Radiohörer mit Detektor auf einem Foto aus den 1920er-Jahren. © picture alliance / akg-images Foto: akg-images

"Funk-Stunde": Deutschlands erster Radiosender wird geboren

Stand: 12.01.2021 14:30 Uhr

Drei Jahre nach dem ersten Feldversuch einer Radiosendung geht 1923 der erste offizielle deutsche Radiosender an den Start. Die "Funk-Stunde" aus Berlin markiert den Beginn einer Erfolgsgeschichte.

Achtung, Achtung. Hier ist die Sendestelle Berlin im Vox-Haus, auf Welle 400 Meter. Meine Damen und Herren, wir machen Ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos telefonischem Wege beginnt. Die Benutzung ist genehmigungspflichtig. Erste Ansage der Sendestelle Berlin am 29. Oktober 1923

Mit diesen Worten schaltete der erste offizielle deutsche Radiosender in Berlin am 29. Oktober 1923 auf regelmäßigen Sendebetrieb - drei Jahre, nachdem Techniker der Reichspost vom Funkerberg in Königs Wusterhausen am 22. Dezember 1920 mit einem kleinen live übertragenen Weihnachtskonzert die erste deutsche Runkfunksendung überhaupt gesendet hatten: Reichspostbeamte spielten bei ihrem Feldversuch nach einer kleinen Ansprache unter anderem "Stille Nacht, heilige Nacht". Nur kurz nach dem offiziellen Radio-Start in Berlin bekam 1924 auch Norddeutschland seinen eigenen Sender. Daraus ist später der Norddeutsche Rundfunk geworden. In den darauffolgenden Jahrzehnten hat sich der Hörfunk in Deutschland - und auch in den norddeutschen Ländern - stets gewandelt.

"Rundfunkvater" Hans Bredow trug die Verantwortung

Hans Bredow, Begründer des deutschen Rundfunks (1945). © NDR
Hans Bredow gilt als der Begründer des Rundfunks in Deutschland.

Die erste Radiosendung in Deutschland, die nicht mehr "schwarz" gesendet wurde, dauerte eine Stunde. Gesendet wurde aus dem Vox-Haus am Potsdamer Platz, dem Sitz des Schallplattenkonzerns Vox, der die sogenannte Funk-Stunde betrieb. Die Musik wurde damals live ins Mikrofon gespielt. Verantwortlich für die Sendung war der damalige Staatssekretär im Reichspostministerium, Hans Bredow, der auch als "Rundfunkvater" bezeichnet wird. Sein "Kind“, das Radio, hatte anfangs zwar Zuhörer, aber keinen einzigen, der zahlte.

Erste Radio-Genehmigung für 350 Millionen Mark

Der erste, der sein Radio anmeldete und eine Erlaubnis bekam, war der Berliner Zigarettenhändler Wilhelm Kollhoff. Im von der Inflation geplagten Deutschland musste er dafür 350 Milliarden Mark zahlen. Kollhoff erinnerte sich später: "Man musste erst die Genehmigung haben dazu. Dann konnte man den Apparat bei Telefunken bestellen. Der war nicht sofort am selben Tage zu haben, sondern nach einiger Zeit erst. Die Fertigung war noch nicht soweit fortgeschritten wie heute."

Bei empfindlichen Geräten war Vorsicht geboten

Detekrotempfänger mit Kopfhörern aus dem Jahr 1924 © picture alliance / akg-images Foto: akg-images / Erik Bohr
Für den Genuss der ersten Sendungen brauchte man in den 20ern einen Detektorenempfänger und Kopfhörer.

Das erste Gerät war ein sogenannter Detektorempfänger. Auf einem kleinen Kasten waren ein Detektor und eine mit Kupferdraht umspannte Spule installiert, die miteinander fein abgestimmt werden mussten. Hier war Fingerspitzengefühl gefragt, denn es konnte passieren, dass der Empfang nach ein paar Minuten schlechter wurde - und die Hörer nachjustieren mussten.

