Friedrichsruh: Ein kleiner Bahnhof mit großer Geschichte
Vor 175 Jahren wurde die Eisenbahnlinie Berlin-Hamburg in Betrieb genommen. Mit der damals längsten deutschen Fernbahnstrecke erlangte auch der Bahnhof Friedrichsruh Bedeutung. Reichskanzler Bismarck zog nach nebenan - und fuhr stets mit dem Zug nach Berlin.
Ein Ausflug nach Friedrichsruh - vor den Toren Hamburgs - lohnt sich. Nicht nur wegen des Gartens der Schmetterlinge. Wohl nirgendwo sonst können Besucher der Geschichte von Otto von Bismarck (1815 - 1898) so nahe kommen. Hier befindet sich sein Mausoleum, hier ist nach wie vor der Stammsitz der Familie Bismarck. Seit dem Jahr 2000 hat die Otto-von-Bismarck-Stiftung ihren Sitz im historischen Bahnhofsgebäude und präsentiert Erdgeschoss die Dauerausstellung "Otto von Bismarck und seine Zeit". Die Ausstellung zeigt die Erfolge und Misserfolge des preußisch-deutschen Staatsmannes im Kontext der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüche des 19. Jahrhunderts. Und auch Eisenbahn-Fans kommen in dem Ort mit einem der ältesten ehemaligen Bahnhöfe Deutschlands auf ihre Kosten.
Friedrichsruh ab 1846 Halt zwischen Hamburg und Berlin
Zum Start der Eisenbahnlinie Berlin-Hamburg 1846 war auch der Bahnhof Friedrichsruh errichtet worden - heute ist der Bau im Stil des Spätklassizismus ein Denkmal aus der Anfangszeit der Eisenbahn. Als die Berlin-Hamburger Eisenbahn-Gesellschaft den Betrieb aufnahm, dauerte die Fahrt von der einen in die andere Stadt noch mehr als neun Stunden. Fünf oder sechs Zugpaare fuhren zunächst täglich zwischen Hamburg und Berlin - mit Friedrichsruh als normalem Halt. Der Ort im Sachsenwald war schon damals ein beliebtes Ausflugsziel für Hamburger Bürger.
Bismarcks Zugverbindung direkt nach Berlin
Reichskanzler Otto von Bismarck zog 1874 nach Friedrichsruh. Drei Jahre zuvor hatte ihm der preußische König für seine Verdienste um die Reichseinigung den Sachsenwald geschenkt - ein Areal östlich von Hamburg. Bismarck, der seine Zeit gerne im Wald verbrachte, blieb dem Wohnsitz, der direkt an den Gleisen lag, bis zu seinem Tod im Jahr 1898 treu. Denn nicht nur die Natur hatte ihren Reiz. Für den Reichskanzler war die Lage ausgesprochen praktisch: Er brauchte nur aus der Gartenpforte herauszutreten und konnte direkt in den Zug nach Berlin steigen.
Extra-Halt für den Reichskanzler
Viele sprechen deshalb auch von "Bismarcks Bahnhof". Doch ganz korrekt ist die Bezeichnung nicht, denn den Bahnhof selbst betrat der Reichskanzler nicht. Vielmehr hielten die Züge für den prominenten Fahrgast laut Otto-von-Bismarck-Stiftung stets 200 Meter weiter an der Gartenpforte zur Residenz. Auch Staatsgäste, die Otto von Bismarck in Friedrichsruh einen Besuch abstatteten, kamen demnach wohl lieber durch die Gartentür als durch das Bahnhofsgebäude.
Sogar für den Briefwechsel des Reichskanzlers gab es eine Sonderbehandlung. In den 1880er-Jahren verkehrten Express-Züge, zwischen Hamburg und Berlin, die ohne Stopp durchfuhren. Im Bahnhof Friedrichsruh allerdings fuhren sie so langsam, dass die Postsäcke bei offener Waggontür abgeladen oder aufgeworfen werden konnten.
Friedrichsruh zwischenzeitlich Pilgerstätte für Bismarck-Fans
Auch der deutsche Kaiser war drei Mal in Friedrichsruh. So legte Wilhelm II. zum Beispiel nach einem Besuch des Nord-Ostsee-Kanals in Rendsburg im Dezember 1897 einen zweieinhalbstündigen Stopp im Sachsenwald ein. Mit Otto von Bismarck genoss er ein Neun-Gänge-Menü. Allerdings galt das Verhältnis der beiden als zerrüttet. Bismarck starb im folgenden Sommer, am 30. Juli 1898. In einem Mausoleum unweit des Bahnhofs fand er seine letzte Ruhe.
Nach dem Tod Bismarcks wurde Friedrichsruh vorübergehend zum Wallfahrtsort für die Verehrer des Reichskanzlers. Bis zu 100.000 Besucher kamen pro Jahr in den kleinen Ort - die meisten per Eisenbahn - und wollten auf den Spuren ihres Helden wandeln.
Verfall und Rettung des Bahnhofsgebäudes
Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet Friedrichsruh zunehmend in Vergessenheit. Die Verehrung Bismarcks hatte längst ihren Höhepunkt überschritten. Und auch der Bahnhof hatte bessere Zeiten gesehen. Mit dem Aufstieg des Autos fuhren seit den 1950er-Jahren immer weniger Leute mit der Eisenbahn. In den 1970er-Jahren verfiel das Empfangsgebäude zusehends. Zwischenzeitlich diente es eine Zeit lang als Unterkunft für Asylbewerber.
Ende der 1990er-Jahre rettete die Gemeinde Aumühle das Gebäude vor dem Abriss. Mit Bundesgeldern in Höhe von 8,5 Millionen Mark wurde der Bahnhof saniert und umgebaut - und ist nun Sitz der Otto-von-Bismarck-Stiftung mit ihrer umfassenden Bismarck-Ausstellung.
Spiegel deutscher Geschichte des 19. Jahrhunderts
Im nahegelegenen Bismarck-Museum werden historische Erinnerungsstücke und persönliche Gebrauchsgegenstände Otto von Bismarcks sowie Darstellungen bedeutsamer Ereignisse und Personen gezeigt. Berühmtestes Exponat ist das Gemälde "Die Proklamierung des deutschen Kaiserreiches (18. Januar 1871)" des Malers Anton von Werner. Die zehn Ausstellungsräume und das mit originalem Mobiliar nachgestellte Arbeitszimmer vermitteln einen Eindruck von der historischen Bedeutung des ersten Reichskanzlers.
Per Bahn ist Friedrichsruh seit 2017 nicht mehr zu erreichen. Wer das geschichtsträchtige Friedrichsruh trotzdem so weit wie möglich mit dem Zug anfahren möchte, kann die S-Bahn bis Aumühle nehmen. Die letzten drei Kilometer geht es dann weiter mit dem Bus.