Stand: 18.07.2018 10:56 Uhr

Das Elend mit den maroden Denkmälern

von Wieland Gabcke

Die Fenster sind mit Holzplatten vernagelt, Fachwerkbalken teilweise marode, die Außenfassade wird von einer mächtigen Holzkonstruktion gestützt: Die Stockleffmühle in Göttingen, ein denkmalgeschütztes Fachwerkhaus am Leinekanal, macht keinen guten Eindruck. Für die Göttinger Stadtgeschichte ist sie aber bedeutend. Die "Große Mühle" sei eine "wichtige Zeitzeugin einer der frühesten und größten Mühlen" in Niedersachsen, teilt die Göttinger Denkmalschutzbehörde mit.

Leerstand seit zehn Jahren

Vom späten 15. bis ins späte 19. Jahrhundert wurde hier Getreide gemahlen. 1595 wurde das Gebäude um einen dreigeschossigen Dachstuhl erweitert. Dieser sei einer der ersten seiner Art in Norddeutschland gewesen, heißt es. Seit 1924 ist die Stockleffmühle im Besitz der Stadt Göttingen und wurde seitdem lange Zeit als Wohngebäude genutzt. 1967 musste ein Großteil des Fachwerkbaus dem damaligen Stadtbad weichen. Seit mehr als zehn Jahren steht das Gebäude leer. "Das nenne ich einen katastrophalen Umgang eines Eigentümers mit seinem Gebäudebestand", kritisiert Matthias Rüger, niedersächsischer Landesvorsitzender vom Bund Deutscher Architekten. Die Stadt versage seit Jahren das Gebäude einer Nutzung zuzuführen.

Gastronomie soll in die marode Mühle

Ideen für neues Leben in der Mühle gibt es schon lange. 2010 beschloss der Bauausschuss der Stadt, das Gebäude soll für gastronomische Zwecke genutzt werden. Dafür wurden Investoren gesucht, die es kaufen und denkmalgerecht sanieren sollten. Doch daraus wurde nichts. "Wir hatten ja bis zu diesem Jahr keinen, der die Mühle selbst übernehmen wollte, weil das Risiko zu hoch ist", sagt Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD). Er kennt sich mit der maroden Mühle aus. Nachdem der Verkauf an Investoren gescheitert war, kümmerte sich 2012 die Städtische Wohnungsbau um das Gebäude, damals noch unter Köhler als Geschäftsführer. Der heutige Oberbürgermeister zählt auf, was seitdem alles geschehen ist: "Die Städtische Wohnungsbau hat erst einmal Schutt raus geräumt, hat dafür gesorgt, dass die Sicherungsmaßnahmen, die heute noch zu sehen sind, angebracht wurden, diverse Gutachten in Auftrag gegeben und eine mögliche Planung erstellt."

Archivbild eines Mühlengebäudes in Göttingen mit der Aufschrift "K.A. Meyenburg Getreide-Handlung". © Stadtarchiv Göttingen Foto: Statdarchiv Göttingen
Die Stockleffmühle mit dem historischen Dachstuhl gehört seit mehr als 400 Jahren zum Göttinger Stadtbild. In den letzten Jahrzehnten hat das Gebäude allerdings stark gelitten.
Denkmalschutzgerecht sanieren oder modern erneuern?

Weitere drei Jahre und fünf Gutachten später legte die Städtische Wohnungsbau im Oktober 2015 eine Machbarkeitsstudie vor. Ergebnis: Die Mühle ist nicht standsicher, eine Nutzung derzeit nicht möglich, der optische Zustand desaströs. Zwei Lösungsvorschläge legten die Planer auf den Tisch. Das Ziel: Vor allem den historisch wertvollen Dachstuhl erhalten und das Fachwerkhaus entlang der früheren Mühlenmauer durch einen Pavillon erweitern. Das Konzept "Sanierung und Erweiterung" sieht dabei vor, Fachwerk und Dachstuhl klassisch zu sanieren. Kostenpunkt: rund 2,9 Millionen Euro. Das zweite Konzept "Erneuerung" wurde mit 2,7 Millionen Euro etwas günstiger angesetzt. Die Idee: Einen Großteil der maroden Mauern abreißen, durch modernen Bau ersetzen, den Dachstuhl mit einem transparenten Dach sichtbar machen und bei Nacht beleuchten.

Interessenten sagen ja, Denkmalschutz sagt nein

"Es gab mehrere Gastronomen, die sich für das Konzept 'Erneuerung' interessiert haben", sagt Claudia Leuner-Haverich, Geschäftsführerin der Städtischen Wohnungsbau. Denn diese Variante wäre barrierefrei, böte mehr Fläche und damit einen wirtschaftlicheren Betrieb für eine Gastronomie. 2017 stellte die Städtische Wohnungsbau deshalb eine Bauvoranfrage bei der Stadt, um herauszufinden, ob das Konzept mit dem transparenten Dach umsetzbar ist. Doch die Göttinger Denkmalschutzbehörde lehnte ab. "Die Variante 'Erneuerung' ist nicht genehmigungsfähig, da sie bis auf die Mühlenwand einen vollständigen Abriss vorsieht", so die Behörde auf NDR Anfrage. Die Variante "Sanierung und Erweiterung" sei aber möglich. Genau das Konzept also, für das sich bislang kein Gastronom begeistern konnte, weil es möglicherweise weniger wirtschaftlich ist.

Je länger man wartet, desto teurer wird es

Nachdem die Denkmalschutzbehörde dieses Konzept abgelehnt hat, gibt es nun einen neuen Versuch, die Mühle zu retten. "Im Moment prüft ein möglicher Investor, der bisher immer nur als Mieter aufgetreten war, wie er aus den Konzepten, die ihm vorliegen, mit seinen Architekten etwas machen kann", sagt Oberbürgermeister Köhler. Ein Ergebnis gebe es aber noch nicht. Fest steht nur: Je länger die Sanierung der Stockleffmühle dauert, desto teurer wird sie. Die Städtische Wohnungsbau schätzt, dass die Baukosten seit 2015 um rund zehn Prozent gestiegen sind. Eine Sanierung würde inzwischen also mindestens drei Millionen Euro kosten.

Mindestens 7.000 Baudenkmäler in Niedersachsen gefährdet

Die marode Mühle in Göttingen ist offenbar kein Einzelfall. Aber wie viele denkmalgeschützte Gebäude in Niedersachsen genau verfallen, ist schwer zu sagen. "Wir führen keine Statistik zu Bauzuständen und Gebäude-Leerständen", heißt es beim Landesamt für Denkmalpflege. Es gibt Schätzungen. Hermann Schiefer war 31 Jahre lang Denkmalpfleger und ist inzwischen für den Monumentendienst im Kreis Oldenburg tätig, ein Expertenteam für historische Bauten. Er schätzt, dass mindestens zehn Prozent von etwa 70.000 denkmalgeschützten Gebäuden in Niedersachsen gefährdet sind. "Das sind Wohnhäuser, aber auch Industrieanlagen und alte Bauernhäuser", sagt Schiefer. Privateigentümern auf dem Land wirft er vor, historische wertvolle Häuser so lange verfallen zu lassen, bis sie abrissreif sind. "Das Problem ist, dass viele dieser Bauernhäuser durch die industrielle Landwirtschaft nutzlos geworden sind", erläutert der Denkmalexperte. Die Frage sei, wie ein Baudenkmal genutzt werden soll und ob das bezahlbar ist. In diesem Punkt sind sich alle einig: Der beste Denkmalschutz ist, ein Gebäude auch zu nutzen.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 18.07.2018 | 08:00 Uhr

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