Stand: 12.06.2020 16:14 Uhr

Hansen: Staatsanwaltschaft hätte nachfragen müssen

von Carsten Janz und Christian Schepsmeier

Es ist der 4. Dezember 2015 um 10.30 Uhr. Gut neun Polizeibeamte und drei Staatsanwälte verschaffen sich Zugang zum Landesdatenschutzzentrum. Sie suchen Marit Hansen, damals wie heute Datenschutzbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein. Sie weisen sich aus, erklären Hansen, dass gegen sie ein Ermittlungsverfahren laufe. Der Vorwurf: Sie soll Fördergelder falsch abgerechnet und Mitarbeiter angewiesen haben, Stundenzettel zu manipulieren. "Ich wusste ja, dass alles richtig abgerechnet war", sagt Hansen NDR Schleswig-Holstein. Deshalb ging sie damals davon aus, dass bis Weihnachten 2015 "alles durch" sei.

Verfahren dauert dreieinhalb Jahre

Am Ende wird von den Vorwürfen tatsächlich nichts übrig bleiben. Doch bis dahin wechselt der bearbeitende Staatsanwalt drei Mal. Es vergehen in dem Verfahren mehr als dreieinhalb Jahre. Die jahrelangen Ermittlungen sind jetzt ein Fall fürs Oberlandesgericht in Schleswig. Hansen und einer ihrer Mitarbeiter fühlen sich durch die lange Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft beeinträchtigt.

Marit Hansen Landesbeauftragte für Datenschutz Schleswig-Holstein blickt freundlich in die Kamera. © Markus Hansen Foto: Markus Hansen
"Ich wusste ja, dass alles richtig abgerechnet war", sagt Hansen NDR Schleswig-Holstein.

Dabei sagte die Staatsanwaltschaft von vornherein, dass sie sich der "politischen Bedeutung" bewusst war - so steht es in den Akten. Schließlich ist gerade die Landesdatenschutzbeauftragte in ihrem Amt auf Vertrauen angewiesen. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen können dem empfindlich schaden. Inzwischen stellt sich die Frage, ob die Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen immer korrekt vorging.

Geschasster Mitarbeiter erstattet Anzeige

Angezeigt wird Hansen von einem ehemaligen Mitarbeiter Ende Oktober 2015, gut einen Monat vor der Razzia im Landesdatenschutzzentrum. Der ehemalige Mitarbeiter wurde am Ende der Probezeit gekündigt, Marit Hansen war dafür verantwortlich. Sie entschied über diese Personalie. "Damit war er nicht einverstanden", meint Hansen heute. Sie vermutet, dass er deshalb die Anzeige schrieb und ihr persönlich schaden wollte. Wenn ein geschasster Mitarbeiter eine Anzeige schreibt, müsse die Staatsanwaltschaft ganz genau hinschauen, meint Hansens Anwalt Michael Gubitz. "Das haben sie aber nicht getan. Ganz im Gegenteil."

Bundesministerium in Ermittlungen eingebunden

Für eine Razzia muss es einen ausreichenden Anfangsverdacht geben. Im konkreten Fall folgte die Staatsanwaltschaft dem Anzeigenden und ging davon aus, dass Hansen Fördergelder falsch abgerechnet hatte. Zu den Vorwürfen gehörte, dass sie Betriebsausflüge auf Projektkosten gebucht, unerlaubte Dienstreisen genehmigt und damit gegen Förderrecht verstoßen haben sollte. Ganz früh band die Staatsanwaltschaft das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in die Ermittlungen ein und fragte den Sachverhalt ab. "Das war ein guter Ermittlungsschritt", sagt Anwalt Michael Gubitz. "Nur leider haben sie falsche Fragen gestellt und damit auch falsche Antworten bekommen."

Hansen: Anfangsverdacht wäre zusammengebrochen

So stellte der zuständige Staatsanwalt Fragen zum Förderrecht von Unternehmen. Das Landesdatenschutzzentrum ist aber eine Anstalt öffentlichen Rechts. Privatunternehmen müssen jede Stunde ihrer Mitarbeiter erfassen. Bei öffentlichen Anstalten werden Mitarbeitern Projekte zugeordnet. Es muss nicht jede Stunde einzeln erfasst werden. Dass sie nicht genau nachfragten, begründet die Staatsanwaltschaft damit, dass Marit Hansen eine Person des öffentlichen Lebens ist und offensichtlich geworden wäre, dass gegen sie ein Ermittlungsverfahren laufe. Sie wollten Hansen also - nach eigener Aussage - schützen. Hansen sieht das anders: "Hätte die Staatsanwaltschaft am Anfang des Verfahrens genauer beim Bundesforschungsministerium nachgefragt, dann wäre der Anfangsverdacht in sich zusammengebrochen. Das wäre der bessere Schutz vor Schaden gewesen", sagt sie. Die Razzia im Landesdatenschutzzentrum hätte dann möglicherweise nie stattgefunden.

