"Medienaffäre": Der Präsident und die Presse
Wulff, Wulff, Wulff - seit Wochen dreht sich in den Medien alles um den Bundespräsidenten und manch einer ist langsam ein bisschen genervt. Jetzt reicht es aber auch mal, die Medien übertreiben mal wieder, es ist doch alles gesagt, jetzt kann man das Thema doch auch mal ruhen lassen! - Moment mal. Auch wenn jetzt sicher die eine oder andere Berichterstattung übers Ziel hinausschießt, so waren es doch Journalisten, die berechtigte Fragen gestellt haben. Und je mehr aufgedeckt wurde, desto mehr musste der Bundespräsident zugeben. Dabei dachte Christian Wulff (CDU) doch offenbar jahrelang, er hätte die Medien im Griff.
Beim gestrigen Neujahrsempfang probte Bundespräsident Wulff die Rückkehr zur Normalität. Doch für die Journalisten sind noch viele Fragen offen. Auch die umstrittene Nachricht auf der Mailbox des "Bild"-Chefredakteurs ist immer noch Thema: Wollte der Bundespräsident unliebsame Berichterstattung verhindern? Es steht weiterhin Aussage gegen Aussage. Bundespräsident gegen "Bild"-Zeitung.
Christian Wulff: "Ich habe nicht versucht, sie zu verhindern. Ich habe gebeten, einen Tag abzuwarten." - Nikolaus Blome, Stellvertretender "Bild"-Chefredakteur: "Der Bundespräsident hat vielleicht das Verschieben als Etappe gesehen, das Verhindern ganz eindeutig als Ziel."
Es ist nicht nur ein Kampf um die Deutungshoheit. Der PR-Berater Michael Spreng meint: "Es ist eher so eine Art Showdown wie im Western zwischen Herrn Diekmann und Herrn Wulff. Auch wenn die 'Bild'-Zeitung das bestreitet. Aber das ist gewissermaßen jetzt das Schlusskapitel dieser Affäre und wir werden sehen, wie der Showdown ausgeht."
Was für Wulff als Kreditaffäre begann, ist längst zur Medien-, zur Mailbox-Affäre geworden. Viele Leser sind der Schlagzeilen inzwischen überdrüssig. Journalisten aber verteidigen ihre Pressefreiheit. Stefan Niggemeier, Medienjournalist "Der Spiegel", erklärt: "Das geht so an unser Berufsverständnis, und das schadet dem Verhältnis zwischen Wulff und den Medien natürlich massiv."
Ein positives Bild in den Medien
Dabei war es doch früher mal so schön mit den Medien, damals als Ministerpräsident. Christian Wulff und seine Bettina waren 2008 beim Spaziergang, ganz privat - fast jedenfalls.
Christian Wulff zu Fotografen, Kameraleute und Reporter: "Wie haben sie denn herausgefunden, wo wir immer sonntags spazieren gehen? Ich bin ganz verblüfft."
Hier hatte er noch alles im Griff, in der niedersächsischen Medienlandschaft.
Christian Wulff: "Oh, jetzt kommen zwei Jogger, das macht das ganze realistischer."
Klaus Wallbaum von der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" sagt: "Er möchte Medien vor allem für sich einsetzen als Organ, die ihn bejubeln, die ihn loben, die ihn glänzend abbilden, die die schönen Seiten von ihm zeigen."
Selbst der Trennung von seiner langjährigen Ehefrau Christiane, 2006, gewann Wulff noch schöne Seiten ab. Seinen konservativen Wählern verkaufte er seinen Ehebruch als Love-Story mit Happy End. Ein Deal mit der "Bild"-Zeitung machte sie möglich, die perfekte Inszenierung.
"Wir gehen im Guten auseinander - seine Neue ist alleinerziehende Mutter" (06.06.2006) - Die PR-Botschaft, die Wulff und "Bild" gemeinsam in die Welt setzen: "So besonnen wie in der Politik so besonnen trifft Christian Wulff auch privat seine Entscheidung." (aus obigem Artikel). "Bild" ist fortan dabei: beim "1. gemeinsames Foto" (15.6.2006), beim Umzug ins "Liebesglück" (23.08.2006) und bei der "Blitz-Hochzeit mit Baby-Bauch" (22.03.2008).
Stefan Niggemeier: "Und 'Bild' war da extrem hilfreich, weil die von der ersten Sekunde an das Ganze als wunderbar gütliche Einigung, wie perfekt Wulff das alles gemanagt hat, so haben die das präsentiert. Und Wulff hat umgekehrt dann tiefe Einblicke in sein Privatleben zugelassen und hat "Bild" dann auch ganz exklusive Geschichten geliefert."
Sein Spiel mit den Medien funktionierte. Schöne Bilder, schöne Botschaften. Journalisten die nicht mitspielen wollten bekamen von ihm und seinem Sprecher klare Ansagen.
Klaus Wallbaum: "Sicherlich hat es auch von ihm in den Folgejahren immer Anrufe gegeben bei Journalisten. Auch bei Chefredaktionen. Er hat sich dann bestimmt auch hin und wieder empört über bestimmte Berichte. Vielleicht hat er auch eingegriffen, wenn er merkte, es werden bestimmte Geschichten recherchiert, die er nicht haben wollte."
