Umstrittenes Schulkonzept auf dem Prüfstand
Der Beitrag des NDR Magazins "Panorama 3" über die umstrittene "Joker"-Pädagogik des Psychologen Thomas Grüner schlägt in Niedersachsen hohe Wellen. Einige Schulen versuchen damit ihren Unterricht besser zu organisieren. Wer von den Schülern spurt, wird belohnt - wer hingegen nicht folgsam ist, bestraft. Viele Kinder reagieren mit Angst. In der Gemeinde Uetze stehen jetzt die Bausteine des Programms zur Gewaltprävention auf dem Prüfstand. Laut Angaben der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" soll eine Arbeitsgruppe aus Lehrern und Eltern die Methoden nun überprüfen. Aus Kreisen der Eltern heißt es gegenüber dem NDR: "Da ist was ins Rollen gekommen. Uns wurde versprochen, dass wir auf die Ausgestaltung des Programms Einfluss haben werden".
Falsch sind nach NDR Informationen allerdings Zeitungsberichte, wonach das umstrittene Konzept auch an Kindergärten und Kindertagesstätten Einzug halten soll. Ursula Tesch aus dem Verwaltungsvorstand der Gemeinde Uetze dementierte solche Pläne: "Es bestand zu keinem Zeitpunkt die Idee, diesen Baustein an den Kitas einzuführen. Das war nie vorgesehen und wird auch nicht so kommen", sagte sie dem NDR.
Toilettengang in der Schulstunde verboten
"Panorama 3" hatte berichtet, dass einige Grundschulkinder in der Gemeinde Uetze seit Einführung neuer Verhaltensregeln vor zwei Jahren massiv unter Druck und Angst litten. Sie klagten über Bauchschmerzen, Angst und Druck. Eine neue Regel schrieb vor, dass Grundschulkinder während des Unterrichts nicht auf die Toilette gehen sollten - taten sie es dennoch, erhielten sie einen Vermerk. Eltern berichteten, dass Kinder seit Einführung der Toilettenregel auch zu Hause Probleme beim Wasserlassen gehabt hätten, sich eingenässt hätten oder in der Schule aus Angst vor Bestrafungen gar nichts mehr trinken wollten. Es wurden auch weitere rigide Vorschriften eingeführt, etwa wie viele Stifte die Schüler mitbringen müssen.
Jeder Regelbruch wurde in der sogenannten Feedbackliste aufgeführt. Kinder, die sich regelkonform verhielten, bekamen am Ende der Woche hingegen eine Belohnung, einen "Joker". Laut der Erziehungswissenschaftlerin Birgit Herz der Leibniz Universität Hannover eine Methode "die man nicht einmal Pädagogik nennen kann". Es handele sich vielmehr um ein Konzept, "das ganz intensiv mit Angst, Beschämung und Isolierung von Kindern arbeitet".
Weitere Fälle in Hannover und Lübeck
Das System geht zurück auf die Bausteine "gut arbeiten" und "zusammen leben" des Freiburger Psychologen Thomas Grüner und seines Instituts für "Konflikt-KULTUR". Eingeführt wird es an den Schulen unter dem Mantel des Gewaltpräventionsprogrammes "Prävention als Chance" von Landeskriminalamt Niedersachsen, Gemeinde-Unfallversicherungsverband Hannover und Landesunfallkasse Niedersachsen. Damit sollen Kinder selbstbewusst und stark gemacht werden.
Allerdings hatte es bei einigen Mädchen und Jungen augenscheinlich den gegenteiligen Effekt. Dabei hatte es laut Aussagen der Schulleiterin Karin Schulz an der Grundschule Uetze gar "keine schwerwiegenden Probleme mit Gewalttätigkeiten unter Schülern" gegeben. Probleme mit der Umsetzung des umstrittenen Präventionskonzepts gab es nach NDR Informationen auch in Hannover, wo eine Lehrerin das Programm "Konflikt-KULTUR" in ihrer Klasse eingeführt hatte. Nach Protesten der Eltern wurde es dort gestoppt.
In Lübeck berichteten Schüler, dass die neuen Regeln das Klassenklima sehr negativ beeinflusst hatten: "Man hat sich gar nicht mehr als normaler Viertklässler gefühlt", sagt einer, der das Programm in seiner Grundschule erlebt hat, "sondern man stand total unter Druck, fühlte sich klein und hatte keine Stimme." Für die Verantwortlichen in Niedersachsen - Kommune, Landesunfallkasse und LKA - überwiegen hingegen die positiven Erfahrungen mit dem Programm. Die Kritik bezöge sich auf Einzelfälle, denen man vor Ort nachgehen müsse.