Der Swing lebt in Hamburg wieder auf
Hosenträger, Schiebermütze und Lederschuhe für die Herren. Rote Lippen, Perlen und Kopfschmuck für die Damen. Swing vereinigt mehr als Tanzstile: Es ist eine Art Lebensgefühl, das Swing-Tänzer heutzutage für ein paar Stunden auferstehen lassen.
Seit mittlerweile fast zwei Jahrzehnten hat sich vor allem in Hamburg wieder eine Swing-Szene entwickelt, wie schon einmal in den 30er-Jahren. Ob in Bars im Schanzenviertel, im Gängeviertel oder in Schulaulas - an jedem Wochentag findet sich mindestens ein Ort, an dem man Lindy Hop oder Balboa tanzen oder lernen kann. Im Mittelpunkt stehen die Musik und der Tanz. Aber eben auch die Mode und der Stil der 20er- bis 40er-Jahre sowie die Geschichte der Swing-Kultur ziehen viele Interessierte zu den Treffen und Workshops an Wochenenden. "Wir hören die Musik von Schellackplatten. Also Nostalgie ist immer mit dabei", erzählt Lutz Winter von der "New Swing Generation" in Hamburg.
Als der Swing nach Hamburg kam
Swing-Musik und der Lindy Hop entwickelten sich in den 30er-Jahren in Amerika, vor allem in New York. Die Musik von Benny Goodman und der Big Band Sound waren prägend für die Swing-Kultur. Sie gehörte zu den ersten Jugendkulturen, die von den USA nach Europa und Deutschland herüberschwappte. In Deutschland bildete sich in den Großstädten eine Swing-Szene, so auch in Hamburg. Cliquen von Jugendlichen trafen sich, um die Musik zu hören und dazu zu tanzen. Den klassischen Lindy Hop tanzten sie allerdings nicht. Sie bewegten sich wild und tanzten eher Foxtrott zu Swing-Musik.
Swing-Mode: Lange Haare, Regenschirm und Zeitung
Die Teenager fielen auf, nicht zuletzt durch ihren Kleidungsstil. Vorbild war der Schweizer "Swing-König" Teddy Stauffer. Günter Discher galt als eine der großen Swing-Persönlichkeiten in Hamburg und war Teil der so genannten Swing-Jugend. Er erzählte dem NDR einige Jahre vor seinem Tod: "Die Swing-Jugend war mit englischer Noblesse gekleidet, das heißt: Sie wollten auffallen und das taten sie ja auch."
Die Jungs trugen lässig-lange, oft karierte Jackets, hatten lange, zurückgekämmte Haare, Hut und Mantel. "Das war dann auch schick und man hatte damit Erfolg. Vor allen Dingen bei den jungen Mädchen natürlich. Wenn plötzlich so ein gut gekleideter Mann kam, der sich auch noch benehmen konnte im Verhältnis zu den Jungs von der Hitlerjugend mit ihren kurz geschorenen Haaren." Um sich als weltoffener Swing-Boy zu outen, gehörten zum Outfit auch noch ein Regenschirm und eine Zeitung, möglichst in englischer Sprache, in der Manteltasche. Die Swing-Musiker und ihre liberale Lebensweise galten den zwischen 15- und 18-jährigen Jugendlichen als Vorbild.
Aus der Reihe tanzen: Rebellische Jugendkultur
Die Swing-Heinis oder Swing-Boys und -Girls provozierten - bewusst oder unbewusst. Gerne spielten sie Musik auf Koffergrammophonen in Parks oder sogar unter den Alsterbrücken, sodass die Musik durch den Hall auch in umliegenden Ausflugslokalen zu hören war. Sie hatten einen eigenen Habitus des anglophilen, lässig und leicht "Verlotterten". Die Musik galt unter den Nazis als "entartet" und als "Negergejohl" und durfte ab 1935 nicht mehr im Radio gespielt werden. Tanzveranstaltungen wurden Ende der 30er-Jahre nach und nach untersagt. So entwickelte sich die eigentlich unpolitische Jugendkultur zu einem Gegenpol zu den Nazis, zu einem bewussten Anderssein.
Auf der Straße liefen sie oft, Melodien pfeifend, mit einem Fuß auf dem Kantstein und dem anderen Fuß auf der Straße. Der "Lotterschritt" sollte ein Zeichen gegen den Gleichschritt der Hitler-Jugend sein.
"Lottern beim lässigen Bars-Swing"
Viele der Swing-Jugendlichen kamen aus dem Hamburger Bildungsbürgertum. Viele wohnten in Alsternähe oder in den Elbvororten. Über ihre Ruder- und Segelvereine organisierten sie Privatpartys, unter anderem im Curio-Haus am Rothenbaum. Aber auch Jugendliche aus Arbeiterfamilien zog es in die Etablissements. Ralph Giordanos Romanfigur Cesar Bertini aus "Die Bertinis" ging regelmäßig in Barmbeker Kneipen, in denen Swing getanzt wurde. Sie konnten sich die Tanzlokale in der Innenstadt, auf der "Swing-Meile" zwischen Jungfernstieg und Gänsemarkt, nicht leisten.
Ein berühmtes Swing-Lokal war der Alsterpavillon. Internationale und deutsche Swing-Orchester traten dort auf. Auch die Eisbahn in Planten un Blomen entwickelte sich Ende der 30er-Jahre zu einem Treffpunkt für Teenager. Wenn man den DJ kannte, durfte man eigene Schellackplatten mitbringen und über die große Übertragungsanlage abspielen lassen. Von der verklausulierten Sprache der amerikanischen Swing-Musiker leiteten die Swing-Jugendlichen ihre eigene ab. Sie "hotteten", "lotterten", grüßten sich mit "Swing Heil" und gaben sich englische Namen.
Nazis hatten Angst vor dieser kleinen Gruppe Jugendlicher
1940 fand die erste Razzia der Gestapo bei einer Swing-Party im Curio-Haus statt. 1941 kam es zu einer großen Verhaftungsaktion mehrerer Hundert Swing-Jugendlicher. Günter Discher handelte mit Swing-Alben auf dem Schwarzmarkt. Er wurde verhaftet und kam ins Jugendkonzentrationslager Moringen. Einige als Luftwaffenhelfer eingezogene Jugendliche trafen sich weiter. Am Flakturm IV in Wilhelmsburg hörten sie heimlich ihre Swing-Platten.
Tanzen in Trümmern nach dem Krieg
In der Nachkriegszeit fehlten viele der Swing-Boys. Sie waren im Krieg umgekommen. Doch jüngere Jugendliche kamen ins entsprechende Alter und neue Tänze wie der Boogie-Woogie kamen auf. Das Radioprogramm des British Forces Network spielte Swing und Jazz Musik, Live-Bands traten ab 1946 vereinzelt wieder auf. "Getanzt wurde im zerstörten Hamburg dort, wo es machbar und erlaubt war", so Reinhard Otto vom Barmbeker Schallarchiv.
Jive wurde modern und die so genannten Jive-Jünglinge, die sich im Schanzenviertel trafen, sorgten in den konservativen 50er-Jahren für Schlagzeilen. So wie später die Rock’n’Roll-Fans.
Swing-Renaissance in den 90er-Jahren
Anfang der 90er-Jahre belebten Tänzer den Swing in Hamburg wieder. Die heutige Szene geht bewusst mit der Hamburger Swing-Historie um und hält sie wach. Ähnlich wie die Swing-Jugendlichen trifft sich die Szene zum Tanzen oft an besonderen Orten: Ob auf einem Elbausflugsdampfer, am Strand oder für einen Workshop in einem verlassenen Schloss am See.