Mitmischen wollte Wulff auch beim NDR
Der Ministerpräsident in "seinem" Sender: Auf dem Schirm beim NDR der harmlose Praktikant, hinter den Kulissen versuchte er, Einfluss zu nehmen - aufs Programm, auf Personalien und auf die Strukturen des Senders. 2004 drohte Wulffs Staatskanzlei in Niedersachsen dem Sender schamlos mit der Kündigung des NDR Staatsvertrages. In einem Strategiepapier stellte sie Forderungen, wollte direkten Einfluss auf die Gremien des Senders. Von den 12 Mitgliedern des NDR Verwaltungsrates, sollten die Hälfte, also "6 Mitglieder von den Landesregierungen (...) entsandt (...) werden".
Werner Hahn, NDR Justitiar, erklärt: "Das war aus unserer Sicht ein Angriff auf die Staatsferne des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks. Hätte diese Überlegung, aus der von ihm seiner Zeit geleiteten Staatskanzlei in Hannover Erfolg gehabt, dann wäre das ein Schlag gegen die Rundfunkfreiheit in Deutschland gewesen."
Der damalige Intendant Jobst Plog konnte das verhindern. Er erteilte Wulff öffentlich eine Absage: "Wem gehört der NDR? Natürlich gehört er nicht dem Intendanten. Aber er gehört auch nicht Ihnen."
Mit etwas Druck auf der einen und Schützenhilfe durch die "Bild" auf der anderen Seite, war es für den Ministerpräsidenten Wulff in Niedersachsen medial ganz gut gelaufen. Und so hätte es auch in Berlin für ihn als Bundespräsident weitergehen können.
"Bild" gegen Wulff
Doch im Dezember war bei der "Bild" plötzlich Schluss mit schönen Bildern und Hofberichterstattung aus Bellevue. Stattdessen entfachte sie den "Wirbel um Wulffs Privatkredit" (13.12.2011), fragte kritisch, "hat Wulff das Parlament getäuscht?" (13.12.2011), und enthüllte, "diese Frau gab Wulff 500.000 Euro." (14.12.2011).
Stefan Niggemeier: "Es ist, glaube ich, eine ganz kühle Abwägung von 'Bild', dass Wulff eine Position erreicht hat, wo es sich viel mehr lohnt, sich an die Spitze seiner Kritiker zu stellen und ganz vorne dabei zu sein, ihn zu stürzen im Grunde, als weiter von ihm zu profitieren. Weil er im Grunde 'Bild' auch nicht mehr die tollen Geschichten zu liefern hatte."
Und Wulff selbst trug dazu bei, dass die Affäre sich ausweitete. Mit seinem taktischen Verhältnis zur Wahrheit brachte er Journalisten gegen sich auf. Da half auch keine Entschuldigung: "Das war nicht gradlinig und das tut mir leid." (Pressekonferenz, 22.12.2011)
Michael Spreng: "Die berühmte Salamitaktik seiner Kommunikation, das war ein katastrophales Krisenmanagement. Und er hat die Medien ja immer wieder auch in die Irre geführt mit seinen Erklärungen, mit Halbwahrheiten."
Der Medienskandal war perfekt als Wulffs Anruf auf der Mailbox von "Bild"- Chef Diekmann enthüllt wurde - mit gut zwei Wochen Verzögerung und nicht durch "Bild" selbst.
Stefan Niggemeier: "Das ist natürlich sehr geschickt gespielt von 'Bild'. Man hätte ja sagen können, wenn dieser Anruf von Wulff eine solche Grenzüberschreitung ist, dass 'Bild' dann auch sagen kann, wir veröffentlichen den, weil wir finden, das ist ein Skandal und machen das öffentlich."
Öffentlich gemacht hatte es aber zunächst die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (31.01.2012) in einem kurzen Absatz einzelne Zitate. Die "Süddeutsche Zeitung" zog nach mit weiteren Satzfetzen und schließlich brachte auch "Der Spiegel" weitere Details.
Michael Spreng: "Das ist gewissermaßen eine Art von Zuteilungs-Journalismus. Der Inhaber der Nachricht, in diesem Fall also der Chefredakteur der 'Bild'-Zeitung als Besitzer dieser Mailbox teilt das zu. Erst seiner Redaktion und dann aus der Redaktion oder von wem auch immer in der Redaktion an verschiedene andere Medien, aber dies auch wieder häppchenweise."
Wie genau ist unklar. Kein Interview für ZAPP. Doch sicher ist, "Bild" hat die Mailboxgeschichte geschickt über Bande gespielt, und lässt sich nun feiern als Verteidigerin der Pressefreiheit. Stefan Niggemeier: "So wirkt es vielmehr so, als ob die 'Bild'-Zeitung angegriffen wurde, aber, als wäre sie eine ganz seröse Zeitung, sich eigentlich zurückhält und ganz dezent nur beobachtet, was denn jetzt passiert."
Und "Bild" kann weiter in dieser Rolle glänzen, bis der angeschlagene Bundespräsident ihr den nächsten Medienskandal in die Hände spielt.