Sendedatum: 14.11.2012 23:20 Uhr

Russland erstickt das Internet

Ein Thema bei den jüngsten deutsch-russischen Gesprächen von Angela Merkel und Wladimir Putin in Moskau war: "Die Informationsgesellschaft vor den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts". Das klingt gut, doch Wladimir Putin hat diese Informationsgesellschaft schon längst im Griff. Seitdem er wieder Präsident ist, hat sich einiges geändert in seinem Reich.

VIDEO: (6 Min)

Alle sind gekommen: Regierungstreue Reporter, kritische Online-Redakteure und einige freie Journalisten. Alle müssen sich registrieren für den ersten Gerichtsprozess gegen eine der Demonstranten am Tag der Amtseinführung von Präsident Putin. Das Urteil gegen Maxim Lusianin wird zeigen, wie hart Putin mit seinen Gegnern ins Gericht geht. Auch die Presse ist betroffen. Denn die Berichte über Wahlfälschungen haben die Protestwelle erst ausgelöst. Die ersten Gesetze, die die Pressefreiheit einschränken, sind gerade in Kraft getreten. So kann jede  Meinungsäußerung als Verleumdung eingestuft werden.

Wjatscheslaw Kozlow von "gazeta.ru" erklärt: "Wie wir Journalisten das  Verleumdungsgesetz befolgen sollen, ist völlig unklar. Es ist absurd. Alles kann jetzt als Verleumdung gelten. Eigentlich kann man kaum noch journalistisch arbeiten, sondern nur noch direkt zitieren.

Wie Wjatscheslaw Kozlow schreibt auch die freie Reporterin Svetlana Rejter viel über den Prozess. Sie portraitierte alle angeklagten Demonstranten und gilt unter Kollegen als die Expertin für den Prozess: "Die Stimmung unter Journalisten ist ganz schön angespannt und nervös. Auch weil viele von ihnen, und das ist kein Geheimnis, im Zusammenhang mit diesem und anderen Verfahren regelmäßig verhört werden. So etwas hat es früher nicht gegeben." Sie selbst wurde neulich zum FSB, zum Geheimdienst, vorgeladen und zu ihrem Artikel über Tschetschenien befragt. Einschüchtern lassen will sie sich nicht: "Nein, Selbstzensur mache ich nicht (…) hoffe ich jedenfalls. Vielleicht  unbewusst."

Angespannte Vorsicht unter Journalisten

Während sich das Gericht über Stunden zurückzieht, um über die Strafe zu entscheiden, bilden sich unter den Journalisten Gruppen. Hier, all die, die die kritische Distanz bewahren wollen zum System Putin.

Auf der anderen Seite des Flurs alle regierungstreuen Medien. Dazu gehört natürlich auch der staatliche Fernsehsender Rossija. Ein Interview wird abgelehnt.

Reporterin: " Entschuldigen Sie bitte, wir haben eine Frage an Sie!"

"Ich darf kein Interview geben! Ich gebe kein Interview. Es tut mir leid."

Der größte Privatsender NTW gehört dem Staatskonzern Gazprom.  Vor einem Monat zeigte der Sender einen angeblichen Beweis für eine Verschwörung der Opposition gegen die Regierung, den Film "Anatomie des Protests 2". Als Beleg dienten verwackelte Bilder, mit versteckter Kamera aufgenommen. Sie zeigen angeblich vier Oppositionelle, die mit ausländischen Finanziers verhandeln. Ihr Ziel, so der Kommentar, ein Umsturz. Diese Fernsehsendung ist nun alleinige Grundlage für eine Anklage. So hat NTW die Vorlage geboten für einen großen Schlag gegen die Opposition. Dabei sind die Herkunft und die Echtheit der Bilder bis heute umstritten.

Wjatscheslaw Kozlow: "Während der Putin-Zeit hat das Fernsehen eine gewisse Grenze erreicht. Der Film 'Anatomie des Protests 2' und das darauf folgende Strafverfahren sind der Höhepunkt dieser Entwicklung. Schlimmer geht es einfach nicht."

Auf ZAPP Anfrage antwortet NTW: "Wir geben keinen Kommentar zum 'Film Anatomie des Protests 2'". Was geschieht  im russischen Fernsehen? Dieser Frage geht der kritische Radiosender Echo Moskvy jeden Samstag nach. Die Sendung "Der Mann aus dem Fernsehen" mit Irina Petrowskaja. Echo Moskvy gehört ebenso Gazprom, hier wird Kritik aber noch geduldet. Schließlich soll der Sender ein Paradebeispiel dafür sein, dass mit der Pressefreiheit in Russland alles stimmt. Irina Petrowskaja vergleicht die Methoden, mit denen im russischen Fernsehen gearbeitet wird, sogar mit Goebbels Propaganda.

Die Medienjournalistin Irina Petrowskaja erklärt: "Das Fernsehen ist heute zu einer Abteilung des Machtapparats geworden. Insofern ist das Fernsehen ein Mittäter. (…) In den zwölf Jahren unter Wladimir Putin wurde es komplett unter die Staatskontrolle gebracht. Fernsehjournalisten haben ihre professionellen Fähigkeiten verloren. Sie dienen der Manipulation und Propaganda und nutzen äußerst abstoßende Mittel."

Nach der Wiederwahl Putins steigt der Druck auf die Journalisten

Unter Medwedjew gab es noch Hoffnung auf eine freiere Presse. Putin hat diese Hoffnung nun begraben. Die Printmedien spielen ohnehin keine große Rolle. Sowohl das Fernsehen als auch die gedruckte Presse haben viel Vertrauen verloren. Glaubhafte Information suchen immer mehr Russen inzwischen im Internet. gazeta.ru, die meist gelesene Onlinezeitung, erlaubt sich durchaus Kritik an der Regierung. Auch der Prozess gegen die Demonstranten wird kritisch beleuchtet. Aber die Angst davor, dass dieser letzte verbliebene Freiraum im Internet verloren gehen könnte, teilen viele hier in der Redaktion. Und diese Angst hat Folgen.

Wjatscheslaw Kozlow: "Das ist alles sehr unangenehm, natürlich. Als Journalist fängt man an, das kenne ich, nicht alles auszusprechen und die Worte sehr genau abzuwägen."

Ein erster Schritt, um den Freiraum im Internet zu begrenzen, ist auch schon getan, ein neues Gesetz angeblich nur zum Jungendschutz, bietet die Handhabe, beliebige Inhalte im Netz einfach löschen zu lassen.

Auch Sergej Smirnow von "gazeta.ru" meint: "Noch kann man im Internet seine Meinung frei äußern. Ich bin mir aber ganz sicher, dass die Regierung zum Schlag gegen das Internet ausgeholt hat. Das Gesetz über die Schwarzen Listen ist erst der Beginn. Im Internet wurden die Protestaktivitäten im Dezember koordiniert. Die Regierung will sich absichern, dass so etwas nicht mehr vorkommt. Noch ist das Internet der einzige freie Ort, besonders Twitter und Facebook."

Das Urteil gegen Maxim Lusianin an diesem Tag verheerend. Viereinhalb Jahre Haft für die Teilnahme an einer Demonstration.

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 14.11.2012 | 23:20 Uhr

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

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