Robert Macfarlane erhält NDR Kultur Sachbuchpreis
Das Buch "Im Unterland" des britischen Schriftstellers Robert Macfarlane hat den NDR Kultur Sachbuchpreis 2019 gewonnen. Mit seinem Buch konnte sich der Autor gegen mehr als 300 Einreichungen durchsetzen. Aus dem Englischen übersetzt wurde es von Andreas Jandl und Frank Sievers. Die mit 15.000 Euro dotierte Auszeichnung wurde dem Autor am Mittwochabend bei einer Gala im Schloss Herrenhausen in Hannover überreicht.
Die musikalischen Gäste des Abends waren Asya Fateyeva und Stepan Simonian. Selten spielen die Saxofonistin und der Pianist zusammen - dem ehelichen Frieden zuliebe: "Das ist immer Adrenalin, vor allem mit meiner Frau. Nicht nur auf der Bühne - auch sonst im Leben. Wir wollen schon eine längere Zeit zusammenbleiben - und die Proben sind nicht ungefährlich dafür", scherzt Simonian.
Ehrengast der Gala war die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, die im vergangenen Jahr, gemeinsam mit ihrem Mann Jan Assmann, für ihre Arbeit zur Erinnerungskultur mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt wurde. Außerdem diskutierte sie unter anderem mit Hendrik Brandt, dem Chefredakteur der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" und ebenfalls Jury-Mitglied beim NDR Kultur Sachbuchpreis, über die Frage "Woran orientieren in erregten Zeiten?".
Schwere Entscheidung für die Jury
Hitzig und engagiert waren die Diskussionen über die besten Sachbücher des Jahres. Am Ende stand eine Entscheidung, die auf den ersten Blick ungewöhnlich scheint, sagt die Publizistin Hilal Sezgin nach der Jurysitzung des NDR Kultur Sachbuchpreises: "Ich finde, wir haben dieses Mal einen total überraschenden Siegertitel, weil wir oft Bücher mit sichtbarem, deutlichem Zeitbezug auswählen. Und dieses Mal haben wir ein Buch, das zunächst so entlegen scheint, unterirdisch."
"Ein Buch, das einen ganz anderen Weg geht", ergänzt Johann Hinrich Claussen, ebenfalls Jury-Mitglied und Kulturbeauftragter der evangelischen Kirche in Deutschland. "Scheinbar abseits der ganz aktuellen Debatten, aber nur scheinbar. Es ist ein Buch über unsere Art mit der Welt umzugehen, mit der Erde, in die Erde hineinzugehen. Es ist bestes Nature Writing. Ein ganz neuer Zugang überhaupt zur Natur - nicht moralistisch verkürzt und doch eine Ahnung davon stiftend, wie wir mit unserer Erde umgehen sollten."
"Das Unterland": Literarisch beeindruckendes Buch
"Im Unterland" heißt der Gewinner-Titel. Geschrieben hat ihn der Brite Robert Macfarlane. Ins Deutsche übersetzt haben ihn Andreas Jandl und Frank Sievers. Darin lädt er seine Leserinnen und Leser ein zu einer Reise in die Welt unter der Erdoberfläche. In Höhlen, in denen 10.000 Jahre alte Skelette lagern, an Flüsse, die 300 Meter unter der Erde liegen, zu riesigen Pilzgeflechten unter dem Waldboden. Auch literarisch ein beeindruckendes Buch, sagt der Jury-Vorsitzende Joachim Knuth, stellvertretender Intendant und Programmdirektor Hörfunk des NDR: "'Im Unterland' hat eine herausragende narrative Kraft. Ein großartig erzähltes Buch. Dieses Buch hat eine besondere Ausstrahlungskraft, weil der Betrachtungswinkel so interessant ist, aus dem man heraus das Thema Umwelt, Natur, Schöpfung, Bewahrung beleuchten kann. Wir finden, dass dieses Buch in hohem Maß lesenswert ist und viele Leserinnen und Leser verdient."
Unbequeme Wahrheiten
In eindringlichen Reportagen beschreibt Macfarlane seine Expeditionen in die Tiefe. Oft ein beschwerlicher, klaustrophobisch enger Weg, den er in Kauf nimmt für diesen so versteckten Blick auf die Schönheit der Natur. Und doch zeige Macfarlane keineswegs ein romantisch-verklärtes Bild, betont Regula Venske, die Präsidentin des PEN-Zentrums Deutschland, die auch in der Jury sitzt: "Er stellt die Frage: Wofür dient die Unterwelt in der Menschheit? Einerseits um etwas zu verstecken, andererseits um etwas zu fördern, was der Mensch dann verwendet - oder aber auch um etwas zu entsorgen."
Denn auch im vermeintlich Unsichtbaren, tief unter der Erde, hat der Mensch in die Natur eingegriffen - etwa unter einer finnischen Insel. Dort wurde ein Atommüllendlager gebaut. Der Abfall, der hier landet, wird noch in hunderttausend Jahren zu finden sein - unbequeme Wahrheiten.
"Es ist eine Art blinde Liebe"
Gerade in Zeiten eines neuen Umweltbewusstseins gewinnt diese literarische Gattung des Nature Writing wieder an Bedeutung, glaubt Macfarlane: "Es ist eine Art blinde Liebe. Zu dem Zeitpunkt, wenn etwas zerbricht, beginnst du das zu lieben, was zerbricht. Und du klammerst dich fest an diesen Dingen. Ich denke, es hat sich inzwischen auch eine Form von politisiertem Nature Writing entwickelt, die stark zusammenhängt mit dem bittersüßen, widersprüchlichen Verhältnis, das wir zur Natur haben. Mein Buch ist deshalb vielleicht am besten zu beschreiben als düsteres Nature Writing."
Förderpreis an Hamburger Wissenschaftlerin
Außerdem wurde auch der mit 10.000 Euro dotierte Förderpreis Opus Primum der VolkswagenStiftung vergeben. Er ging an die Hamburger Wissenschaftlerin Annika Hardt, die sich in ihrer Publikation "Technikfolgenabschätzung des CRISPR/CAS-Systems" kritisch mit dem Einsatz der sogenannten Gen-Schere auseinandersetzt. Eine hochaktuelle Arbeit, begründet Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung, die Entscheidung: "Nachdem es vor gut einem Jahr die ersten genetisch optimierten Zwillinge in China gab, ist der Tabubruch bereits passiert. Und die Frage ist: Wie kann man das Ganze sowohl ethisch als auch regulatorisch noch in den Griff bekommen?"