Physiotherapie: Hilfe bei Gelenkproblemen zu selten verordnet
Gesetzliche Krankenkassen zahlen meistens nur sechs mal 20 Minuten Krankengymnastik - maximal dreimal im Jahr. Standardisierte Physiotherapie-Konzepte gibt es bisher nur als Pilotprojekt.
Die klassische Krankengymnastik oder Physiotherapie ist ein Training, mit dem Funktions- und Bewegungseinschränkungen des Körpers wiederhergestellt oder erhalten werden sollen.
Krankengymnastik ist verschreibungspflichtig
Die Behandlung ist verschreibungspflichtig. Das heißt, nur mit einem ärztlichen Rezept dürfen Physiotherapeutinnen und -therapeuten Erkrankte auf Kosten der Krankenkassen behandeln. Das Rezept kann von Ärztinnen und Ärzten unabhängig von der Fachrichtung ausgestellt werden. Auf dem Rezept müssen sowohl die Diagnose als auch das Ziel der Behandlung vermerkt sein. Die Art und Dauer richtet sich nach den im Heilmittelkatalog festgelegten Richtlinien, die in einem gemeinsamen Bundesausschuss aus Krankenkassen, Ärzten und Physiotherapeuten beschlossen wurden.
Der Heilmittelkatalog gibt für jede Diagnose eine Empfehlung für die Art, die Dauer und die Frequenz der therapeutischen Maßnahmen. Üblich sind sechs Anwendungen zu maximal 20 Minuten pro Rezept - zwanzig Minuten für eine Anwendung, inklusive An- und Ausziehen, ist viel zu wenig. Zwei Anwendungen hintereinander durchzuführen ist allerdings nicht erlaubt.
Für eine Behandlung bekommen Physiotherapeutinnen und -therapeuten von den Krankenkassen zwischen 13 und 15 Euro. Die Zuzahlung für Betroffene beträgt zehn Prozent der Behandlungskosten sowie zehn Euro pro Rezept. Prinzipiell könne die Leistungen von Physiotherapeutinnen und -therapeuten auch ohne ärztliche Verordnung in Anspruch genommen werden. Dann müssen sie allerdings selbst gezahlt werden.
Verordnete Behandlung reicht oft nicht aus
Physiotherapie im Rahmen der Vorgaben durch die Krankenkassen führt selten zu den gewünschten Ergebnissen. Denn wie schnell die Behandlung wirkt, hängt von individuellen Faktoren ab. Doch selbst bei jungen, sportlichen und engagierten Betroffenen reichen die verordneten Behandlungseinheiten oft nicht aus - obwohl sie gute Chancen auf einen langfristigen Erfolg der Therapie haben. Doch verordnen Ärztinnen und Ärzten mehr, müssen sie mit Regressforderungen der Krankenkassen rechnen. Wird das vorgegebene Budget überschritten, muss die Verordnung begründet werden.
Multimodale Therapie bei chronischen Schmerzen
Für den Erfolg der Behandlung müssen Ärztinnen, Physiotherapeuten und Erkrankte vertrauensvoll zusammenarbeiten. Vor allem bei chronischen Gelenkschmerzen reicht Physiotherapie im 20-Minuten-Takt oft nicht aus. Im Rahmen einer stationären multimodalen Schmerztherapie trainieren Betroffene vier Wochen lang ihre Muskeln und lernen zugleich, sich nicht von den Schmerzen im Gelenk beeinträchtigen zu lassen. Denn bei chronischen Schmerzen geht es nicht allein um Funktionsstörungen im Gelenk. Häufig hat sich der Schmerz längst verselbständigt und spielt sich vor allem im Gehirn ab. Betroffene brauchen neben der Physiotherapie eine psychologische Betreuung, um den Schmerz in den Griff zu bekommen.
Manuelle Therapie: Besondere Form der Physiotherapie
Die manuelle Therapie ist eine besondere Form der Physiotherapie. Auch sie dient der Behandlung von Funktionsstörungen des Bewegungsapparates. Mit speziellen Handgriffen und Techniken versucht der Therapeut Störungen im Zusammenspiel von Gelenken, Muskeln und Nerven zu behandeln. Die Ausbildung zum Manualtherapeuten umfasst eine Fortbildung von 400 Stunden sowie eine zusätzliche Abschlussprüfung.
