Wie Sportvereine vor Übergriffen schützen können
Laut der Studie "Sicher im Sport" ist psychische und sexualisierte Gewalt auch im Breitensport kein Einzelfall. Jeder Verein soll demnach ein Konzept zur Prävention haben. Der Kreissportverband Pinneberg will voran gehen.
Eine Gruppe Sechs- bis Zehnjähriger wuselt durch die Halle des Elmshorner MTV (Kreis Pinneberg). Um 15.45 Uhr beginnt an diesem Tag die Kispo (Kinder Sportschule). Trainerin Antje Dingler feuert Mädchen und Jungen an: "Los, nicht schlapp machen" Gleich üben sie Rolle rückwärts. "Da muss ich Hilfestellung geben und es lässt sich nicht vermeiden, dass ich sie dabei anfasse", so die Trainerin. Dann sagt sie: "Das wichtigste ist, dass ich als Trainerin die Grenzen der Kinder respektiere. Aber diese Grenzen sind manchmal nicht eindeutig zu erkennen."
Oberstes Gebot: Respekt vor den Grenzen des anderen
Dustin legt sich rückwärts auf die zwei Kisten, die ihm bei der Rolle rückwärts helfen sollen. Dann versucht er die Rolle, kommt mit dem Po hoch, ihm fehlt aber die Kraft, hochzukommen. "Soll ich dir helfen?" fragt Antje Dingler. "Darf ich dich dabei am Rücken anfassen?" "Ja, darfst du", sagt Dustin. Antje Dingler: "Ich muss fragen und ich muss mich selbst immer wieder kritisch hinterfragen." Antje Dingler ist seit 20 Jahren Trainerin beim Elmshorner MTV (EMTV) und hat zum Thema Kinderschutz schon mehrere Schulungen gemacht. Sie ist der Ansicht, jeder sollte das machen.
Erst Risikoanalyse, dann Präventivstrategie
Das sieht auch Christa Nordwald vom Kreissportverband Pinneberg so. "Jeder Erwachsene sollte sich mit Kinderschutz beschäftigen. Wer schützen will, muss selbst geschützt sein. Dazu brauche ich Wissen, Erkenntnis und Informationen." Dieses Wissen stellt sie als Beauftragte des KSV Pinneberg bereit. Unter anderem, indem sie - gemeinsam mit dem EMTV - Professor Bettina Rulofs von der Sporthochschule Köln eingeladen hat, um in der Turnhalle des EMTV über die Ergebnisse der Studie "Sicher im Sport" zu berichten.
Gewalt im organisierten Sport sind keine Einzelfälle
Das Fazit der Studie: Psychische und sexualisierte Gewalt ist auch im organisierten Breitensport kein Einzelfall. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befragten mehr als 4.300 Vereinsmitglieder sowie rund 300 Sportverbände. 63 Prozent der Befragten gaben an, im Sportverein psychische Gewalt erfahren zu haben. Sie seien erniedrigt, bedroht oder beschimpft worden. 25 Prozent gaben an, sexualisierte Belästigungen oder Grenzverletzungen ohne Körperkontakt erlebt zu haben. 20 Prozent berichten sogar von sexualisierter Gewalt mit Körperkontakt - zum Beispiel in Form von unerwünschten sexuellen Berührungen oder sexuellen Übergriffen.
Bettina Rolfs betont, alle Sportvereine und Verbände müssten sich fragen, wo Gewalt auftreten könnte, wo besonders sensible Orte seien, wie zum Beispiel die Umkleidekabine, oder welche Sportart besonders anfällig sein könnte, weil es häufiger zu engem Körperkontakt komme. Jeder Verein solle ein Konzept zur Prävention von Gewalt gegen Kinder und Jugendliche haben. Wie das ein kleiner Verein, in dem vor allem Ehrenamtliche arbeiten, leisten solle, fragt eine Teilnehmerin. Hier seinen die Verbände gefordert, so die Professorin.
Angebote für Qualifizierungen gibt es genug
Christa Nordwald ergänzt, dass sie genau darin ihre Aufgabe sehe: "Wir begleiten die Sportvereine bei diesem Prozess. Wir helfen, ein Schutzkonzept zu schreiben und helfen, indem wir Schulungen anbieten." 191 Vereine sind im Kreissportverband Pinneberg organisiert. Davon haben bislang 134 Vereine die Trägervereinbarung unterschrieben, das heißt, sie haben einen Kinderschutzbeauftragten, haben ein Schutzkonzept, oder arbeiten daran und kümmern sich um Prävention. "Zu wenige", so Christa Nordwald.
Seit fünf Jahren veranstaltet der KSV Pinneberg Ansprechpartner-Treffen der Kinderschutzbeauftragten der Vereine. "Daran haben bislang aber nur 44 Vereine teilgenommen. Das reicht natürlich nicht." Dann gibt es noch die KSV Inhouse-Schulungen zum Thema Kinderschutz, die bislang in 13 Vereinen stattfanden. Nordwalds Ziel: mit allen Angeboten alle Trainerinnen und Trainer zu erreichen. Lizensierte Trainer würden einen Ehrenkodex unterschreiben und das Thema Gewalt werde auch in der Ausbildung angesprochen, aber es "gibt ja auch ganz viele Trainerinnen und Trainer, die gar keine Lizenz haben, die außerdem sehr häufig wechseln", so Nordwald.
Stopp heißt Stopp
In der Turnhalle des Elmshorner MTV haben alle Kinder der Kispo die Rolle rückwärts geübt. Ein paar der Kinder haben keine Hilfestellung gebraucht. Jetzt üben sie ringen und raufen. Sie sollen sich von der großen blauen Matte schieben, oder ziehen. Boxen und Kneifen ist nicht erlaubt. Wem es zu viel wird oder wem es wehtut, kann Stopp sagen. "Dann hörst du sofort auf, ja?", sagt die Trainerin Antje Dingler.
Christa Nordwald bekommt immer mal wieder Anrufe von Vereinen oder Opfern, wegen konkreter Fälle. Dann berät sie und vermittelt beispielsweise einen Kontakt zum Wendepunkt e.V. Ziel sei aber, dass jeder Verein einen Gewalt- und Kinderschutzbeuftragten hat. "Ich bin ganz zuversichtlich,“ sagt Christa Nordwald "dass wir da irgendwann hinkommen werden."