NSU: Schleswig-Holstein als Rückzugsort?
Sie lassen sich fotografieren und lächeln in die Kamera: Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Die mutmaßlichen Terroristen des Nationalistischen Untergrund (NSU) sind im Camping-Urlaub auf der schleswig-holsteinischen Ferieninsel Fehmarn. Zschäpe lässt sich als Teilnehmerin eines Fitnesskurses sogar von einem TV-Team für ein Inselporträt filmen.
Trio war häufig auf Fehmarn
Als die Aufnahmen entstehen, leben die drei seit Jahren im Untergrund. Sie sollen zwischen 2000 und 2006 zehn Menschen getötet haben. Ein wichtiges Rückzugsgebiet könnte Schleswig-Holstein gewesen sein. Vor allem in den Sommermonaten wurde das Trio im Norden immer wieder beobachtet. Besonders sicher fühlten sich Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe auf einen Campingplatz auf Fehmarn - hier schlossen sie Freundschaften und bewegten sich frei.
Aber warum zog es die drei regelmäßig ins nördlichste Bundesland? Laut Professor Hajo Funke ist Schleswig-Holstein für das Trio von großer Bedeutung gewesen. "Sie fühlten sich zurückgezogen, in Ruhe gelassen und haben offenkundig auch ihre Taten dort vorbereitet", sagt der Sachverständige im NSU-Untersuchungsausschuss.
"System-Checks" in Schleswig-Holstein
In dem Küstenland bestand kaum eine Gefahr, zufällig auf ehemalige Bekannte zu stoßen. Außerdem glauben Ermittler, dass sich das Trio hier auch mit mutmaßlichen Unterstützern wie dem Mitangeklagten Holger G. aus Niedersachsen traf. Holger G. soll den NSU-Mitgliedern jahrelang persönliche Dokumente zur Verfügung gestellt haben: Reisepass, Ersatzführerschein, Krankenkassenkarte. Auf Fehmarn musste G. nach eigener Aussage mehrfach zu sogenannten System-Checks erscheinen. So wollten die drei abklären, ob sich in seinem Leben wichtige Dinge geändert hatten, damit sie weiter ohne Risiko seine Identität nutzen konnten.
Neonazi-Treffen in Dänemark und Schweden
Die Aufenthalte in Schleswig-Holstein könnten auch als Sprungbrett nach Skandinavien gedient haben. 2005 soll das Trio nach bisherigen Ermittlungen an zwei Neonazi-Veranstaltungen in Dänemark und Schweden teilgenommen haben. Der Rechtsextremismus-Experte Volmar Wölk (Die Linke) glaubt, dass es bei solchen Aufenthalten nicht nur um die Teilnahme an Demonstrationen ging: "Im Gegenteil: Hier spielten die alten Kontakte des NSU zum 'Blood&Honour'-Netzwerk eine Rolle."
"Blood&Honour"-Netz war wichtig für den NSU
In diesem Netzwerk, in dem vor allem rechtsradikale Schriften und Musik gehandelt werden, sollen alle drei nach Ansicht des Experten in jungen Jahren in Thüringen aktiv gewesen sein. "Blood&Honor ist vor allem in Skandinavien aktiv", so der Sachverständige im NSU-Untersuchungsausschuss, Hajo Funke. "Auch deshalb passen die Aufenthalte in Schleswig-Holstein ins Bild. Denn die 'Blood&Honour'-Strukturen waren hier stark repräsentiert, und dieses Netz war für den NSU von zentraler Bedeutung." Das belegt auch ein internes Verfassungsschutz-Dokument, das NDR 1 Welle Nord und Schleswig-Holstein-Magazin vorliegt.
Welche Rolle spielt Schleswig-Holstein im Prozess?
Experten gehen davon aus, dass die mutmaßlichen NSU-Terroristen nicht isoliert im Untergrund lebten. Vielmehr konnten sie sich auf ein Netzwerk potenzieller Helfer stützen. Angeklagt seien bisher aber nur vier mutmaßliche Unterstützer, kritisiert der Linken-Politiker Wölk. Er glaubt, die jahrelangen Aufenthalte von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Schleswig-Holstein werden im anstehenden Prozess wahrscheinlich kaum eine Rolle spielen. Stattdessen wird sich das Gericht vor allem damit beschäftigen, die Straftaten der Zwickauer Terrorzelle aufzuarbeiten.
Dabei hatte das NSU-Trio weitere Urlaube in Schleswig-Holstein geplant. Im November 2011, als die Terrorzelle endgültig aufflog, war bereits der nächste Fehmarn-Aufenthalt für den Sommer 2012 gebucht.