Die Therapeutin oder der Therapeut kann danach etwa einen Euro mehr pro Anwendung als bei der klassischen Krankengymnastik abrechnen. Auch die manuelle Therapie wird nur auf Rezept von den Krankenkassen bezahlt. Die Grenzen zwischen den Therapieformen sind oft fließend. Oft wissen die Therapeuten besser als der verordnende Arzt, welche Therapieform für die bestehenden Beschwerden die geeignetste ist.
Osteopathie keine verordnungsfähige Leistung nach Heilmittelkatalog
Das Prinzip der Osteopathie basiert auf der Beweglichkeit des Körpers und der einzelnen Körperteile und Organsysteme untereinander. Durch das Aufspüren und Lösen von Blockaden lassen sich Funktionsstörungen und somatische Dysfunktionen im gesamten Organismus beheben. Die Osteopathie zählt nicht zu den verordnungsfähigen Leistungen des Heilmittelkataloges. Dennoch übernehmen viele Krankenkassen die Behandlungskosten ganz oder immerhin teilweise im Rahmen freiwilliger Satzungsleistungen. Sie darf allerdings nicht von Physiotherapeuten, sondern nur von approbierten Ärzten oder Heilpraktikern ausgeübt werden. Dabei ist die Berufsbezeichnung Osteopath nicht geschützt. Die Ausbildungen unterscheiden sich stark voneinander.
Übungen auch zu Hause machen
Physiotherapeutinnen und -therapeuten leisten Hilfe zur Selbsthilfe: Erkrankte müssen ihre Übungen auch zu Hause durchführen und sie in ihren Alltag integrieren. Wer sich nur hinlegen und vom Therapeuten behandeln lassen möchte, wird mit Physiotherapie nicht viel erreichen.
Projekt GLA:D - standardisiertes Physiotherapiekonzept
In Deutschland gibt es für Physiotherapie keine allgemeinen, qualitätsgesicherten Therapiestandards. So können Betroffene mit der gleichen ärztlichen Verordnung in zwei Physiotherapiepraxen unterschiedliche Anwendungen bekommen - zum Beispiel Massagen in der einen, Bewegungsübungen in der anderen Praxis. Das könnte sich nun ändern: In Nordrhein-Westfalen wird bei Gelenkverschleiß (Arthrose) ein Projekt mit standardisierten, evidenzbasierten Physiotherapie-Programmen erprobt, an die sich Physiotherapeutinnen und -therapeuten halten können, um entsprechende Therapiekonzepte umzusetzen.
Das Programm stammt, wie der Name GLA:D (Good Life with osteoArthritis in Denmark) schon sagt, aus Dänemark. Dort haben bereits mehr als 60.000 Menschen das standardisierte Programm zur Behandlung von Knie- und Hüftarthrose durchlaufen. Nach drei Monaten hatten 28 Prozent der Betroffenen mit Kniearthrose und 21 Prozent der von Hüftarthrose Betroffenen weniger Schmerzen. Entsprechend sank der Konsum von Schmerzmitteln und die Gehstrecke erhöhte sich moderat, die Lebensqualität stieg langfristig. Einigen Betroffenen konnte das Programm eine Operation ersparen beziehungsweise diese aufschieben.
Das GLA:D-Programm besteht aus Einzel- und Gruppenstunden mit bewährten Übungen, dazu kommen zwei Termine, bei denen die Betroffenen mehr über ihre Krankheit erfahren und einfache Übungen lernen, die sie zu Hause machen können - wissenschaftlich begleitet von ausführlichen Fragebögen und kleinen Leistungstests. Als Pilotprojekt ist GLA:D in Deutschland bislang nur für Versicherte der Barmer Krankenkasse in Nordrhein-Westfalen und acht kleinerer Betriebskrankenkassen zugänglich. In vielen anderen Ländern läuft GLA:D bereits seit Jahren.
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