Stand: 01.06.2017 16:56 Uhr

Lieber Hinterhof als Gala: Iftar-Mahl im Ramadan

Der Ramadan hat begonnen. Einen Monat lang nehmen gläubige Muslime nichts zu sich zwischen Morgendämmerung und Sonnenuntergang. Sobald es dunkel wird, feiern sie ihr Fastenbrechen, das sogenannte "Iftar". Immer öfter auch gemeinsam mit Nichtmuslimen. Auf großen Iftar-Empfängen oder in einer der vielen kleinen Moscheegemeinden im Norden.

Von Rauf Ceylan

Der Fastenmonat Ramadan gehört mittlerweile auch für viele Nichtmuslime zum Alltag. Politiker senden zu Beginn des Monats ihre Grüße an Muslime aus, Medien klären über seine Bedeutung auf. Denn es geht um viel mehr als um das reine Fasten. Den "Geist des Ramadans" zu erleben, das heißt für Muslime, sich noch stärker in dieser Zeit an Gott zu binden. Sich in Demut zu üben, viel zu spenden, das Hungergefühl bei bedürftigen Menschen nachzuempfinden und die eigene Willenskraft zu stärken.

Über den Autor

Rauf Ceylan (geb. 1976 in Duisburg) ist Soziologe und Religionspädagoge sowie Buchautor. Seit 2009 arbeitet er als Religionspädagoge und Soziologe am Institut für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück. Seine Schwerpunkte: die gegenwartsbezogene Islam- und Migrationsforschung.
Wichtigste Werke:
"Ethnische Kolonien. Entstehung, Entwicklung und Wandel am Beispiel türkischer Moscheen und Cafés", VS Verlag, Wiesbaden 2006, 46,99 Euro
"Cultural Time Lag. Moscheekatechese und islamischer Religionsunterricht im Kontext von Säkularisierung", Springer VS, Wiesbaden 2014, 69,99 Euro

In diesen 29 beziehungsweise 30 Tagen sollte sich der Gläubige aber auch seiner sozialen Verantwortung bewusster werden. Damit meine ich konkret: Muslime sollten ihren Iftar-Tisch teilen - mit Verwandten etwa, Bekannten und Nachbarn. Auf offizieller Ebene funktioniert das schon gut. Dank muslimischer Dachorganisationen wie DITIB oder dem Zentralrat der Muslime ist das gemeinsame Fastenbrechen zu einer Tradition geworden. Ob in Hannover, Berlin oder Kiel: Vertreter der Religionen und zahlreiche andere Akteure aus dem öffentlichen Leben kommen an diesen Abenden zusammen.

Dinner-Gala mit "Networking"-Faktor

Allerdings sucht man dort oft vergeblich den Geist des Ramadans. Denn nicht die bescheidene Atmosphäre eines Iftar-Abends wird man dort antreffen, es ist vielmehr eine Art Dinner-Gala für die Eliten. Eine politische Inszenierung mit Reden, tanzenden Derwischen und hohem "Networking"-Faktor. Sehen und gesehen werden, so lautet das Motto. Natürlich ist es ein Zeichen von Anerkennung, wenn Nichtmuslime dieser Einladung folgen. Und sicherlich sind für muslimische Organisationen diese Abende ein wichtiger Teil ihrer Öffentlichkeitsarbeit.

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Iftar-Mahl im Ramadan

Im Ramadan geht um viel mehr, als um das reine Fasten. 4 Min

Ich persönlich kann diesen Abenden allerdings nicht viel abgewinnen. Daher empfehle ich, lieber eine der zahlreichen kleinen Hinterhofmoscheen aufzusuchen, wenn man wirklich die spirituelle Atmosphäre der Iftar-Abende erleben möchte. Mit bescheidenen Mitteln wird dort den ganzen Monat über kostenlos Essen für Studenten, Nachbarn und ältere Menschen gekocht. Menschen aus den unterschiedlichsten Schichten sitzen zusammen und tauschen Gedanken und Gefühle aus. Im Gegensatz zu den eher protzigen Iftar-Galas, kann hier jeder ohne Einladung einen Platz am Tisch bekommen. Auch Nicht-Muslime aus der Nachbarschaft entdecken mittlerweile diese Abende und trauen sich, die Schwelle zum Hinterhof zu übertreten.

