"Ich bin überrascht und freue mich"
Er gehört weltweit zu den besten Jazzpianisten: der NDR Bigband Musiker Vladyslav Sendecki. 1955 im polnischen Gorlice geboren, musste er Anfang der 80er-Jahre seine Heimat verlassen, weil er sich der Solidarność angeschlossen hatte. 2015 wurde der Ausnahmemusiker mit der Gloria-Artis-Medaille ausgezeichnet - dem höchsten Orden, den Polen für kulturelle Verdienste verleiht.
Herr Sendecki, es gibt Grund zu feiern: Sie sind mit der Gloria-Artis-Medaille ausgezeichnet worden. Noch vor 35 Jahren hatten Sie ihr Heimatland Polen aus politischen Gründen verlassen müssen.
Vladyslav Sendecki: Ja, ich freue mich. Eigentlich hatte ich von einer polnischen Regierung nichts erwartet, denn wegen meines Engagements in der Solidarność sind meine Familie und ich damals reichlich benachteiligt worden: Es gab zahlreiche Schikanen, wir wurden zweimal enteignet. Aber es gibt auch ein wundervolles Polen, und was es mir gegeben hat, hat mit den großartigen Menschen dort zu tun, nicht mit Regierenden. Deshalb bin ich wirklich überrascht und freue mich über dieses offizielle Symbol der Anerkennung.
Sie sind auch der erste Jazzmusiker, der diesen Orden bekommt. Zu den Preisträgern früherer Jahre gehören sonst "Klassiker" wie Pierre Boulez, Rudolf Buchbinder und Gerard Mortier.
Sendecki: Das ist doch keine Frage! Jazz ist eine Kunst, jedenfalls in der Form, in der ich zu bleiben versuche. Ich bin noch mit alten Idealen groß geworden. Pierre Boulez sagte einmal, dass das größte Problem des Jazz sei, dass er nicht aufgeschrieben ist. Aber das stimmt nicht so ganz: Improvisation ist oder war nicht allein die Domäne des Jazz. Alle großen Komponisten improvisierten, falls sie auch Instrumentalisten waren.
Die Gloria-Artis-Medaille wird auch für Verdienste um die Zivilgesellschaft verliehen. Und ich glaube, durch meine Musik verkünde ich, wo ich nur kann, dass wir füreinander sein müssen und nicht gegeneinander. Leider sind wir oft viel zu kurzsichtig, einmal flapsig gesagt.
Mit der NDR Bigband, in der Sie seit 20 Jahren eine musikalische Heimat gefunden haben, waren Sie in den vergangenen Jahren öfter zu Gast in Polen und haben dort unter anderem das Klavierkonzert "My Polish Heart" gespielt, das Wolf Kerschek Ihnen gewidmet hat. Was bedeutet für Sie Ihr "Polnisches Herz"?
Sendecki: "My Polish Heart", diese wundervolle Komposition von Wolf Kerschek, habe ich vor kurzem mit dem Atom String Quartett in Polen fragmentarisch aufgeführt. Das Publikum und die Medien waren begeistert! Ich habe Wolfs Namen nie zuvor so oft angesagt wie an diesem Abend. Einfach ein tolles Stück Musik.
"Polnisches Herz" - was ist das für mich? Liebe! Und mit vollem Herzen dabei zu sein. Es ist eine fantasievolle Spontanität, eine Art der Begeisterung, die ich super finde. "Polnisches Herz", das ist eine Emotion - und nichts Geografisches, wohlgemerkt. In diesem Sinne ist auch die NDR Bigband kein "musikalischer Heimathafen": Sie ist ein Schiff, das niemals eine musikalische Heimat finden soll und wird. Es reist durch Raum und Zeit und nimmt an Bord, was es als wertvoll empfindet. Die NDR Bigband ist ein lebendiger Klangkörper, eine permanente Herausforderung, die gemeinsame Kunst weiterzuentwickeln, auch durch persönliche musikalische und geistige Bereicherung.
Aber Sie treten ja auch ohne die NDR Bigband auf, zum Beispiel im Duo mit Ihrer Frau, der Schauspielerin Angélique Duvier, da kombinieren Sie Lyrik und Jazz.
Sendecki: Ich mache viele unterschiedliche Projekte. Natürlich, denn das schöne Wort ist für mich Musik. So mag ich Lyrik und Jazz sehr, ich liebe die deutsche Sprache, wenn sie so schön artikuliert wird wie von Angélique Duvier. Dann spiele ich auch solo und im Quartett und noch dieses und jenes. Das alles gehört zu dem Musiker Vladyslav Sendecki: Ich liebe und lebe es. Ich habe viele Interessen, die mich als Musiker, Künstler, Ensemblemitglied erweitern. Wie ich vorab sagte, die Welt und das Leben sind schön und bunt. Und ich gestalte sie auch.
Interview: Tobias Richtsteig