Walter Scherau - das Herz des Ohnsorg-Theaters
Das Hamburger Platt war die Sprache seiner Kindheit: Walter Scherau. Als Sohn eines Hafenarbeiters wird er am 10. Januar 1903 geboren und wächst in einer Seitengasse auf St. Pauli auf. Gern wäre er zur Oper gegangen. Aber seine Eltern überreden ihn, eine Ausbildung zum Kaufmann zu absolvieren. Nebenbei nimmt er Gesangsunterricht und schnuppert Theaterluft bei einer Laienspielgruppe. Heimlich. Um nicht mit seinem Bruder Karl Voscherau (Vater des späteren Ersten Bürgermeisters von Hamburg, Henning Vorscherau), der am Thalia-Theater Karriere macht, verwechselt zu werden, nennt er sich Walter Scherau.
Künstler und Kaufmann
1949 schafft er endlich den Sprung auf die Bühne und findet sein berufliches Zuhause im Richard Ohnsorg-Theater an den Großen Bleichen. Aber nicht nur als Schauspieler. Man holt ihn wegen seiner kaufmännischen Ausbildung auch als Berater des damaligen Intendanten Hans Mahler. Als dieser verpflichtet er den legendären Henry Vahl für das Ohnsorg-Theater. Das Einstellungsgespräch zwischen den beiden ist eine der zahlreichen Anekdoten, an die Heidi Kabel sich immer wieder gerne erinnerte: "Henry verlangte 50 Mark Abendgage und dazu eine Gage für die Proben. Scherau antwortete: 'Dafür bekomme ich auch Hans Albers.' Henry nahm seinen Hut, stand auf und meinte: 'Dann nehmen Sie doch Hans Albers.' Scherau hielt ihn zurück. Henry gelang es, 40 Mark Abendgage herauszuschlagen und ein zusätzliches Probengeld. Scherau verdonnerte ihn zur Verschwiegenheit; niemand dürfe jemals etwas von dieser Stargage erfahren, weil sonst das Gagengefüge unseres Theaters ins Wanken geraten wäre."
Das Schwergewicht im Ohnsorg-Theater
Das komödiantische Fach liegt Walter Scherau. Nicht, weil er mit seiner Statur - 250 Pfund Körpergewicht - wie der Elefant im Porzellanladen wirken könnte. Im Gegenteil. "Er konnte erstaunlich behende sein, mit einer unheimlichen Grazie einhergehen und mit überaus sparsamer Gestik und Mimik vortreffliche Wirkungen erzielen. Man verstand ihn auch da, wo er nur andeutete oder aussparte" (Die Welt). Aber auch für den unfreiwilligen Humor trägt "der Dicke", wie ihn seine Bühnenkollegen liebevoll nennen, bei: "Schwergewichtig poltert Scherau auf die Bühne, legt mit einem Gewehr auf ein Gebüsch an und ballert los - er will den "swaten Hannibal" treffen. Hinter dem Gebüsch aber sitzt ein Mitspieler, der brüllt laut Textbuch: 'Aua!'. Darauf Scherau: 'I heff achtern Buschen scheeten op dat Swien.' Der Lachsturm bricht los, denn natürlich sollte es statt 'scheeten' 'scheten' heißen." (Bild)
Ein TV-Star der ersten Stunde
Der breiten Masse wird Walter Scherau am 13. März 1954 bekannt, als der NDR zum ersten Mal ein Stück des Ohnsorg-Theaters im Fernsehen überträgt. Walter Scherau spielt damals die Titelrolle in "Seine Majestät, Gustav Krause". Es ist der Beginn einer glanzvollen Karriere - für das Ohnsorg-Theater im Fernsehen und damit auch für dessen Stars. Walter Scherau avanciert zu einem der Lieblinge der Hamburger Bühne - weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Sein Name ist unauslöschbar mit dem Ohnsorg-Theater verbunden. Unvergessen ist zum Beispiel seine Rolle als Hafenarbeiter Christian Kattwinkel in dem Stück "Das Herrschaftskind", der so gar nichts von den "feinen Leuten vom Harvestehuder Weg" wissen will und zu seiner Überraschung feststellen muss, dass er selbst einer von ihnen ist. Wenige Male macht er auch Ausflüge auf die Leinwand - unter anderem mit Freddy Quinn - und veröffentlicht gemeinsam mit Heidi Kabel einige Schallplatten. Seine letzten Erfolge feiert er im Ohnsorg-Theater 1961 "In Luv und Lee die Liebe" und im selben Jahr mit "Ein Mann mit Charakter".
Der einsame Tod
Nach dem Tod seiner Frau 1960 zieht sich der Komiker privat immer mehr zurück. Mit seinem Kollegen und Freund Hans Mahler und dessen Frau Heidi Kabel fährt er zwar in den sommerlichen Urlaub, aber auch das kann den Schauspieler aus seiner selbst gewählten Isolierung nicht herausreißen. Walter Scherau stirbt am 12. Mai 1962 in seiner Wohnung in Hamburg. Allein. Todesursache: Herzinfarkt. Doch Freunde sind sich sicher: Nicht nur das Organ hat versagt. Seine letzte Ruhe findet er auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg.