Pflegenotstand: Senioren können nicht aus Klinik entlassen werden
Viele alte Menschen mit Pflegebedarf können nach einem Aufenthalt im Krankenhaus nicht entlassen werden, weil unklar ist, wohin. Es fehlt an Pflegekräften, geeigneten Heimplätzen und Patienten- oder Vorsorgeverfügungen.
Überlieger - so heißen im Klinikjargon Menschen, die nach ihrer Behandlung im Krankenhaus längst hätten entlassen werden müssen. Das Regionsklinikum Hannover (KRH), mit sieben Standorten Deutschlands drittgrößtes kommunales Klinikunternehmen, hat es immer häufiger mit dieser Art von Fehlbelegungen auf seinen Stationen zu tun.
Klinikbetten bis zu zwei Monate fehlbelegt
Der ärztliche Direktor des KRH, Prof. Jan Rudolf Ortlepp, ist selbst Chefarzt für Innere Medizin. Auf seiner Station am Krankenhaus Laatzen mit 28 Betten seien regelmäßig etliche Betten mit Überliegern fehlbelegt, berichtet er. Ein Patient habe neulich sogar zwei Monate auf eine Anschlussmaßnahme gewartet. "Etwa 15 Prozent unserer Betten sind mit Patienten belegt, die schon eigentlich entlassbar sind, aber keine Nachversorgung haben. Für uns bedeutet das, dass diese Betten der direkten Notfallversorgung nicht zur Verfügung stehen."
Überlieger nehmen Notfällen die Plätze weg
Die Fälle, in denen insbesondere alte Menschen nach einem Krankenhausaufenthalt nicht entlassen werden können, häufen sich. Das Regionsklinikum Hannover nennt für seinen Verbund einen Anstieg an Überliegern um 40 Prozent binnen vier Jahren. Chefarzt Ortlepp schätzt, das führe allein auf seiner Station dazu, dass er wegen der dauerhaften Fehlbelegungen mit eigentlich ausbehandelten Menschen rund 600 Notfälle pro Jahr abweisen müsse.
Fachkräftemangel in der Pflege
Das Problem haben auch andere Klinikträger. Der Vorstand der AOK Niedersachsen setzt auf Entlastung in Form eines digitalen Aufnahme- und Entlass-Managements. "Wir brauchen einen Rahmen, der die Koordination, Information und Steuerung der Patienten sicherstellt." Das KRH arbeitet tatsächlich längst mit einer Software, die freie Kapazitäten bei Pflegediensten und stationären Einrichtungen ausweist. Doch wo Personal fehlt, hilft auch eine noch so gute Vernetzung nicht.
Komplizierte Patienten in der Pflege "aussortiert"?
Der Angehörigenverband "Wir pflegen" beobachtet: Anbieter fühlen sich immer häufiger gezwungen, nur noch einfach zu pflegende Klienten, die unkompliziert abgerechnet werden könnten, anzunehmen. Menschen mit Pflegegrad vier oder fünf würden aus Sicht dieser Anbieter zu viel Personal binden. Die Landesvorsitzende Christiane Hüppe spricht von einer um sich greifenden "Triage in der Pflege". Das Ergebnis sei für alle Seiten belastend, sagt Carsten Adenäuer vom Branchenverband privater Anbieter in der Pflege (bpa). Er teilt die Sorgen der pflegenden Angehörigen: "Wenn Pflegeheime Patienten aus den Krankenhäusern nicht aufnehmen können, weil ihnen das Personal fehlt, ambulante Dienste verzweifelte Hilferufe aus dem häuslichen Bereich von Familien einfach nicht anhören und nicht helfen können, dann kann ich verstehen, dass man hier das Gefühl hat, es gibt eine Triage."
Branchenverband: Massiver Versorgungsmangel in der Pflege
Mehr alte Menschen, weniger Pflegepersonal - Adenäuer erkennt einen massiven Versorgungsmangel in der Pflege. Obwohl die Zahl der Pflegebedürftigen deutlich steige, könnten immer weniger Menschen in Alten- und Pflegeheimen versorgt werden, sagt Adenäuer. "Vor einem Jahr erklärten in einer bpa-Blitzumfrage rund 70 Prozent der Pflegeeinrichtungen, dass sie sich in massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden."
Pflege findet oft zu Hause und von Angehörigen statt
Fest steht: Der weitaus überwiegende Anteil der mehr als einer halben Million Pflegebedürftigen in Niedersachsen wird zu Hause versorgt, mehr als achtzig Prozent. Ohne Angehörige, Nachbarn, Bekannte, die sich um diese Menschen kümmern, sagt KRH-Direktor Ortlepp, werde das Entlass-Management mehr und mehr zum Problem.
"Pandemie der Einsamkeit" bei Patienten
Ortlepp spricht von einer "Pandemie der Einsamkeit", die sich breit mache. So kämen immer mehr schwer kranke Menschen in der letzten Lebensphase in die Klinik. Menschen, bei denen nichts geregelt sei und deren Familien sich mit ihrer Versorgung überfordert fühlten. Viele Patienten seien sogar völlig vereinsamt, hätten keinerlei soziale Kontakte mehr. Mit diesen gesellschaftlichen Veränderungen würden sich auch die Aufgaben des Sozialen Dienstes am Krankenhaus verschieben. Die Entlass-Manager müssten inzwischen vieles auffangen, was normalerweise Familien leisten.
KRH will eigene Kurzzeitpflege einrichten
Das KRH will nun im Laatzener Krankenhaus eine eigene Kurzzeitpflege einrichten. Auf einer inzwischen leer stehenden Station könnten rund 20 Plätze entstehen. Das soll an allen KRH-Standorten Entlastung schaffen. Voraussetzung ist allerdings, dass sich ein Betreiber findet.