Anfangs musste man sich fürs Radiohören Kopfhörer aufsetzen. Erst vom Ende der 1920er-Jahre an wurde das Hören mehr und mehr zum Gemeinschaftserlebnis: Röhrengeräte setzten sich durch. Mit ihnen war es möglich, das Empfangssignal so zu verstärken, dass Lautsprecher angeschlossen werden konnten. "Ein kleines Röhrenradio brauchte ungefähr fünf Minuten, bis der Sender warmgelaufen war. Und dann musste man drehen. Magisches Auge kam dann - je größer die grüne Fläche war, desto genauer war der Sender eingestellt", so die Erinnerung eines damaligen Hörers.

Zahl der Rundfunkteilnehmer und Sender wächst schnell

NORAG-Buchstaben als Kreuz mit vier Blitzen in alle Richtungen, rot auf schwarzem Grund. © NDR
Das Logo der Nordischen Rundfunk AG. Die NORAG war der Vorläufer des NDR.

Schnell wurde das Radio in Deutschland beliebt. Zahlten im Januar 1924 noch 1.580 Teilnehmer eine Rundfunkgebühr, waren es im Dezember 1924 schon mehr als eine halbe Million und ein Jahr später eine Million Menschen. Auch die Zahl der Sender wuchs stetig. Im Norden empfingen die Hörer das Programm der Nordischen Rundfunk AG, der NORAG. Als fünfter Sender nahm sie im Mai 1924 in Hamburg den Betrieb auf. Später eröffnete die NORAG auch Nebensender in Bremen, Hannover und Kiel.

"In den 20er-Jahren war alles schon da"

Aufnahmeraum der NORAG in der Schlüterstraße mit Reiss-Mikrofon im Schäfferschen Zelt (1929) © NDR
Längst vergangene Zeit: So sah es im Aufnahmeraum der NORAG in der Hamburger Schlüterstraße 1929 aus.

Das Radio bot seinen Hörern schon in den Anfangszeiten ein vielfältiges Programm, die Macher wollte sowohl bilden wie auch unterhalten. Programm-Formate wie heute gab es zwar noch nicht - aber die Hörer konnten sich darauf verlassen, dass bestimmte Sendungen zu bestimmten Zeiten liefen.

Radio war damals ein Einschaltprogramm, wie Hans-Ulrich Wagner vom Kompetenzbereich Mediengeschichte am Hans-Bredow-Institut, sagt: "Es gab viele verschiedene Musik, leichte Musik, ernste, sinfonische Musik, Schlagermusik. Es gab aber natürlich auch sämtliche Arten von Wortprogramm, und zwar vom Vortrag des Universitätsprofessors bis hin zu plattdeutschen Gedichte hier in Norddeutschland. Das war ein buntes Programm, und Schulfunk, Kinderfunk, alles was man so kennt, das war in den 20er-Jahren bereits da."

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Joseph Goebbels mit erhobenen Zeigefinger. © picture-alliance / dpa

Im Dienst der "Volksgemeinschaft"

1932 wird der Rundfunk in Deutschland verstaatlicht. Propagandachef Joseph Goebbels verfügt über ein ein wirksames Propagandainstrument. mehr

Propagandainstrument in der NS-Diktatur

Unterhaltung und Bildung auf der einen Seite, aber auch demokratiefeindlichen Machtinteressen haben die Möglichkeiten des Rundfunks im dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte in die Hände gespielt - waren über das Radio doch mit einem Handstreich Millionen Menschen zu erreichen. 1932 wurde der Rundfunk verstaatlicht, bei ihrer Machtübernahme 1933 stand den Nationalsozialisten damit ein äußerst wirksames Propagandainstrument zur Verfügung. Mit günstig produzierten "Volksempfängern" wird der Rundfunk zum Massenmedium - inklusive Warnhinweis beim Kauf eines Empfängers: Das Hören ausländischer Sender, sogenannter Feindsender, stand unter empfindlicher Strafe - ab 1939 kam dabei sogar die Todesstrafe infrage.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs übernehmen die Militärregierungen der Alliierten zunächst die Kontrolle über die Rundfunkanstalten und führen sie zurück in demokratische Strukturen, bis sie wieder zu eigenständigen Sendern werden. Aus dem britischen Radio Hamburg etwa wird am 22. September 1945 der Nordwestdeutsche Rundfunk, die gemeinsame Rundfunkanstalt für die gesamte britische Besatzungszone

