Stand: 10.12.2013 12:31 Uhr

Wärmedämmung: Ignoranz der Brandgefahr

von Güven Purtul

Ende November brannte im Hamburger Schanzenviertel eine Mülltonne. Als die Feuerwehr nach wenigen Minuten eintraf, hatten sich die Flammen bereits bis in das Dachgeschoss des sechsstöckigen Altbaus gefressen. "Wir konnten das in dem Moment nicht fassen, wie so ein kleines Feuer so explosionsartig nach oben schnellen konnte", sagt Brigitte Seibold. Sie wohnt direkt hinter dem betroffenen Gebäude und hat alles mit angesehen. Wie ein Fahrstuhl hätten sich die Flammen in einem Schacht nach oben bewegt, berichtet eine weitere Anwohnerin.

Schnell hatte sich das gesamte Gebäude mit giftigen Rauchgasen gefüllt, sodass die Treppe als Fluchtweg ausfiel. Neun Menschen, darunter auch eine Mutter mit Kleinkind, mussten von der Feuerwehr mit der Drehleiter gerettet werden. Die Einsatzleitung war ratlos: Wie konnte sich ein kleiner Mülltonnenbrand so rasant ausbreiten?

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Flammen im Brandversuch-Test © NDR

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Brand fraß sich durch die Dämmung wie ein Fahrstuhl

Der nächste Tag verschaffte Gewissheit: der rückwärtige Lichtschacht war kurz zuvor gedämmt worden - mit Polystyrol, besser bekannt als Styropor. Dieser Stoff ist als Dämmmaterial seit Jahren in der Diskussion, denn immer wieder brennen wärmegedämmte Gebäude: In Delmenhorst traf es 2011 gleich fünf Mehrfamilienhäuser, die komplett ausbrannten, weil Jugendliche zwei Verschläge angezündet hatten. 200 Menschen wurden obdachlos. Bekannt wurden bisher über 50 Brände von Fassadendämmungen aus Polystyrol, die genaue Zahl kennt aber niemand, denn eine offizielle Statistik gibt es nicht.

Polystyrol ist dennoch weiterhin Deutschlands beliebtester Dämmstoff. Er ist billig, leicht zu verarbeiten und klebt an Millionen von Gebäuden. Die Wärmedämmverbundsysteme (WDVS) aus Polystyrol gelten als schwerentflammbar, die Zulassungstests für das Material werden von den Herstellern selbst beauftragt und bezahlt. Die Zulassungsbehörde, das Deutsche Institut für Bautechnik, verlässt sich auf diese Prüfungen.

Feuerwehr fordert seit langem eine Überprüfung

Nach einem Großbrand 2012 in Frankfurt äußerte sich der Chef der dortigen Feuerwehr und forderte die Zulassung für Polystyrol als Dämmstoff zu überprüfen. Folgenlos. Zwar wurde das Material Thema bei der Bauministerkonferenz, geändert wurde nichts. Im Gegenteil, es wurde festgestellt, WDVS mit Polystyrol seien ordnungsgemäß zertifiziert und sicher.

Es soll aber weiter getestet werden. Allerdings wohl eher mit dem Ziel Maßnahmen zu finden, die die Ausbreitung eines Brandes verhindern helfen. So z.B. sogenannte Brandriegel. Diese 20 Zentimeter breiten Streifen aus nicht brennbarer Steinwolle werden in regelmäßigen Abständen im Gebäude verbaut, um einen möglichen Brand zu begrenzen.

 Brandriegel bleiben wirkungslos

Brandschäden am Dach eines Mietshauses im Hamburger Schanzenviertel. © dpa Foto: Axel Heimken
Die Anwohner sind fassungslos darüber, wie schnell sich der Brand ausbreiten konnte.

Die geplanten Versuche könnten jedoch längst von der Wirklichkeit überholt worden sein: Brandriegel gab es auch im Hamburger Schanzenviertel. Dort hatten sie offenbar keine Wirkung. "Wenn man das einmal erlebt hat, wie sich so ein Feuer rasant nach oben ausbreitet", schluckt Brigitte Seibold, "und dann das ganze Haus von oben und von den Seiten her bedrohen kann, alle, die da drin sind, dann guckt man anders in die Welt."

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 10.12.2013 | 21:15 Uhr

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