System Hermes: Günstige Pakete nur mit Lohntricks?
Dumpinglöhne beim Paketdienst Hermes? Das sollte es eigentlich nicht mehr geben. Denn Hermes betreibt nach eigenen Angaben seit 2012 "als erstes und bisher einziges großes Logistikunternehmen in Deutschland ein umfassendes Audit- und Zertifizierungssystem, mit dem unter anderem überprüft wird, ob die beauftragten Servicepartner die gesetzlich und vertraglich gesicherten Rechte ihrer Mitarbeiter auch vollumfänglich einhalten."
Doch in Neuenkirchen bei Osnabrück trafen wir auf junge Rumänen, die in manchen Monaten weniger als 4 Euro die Stunde verdienten. Sie arbeiteten als Paketzusteller für Hermes. Im Arbeitsvertrag war der Mindestlohn vereinbart, doch letztlich bekamen sie jeden Monat 850 Euro brutto - obwohl sie mehr als 200 Stunden im Monat Pakete ausgeliefert haben. Die Verträge hatten sie nicht direkt mit Hermes abgeschlossen, sondern mit dem Subunternehmer eines Subunternehmers, der im Auftrag von Hermes die Pakete verteilt. Hermes bestreitet das jedoch, die dokumentierten und vom Zertifizierer geprüften Arbeitszeiten würden belegen, "dass die von den Unternehmern gezahlten Stundenlöhne [...] 9,00 EUR betragen."
Zu wenig für den Mindestlohn
Hermes lässt nach eigenen Angaben alle seine Partner zertifizieren und kontrolliert dabei wiederum auch deren Partner. Wie kann es also zu solchen Arbeitsbedingungen kommen? In der Region Osnabrück ist es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Insolvenzen von Subunternehmern gekommen. Der ehemalige Hermes-Subunternehmer Gion Eppe gibt heute zu: Auch bei ihm stimmten die Arbeitsbedingungen der Zusteller nicht mit den Gesetzen und dem Verhaltenskodex von Hermes überein. "Das war finanziell einfach nicht drin, ich hätte nicht mehr zahlen können, auch wenn ich gewollt hätte. Ich bin ja so schon am Limit gewesen, dass ich selber gerade mal so leben konnte." Sein Vorwurf: Hermes verlangt zwar von den Subunternehmern den Mindestlohn an die Angestellten zu zahlen, doch der von Hermes gezahlte Betrag pro Paket reiche dafür nicht aus.
Häufig völlige Abhängigkeit von Hermes
Die Subunternehmer sind häufig sehr abhängig von Hermes, der Betrieb ist oft völlig auf den Logistikriesen ausgelegt. Kündigt Hermes dann den Vertrag, bleibt den Betrieben oft nur die Insolvenz. Um das zu verhindern, wird notfalls eben auch beim Zertifizierungsprozess getäuscht, wie im Fall von Gion Eppe. Denn ohne das Zertifikat droht Hermes mit der Kündigung. Trotzdem hält Hermes die TÜV-Zertifizierung für ein effektives System. "Gleichwohl hat es in der Vergangenheit Vorfälle gegeben, in denen sich einzelne Servicepartner nachweislich nicht an geltendes Recht gehalten haben, zumeist aus Überforderung, in Einzelfällen aber auch vorsätzlich und mit krimineller Energie. Deshalb hat Hermes das Zertifizierungssystem aufgebaut, um die Servicepartner bei dem gesetzes- und richtlinienkonformen Betrieb ihrer Unternehmen zu unterstützen", teilt man uns mit. Das zuständige Zertifizierungsunternehmen, das für den TÜV Saar die Überprüfungen vornimmt, beantwortet unsere Frage nach möglichen Lücken im System nicht. Sie schreiben uns: "Das Prüfkonzept und die damit verbundenen Kontrollen durch uns als unabhängige Dritte bedeuten für Hermes eine nennenswerte Investition und belegen, wie ernst das Unternehmen seine soziale Verantwortung gegenüber seinen Zustellern nimmt."
Bemühungen nur allzu oft Fassade
Gion Eppe wird sich wohl wegen Beschäftigung von Scheinselbstständigen vor Gericht verantworten müssen. Dabei war er selbst wohl auch nie ein wirklich unabhängiger Unternehmer. Professor Richard Giesen von der Universität München sieht das problematisch. "Überall dort, wo jemand nicht frei über seine Tour entscheiden kann, nicht frei über die Gestaltung seiner Kleidung und seines Fahrzeugs entscheiden kann, wo jemand eine fremde Corporate Identity repräsentiert, wird man wohl davon ausgehen können, nach den gemachten Erfahrungen, dass es ein Arbeitsverhältnis ist. Und dann wären wir bei der Scheinselbständigkeit mit den entsprechenden Konsequenzen." Hermes bestreitet das und schreibt, sie achten "streng darauf, die Zugriffe auf das gesetzlich erlaubte Maß zu reduzieren".
Hermes will mit seinem TÜV-Siegel Verantwortung übernehmen. Doch die Bemühungen bleiben nur allzu oft Fassade.