Programmvielfalt und technischer Fortschritt

Aus der wiedergewonnenen Pressefreiheit wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten Vielfalt - auch was die Zahl und "Farbe" der Sender angeht. Sie schärfen ihr jeweiliges Profil, wenden sich zunehmend speziellen Zielgruppen zu - und investieren außer in Programmvielfalt auch in technische Neuerungen. Anfang der 50er-Jahre feiert die Ultrakurzwelle als rauschfreie Alternative zur Mittelwelle ihren Siegeszug.

Auf dem Weg ins digitale Zeitalter

Mittlerweile hat der klassische UKW-Empfang immer mehr an Bedeutung verloren, aber das Radio lebt in neuen Formen weiter: Zum Beispiel auf dem Smartphone und im Digitalradio - und unter stärkerer Einbeziehung der Hörer ins Programm.

Vor allem die Art der Kommunikation in den sozialen Medien verändere auch die Radioprogramme, so der Medienwissenschaftler Golo Föllmer. Er lehrt an der Universität Halle-Wittenberg und hat unter anderem zur Klangästhetik des Alltagsradios geforscht und den weiterbildenden Masterstudiengang Online Radio mit entwickelt. "Das Bedürfnis, den Medienkonsum tätig und mit einer Selbstwirksamkeitserfahrung verbunden zu machen, wird in dieser Generation einfach größer sein, als wir das noch hatten. Im Radio muss ich eben Möglichkeit haben, meine Meinung zu äußern, die Stimme hörbar machen zu können. Ich muss eine Möglichkeit anbieten, dass sich eine Community als eine Teil-Öffentlichkeit verbindet. Das ist so eine Aufgabe von so einem Medium."

Digitalradio sorgt für Vielfalt und Unabhängigkeit

In den Studios haben die Bandmaschinen längt ausgedient, Musik und Beiträge kommen aus dem Computer. Auch die Sendertechnik ist digital geworden und bietet neben optimaler Klangqualität und ausgeweiteten Empfangsmöglichkeiten auch Raum für Zusatzangebote.

So werden über DAB+ inzwischen Programme ausgestrahlt, die über UKW nicht zu hören sind, wie zum Beispiel NDR Blue. Aber die Hörer empfangen Radio auch über Kabel, Satellit und das Internet. Eine zu Beginn des Rundfunks ungeahnte Vielfalt.

Täglich mehr als 50 Millionen Hörerinnen und Hörer in Deutschland

Trotz aller Veränderungen ist das Radio für viele nach wie vor fester Bestandteil des Alltags. Mehr als 53 Millionen Menschen ab 14 Jahren schalten werktags die rund 70 öffentlich-rechtlichen Wellen und rund 280 privaten Programme ein. Laut Branchenverband gfu wurden allein 2020 rund 3,6 Millionen Empfänger verkauft. In 94 Prozent aller Haushalte steht mindestens ein Radio, ein digitales DAB+-Radio besitzen demnach bereits 24 Prozent der Haushalte und 14 Prozent verfügen über eine Empfangsmöglichkeit für Webradio.

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Ein DAB+ RAdio steht auf einer Küchenfensterbank (Montage) © Colourbox Foto: -

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Eine Gesprächsrunde. v.l.: Walter Menningen, Horst Seifert, Ingrid Lorenzen, Rüdiger Proske und Helga Norden. (1960) © NDR

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 22.12.2020 | 09:49 Uhr

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