Kein Vermerk über Telefonat

Im späteren Verlauf gab es diese Nachfrage beim BMBF dann aber. Und die Hauptakte, die NDR Schleswig-Holstein komplett vorliegt, zeigt auch, dass das Ministerium darauf reagiert und der Staatsanwaltschaft mitgeteilt hat, dass der Umgang mit dem Förderrecht durch Hansen korrekt war. Einen Vermerk über dieses Telefonat hat der zuständige Staatsanwalt aber nicht geschrieben. Und so passierte monatelang nichts, erst als der Staatsanwalt ausgetauscht wurde, gelangte der Hinweis auf erneute Nachfrage beim Bundesforschungsministerium in die Akte. Ungefähr ein Jahr nach der ersten Nachfrage wurde aktenkundig, dass Hansens Umgang mit dem Förderrecht korrekt war. Die Staatsanwaltschaft schreibt NDR Schleswig Holstein dazu, dass mit dem Vermerk "der Aktenwahrheit und Aktenklarheit" entsprochen worden sei. Die leitende Oberstaatsanwältin Birgit Heß nahm den Hinweis zur Kenntnis - das war im Januar 2017. Obwohl der Hauptvorwurf damit entkräftet war, ging das Verfahren noch zweieinhalb Jahre weiter. "Ein Unding", sagt Marit Hansen und nennt noch weitere Ermittlungsfehler.

Staatsanwalt täuscht Beschuldigte

So wurden ehemalige Mitarbeiter vom Landesdatensschutzzentrum als Zeugen vernommen. "Dabei waren ja auch die Mitarbeiter beschuldigt, Stundenzettel manipuliert zu haben", sagt Gubitz. Sie hätten also als Beschuldigte geführt und damit auch belehrt werden müssen, dass sie ein Zeugnisverweigerungsrecht haben. Das ist aber überwiegend nicht passiert. Jeder der vier im Laufe der Jahre zuständigen Staatsanwälte handhabte das anders. Und ein Staatsanwalt täuschte sogar die Beschuldigten. Er versicherte Ihnen, dass eine Aussagegenehmigung durch das Datenschutzzentrum vorlag, obwohl er die noch nicht einmal angefragt hatte. Später schrieb er Anwalt Michael Gubitz wörtlich: "Dies wird bedauert." Gegenüber NDR Schleswig-Holstein begründet die Staatsanwaltschaft den Fauxpas mit einer "schwierigen Terminkoordination".

Umzugskartons mit sensiblen Daten vergessen

Die Razzia, die möglicherweise nie hätte stattfinden dürfen, dauerte gut sieben Stunden. Die Ermittler nahmen dabei auch Daten mit, die durch den Durchsuchungsbeschluss nicht abgedeckt waren. Daten von Projekten, die einen hohen Geheimhaltungsstatus - und mit den Vorwürfen nicht zu tun hatten. Hansen wies darauf hin, dass diese Daten aus Projekten mit dem Bundeskriminalamt und der britischen Polizei stammen. Später musste die Staatsanwaltschaft die Daten im Beisein der zuständigen Mitarbeiterin des Landesdatenschutzzentrums löschen. Auf der einen Seite nahmen Staatsanwaltschaft und Polizei also zu viel mit. Auf der anderen Seite waren sie laut Hansen nachlässig. "Im Fahrstuhl haben sie zwei Umzugskartons mit sensiblen Unterlagen vergessen", sagt Marit Hansen. "Meine Mitarbeiter haben die Kartons dann hinterher getragen."

Amtsgericht: Razzia war nicht verhältnismäßig

Überhaupt hätte sich Hansen gewünscht, dass die Staatsanwaltschaft mit mehr Nachdruck ermittelt. Sie hatte vorgeschlagen, den Landes- oder Bundesrechnungshof bei der Prüfung einzubinden, hatte mehrere Verzögerungsrügen ausgesprochen - ohne Erfolg. Im November 2019, knapp ein halbes Jahr nachdem das Verfahren eingestellt wurde, entschied das Amtsgericht Kiel, dass die Razzia in der Behörde nicht verhältnismäßig war. Und das Bundesministerium für Bildung und Forschung überprüfte anhand der Ermittlungsakte mehrere Projekte noch einmal und stellte keine Fehler fest.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 12.06.2020 | 16:00 Uhr

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