Als der NSU Mehmet Turgut in Rostock ermordete

Stand: 26.02.2024 08:30 Uhr

Mehmet Turgut wurde am 25. Februar 2004 in Rostock von der rechtsextremen Terrorgruppe NSU erschossen. Er war eher zufällig am Tatort. Die genauen Hintergründe der Tat sind bis heute unklar.

An jenem Februar-Tag schließt Mehmet Turgut den Dönerstand im Rostocker Stadtteil Toitenwinkel auf. Der am 2. Mai 1979 in der Türkei geborene Turgut wohnt eigentlich in Hamburg, in Rostock besucht er einen Kumpel. Spontan übernimmt er an diesem Aschermittwoch-Vormittag das Aufsperren des Standes. Bis heute ist nicht völlig geklärt, was kurz nach 10 Uhr passiert. Ein Polizeibeamter wird 2013 vor Gericht von einer Art Hinrichtung "mit fast aufgesetzten Schüssen" in Hals, Nacken und Kopf sprechen. Mehmet Turgut wird nur 25 Jahre alt.

Soko "Bosporus" und die angeblichen "Döner-Morde"

Mehmet Turgut © NDR
Mehmet Turgut war zu Besuch in Rostock. Es gilt als unwahrscheinlich, dass die Täter genau ihn ermorden wollten. Ein Zeuge sagte im Prozess: Die wollten nur töten."

Die Polizei geht zunächst von einem Mord im Milieu aus. Die "Soko Bosporus" fahndet jahrelang nach türkischstämmigen Tätern. Erst im Jahre 2011 erkennt die Polizei bei dem Mord einen Zusammenhang mit den Taten des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Der Mord an Mehmet Turgut gehört zu der Verbrechensserie, der auch der Hamburger Süleyman Tasköprü zum Opfer fiel.

Mehmet oder doch sein Bruder Yunus?

Die Tatwaffe bringt Klarheit und schafft den Zusammenhang. Die Ceska 83 war in vier weiteren Morden verwendet worden. Staatsanwälte aus München, Nürnberg und Rostock lassen die Ermittlungen endlich zusammenlegen.

Peinlich auch eine Personalie: Bis 2011 gehen die Behörden von Yunus Turgut als Opfer aus. Mehmets Bruder hatte mehrfach erfolglos um Asyl in Deutschland gebeten. Die Brüder "tauschen" ihre Namen. Laut "Spiegel Online" hieß der Getötete in der Anklageschrift noch immer Yunus.

Neonazis mordeten jahrelang unerkannt

Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bildeten den NSU. Dem Trio werden Morde an zehn Menschen, Sprengstoffanschläge und diverse weitere Straftaten zur Last gelegt.

Beate Zschäpe: "Konnte Morde nicht verhindern"

Im Mai 2013 beginnt in München der Prozess gegen Beate Zschäpe. Böhnhardt und Mundlos stehen nicht vor Gericht. Sie haben sich im November 2011 auf der Flucht nach einem missglückten Banküberfall das Leben genommen. Erst dieser Umstand bringt die Ermittler auf die richtige Fährte im Fall Mehmet Turgut.

Beate Zschäpe, die mit den beiden mutmaßlichen Haupttätern Böhnhardt und Mundlos zusammenlebte, bricht am 9. Dezember 2015 nach zweieinhalb Prozessjahren zum ersten Mal ihr Schweigen. In der Verhandlung lässt sie von ihrem Anwalt eine Erklärung verlesen. Darin bestreitet sie eine direkte Beteiligung an den Taten. Sie habe erst später davon erfahren. Sie räumt jedoch eine Mitverantwortung ein. "Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich zehn Morde und zwei Bombenanschläge nicht verhindern konnte." Im Juli 2018 wird Beate Zschäpe zu lebenslanger Haft verurteilt.

Qual für die Angehörigen

Viele Angehörige lassen sich in dem Prozess als Nebenkläger juristisch vertreten. Der Preis ist hoch: Sie müssen Zschäpe zusehen, wie sie selbst detailreiche Schilderungen der Bluttaten praktisch gleichgültig hinnimmt. Mit dem Endes dieses NSU-Prozesses ist zumindest die juristische Aufarbeitung Geschichte. Der Schmerz von Turguts Familie und Freunden ist es nicht.

Viele Fragen ungeklärt

Außerdem sind bis heute viele Fragen offen. Im Schweriner Landtag arbeitet ein Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der NSU-Aktivitäten sowie rechtsterroristischer Strukturen in Mecklenburg-Vorpommern. So sei zum Beispiel immer noch unklar, "wer den Hinweis auf den Imbiss, in dem Mehmet Turgut ermordet wurde, gegeben hat", so Caro Keller, die die Aufarbeitung der NSU-Morde für den Blog "NSU-Watch" beobachtet. "Also konkret: Das Unterstützungsnetzwerk und die Ermöglichungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern."

"Leiser Dialog" am Denkmal in Rostock

Die Gedenkstätte für das NSU-Opfer Mehmet Turgut. Turgut wurde am 25.02.2004 vom Nationalsozialistische Untergrund (NSU) in einem Imbiss in Rostock-Toitenwinkel erschossen. © picture alliance/dpa Foto: Bernd Wüstneck
Seit 2014 gibt es in Rostock eine Gedenkstätte für Mehmet Turgut.

2014, zehn Jahre nach dem Mord, werden zwei versetzt aufgestellte Betonbänke mit türkischen und deutschen Inschriften in Rostock-Toitenwinkel enthüllt. Sie sollen zum "leisen Dialog" anregen, wie es in der Beschreibung des Denkmals heißt. Hier soll über die Opfer diskutiert und ihrer gedacht werden.

Den angrenzenden Neudierkower Weg nach Mehmet Turgut zu benennen, ist seit Jahren das Ziel der Familie sowie der Initiative Mord verjährt nicht. Obwohl sich mehrere Politiker der Stadt dafür offen gezeigt haben, ist in dieser Angelegenheit bis heute nichts geschehen. Der Ortsbeirat hat sich dagegen entschieden. Eine Begründung: Es gebe Anwohner, die eine Umbenennung nicht wünschten. Vielleicht wird es den Mehmet-Turgut-Weg in einem anderen Stadtteil geben, so ist es 2024 zumindest aus der Bürgerschaft zu hören.

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Nordmagazin | 25.02.2024 | 19:30 Uhr

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