Nahrung für die Seele

Es ist leider jedoch noch nicht im Bewusstsein der Muslime verankert, ihre nichtmuslimischen Nachbarn zum Iftar nach Hause einzuladen. Immer noch werden in die private Wohnung nur muslimische Verwandte und Bekannte eingeladen. Das ist schade. Und auch eine vertane Chance. Denn das gemeinsame Essen hat einen sehr hohen Stellenwert unter Muslimen. Indem der Gastgeber seinen Tisch mit dem Gast teilt, drückt er aus: Du bist willkommen, du bist etwas Besonderes. Diese gemeinschaftsbildenden Momente sind also nicht nur Nahrung für den Körper, sondern auch für die Seele. Und: Diese Momente mit den nichtmuslimischen Nachbarn in den eigenen vier Wänden zu teilen, wäre ein großer Schritt für das friedliche Zusammenleben. Eine bessere Grundlage für gelebte Interreligiosität kann es nicht geben.

Fünf Fragen und Antworten zum Ramadan

1. Was bedeutet Ramadan?
Ramadan leitet sich ab von dem arabischen Wort ramad, was so viel wie "Hitze" und "Trockenheit" des Bodens bedeutet. Neben der Erklärung, der Ramadan verbrenne die Sünden wie die Hitze den Boden, verweist das Wort auch auf das Gefühl von Durst während des Fastens. Zwischen dem Beginn der Morgendämmerung und dem Sonnenuntergang sollen Muslime nicht essen, trinken, rauchen oder Sex haben. Mit einem Abendessen wird das Fasten täglich im Familien- oder Freundeskreis gebrochen (auf Arabisch: Iftar). In Deutschland ist der Ramadan auch ein Monat der interreligiösen Begegnungen beim Iftar.
2. Warum wird gefastet?
Das Fasten geht auf ein koranisches Gebot zurück und gehört zu den sogenannten fünf Säulen des Islam, also zu den zentralen gottesdienstlichen Handlungen im Leben einer Muslimin oder eines Muslims. Es soll die Menschen gottesfürchtig machen, die Seele des Fastenden erfährt dadurch eine Reinigung und Läuterung.
3. Wer muss fasten?
Alle geistig gesunden Muslime, die die Pubertät erreicht haben und damit als mündig gelten. Es sei denn, sie gehen damit gesundheitliche Risiken ein. Reisende zum Beispiel oder Schwangere können die versäumten Fastentage später nachholen.
4. Können Nichtmuslime ihre fastenden Arbeitskollegen unterstützen?
An erster Stelle sollten Nichtmuslime respektieren, wie wichtig diese Zeit für gläubige Muslime ist. Sie können auch fastende Arbeitskollegen unterstützen, indem sie versuchen, sie körperlich weniger zu fordern oder ihnen beispielweise ermöglichen, ihre Arbeitszeiten während des Fastens flexibel zu gestalten.
5. Wie wird am Ende des Ramadan gefeiert?
Ramadan endet traditionell mit einem dreitägigen Fest. Auf Arabisch heißt es Id al-Fitr (Fest des Fastenbrechens), auf Türkisch Seker Bayrami (Zuckerfest). Muslime beginnen das Fest mit einem besonderen Gebet nach Sonnenaufgang. Danach feiern sie gemeinsam in der Familie und mit Freunden.

Weitere Informationen
Die Kuppel des Felsendoms in Jerusalem © NDR

Ramadan: Zeit der Selbstreflexion

Am 6. Juni beginnt der Ramadan, der neunte Monat im islamischen Mondkalender. Für viele Muslime ist der Fastenmonat eine Zeit der inneren Einkehr. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 02.06.2017 | 15:20 Uhr

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