-Seite verantwortungsvoll handle, um sicherzustellen, dass "die Schiffe nicht für unlautere Zwecke genutzt werden." Neben den Reedern seien auch Banken und Treuhänder in der Pflicht, Transaktionen auf mögliche Risiken hin zu überprüfen.
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