Die tragische Geschichte des Hans Moral
Der jüdische Zahnarzt Hans Moral hatte in Rostock unter dem Terror des NS-Regimes zu leiden. Als letzten Ausweg wählte er 1933 den Suizid.
Hans Moral war ein anerkanntes wissenschaftliches Ausnahmetalent. In Greifswald hatte er Zahnmedizin studiert und promoviert. Mit nur 28 Jahren übernahm er zu Beginn des Ersten Weltkrieges zunächst kommissarisch die Leitung des zahnärztlichen Institutes in Rostock und hielt unter großen Anstrengungen bis an die Grenzen seiner Gesundheit den Betrieb aufrecht. 1924 erhielt er für seine außerordentlichen Verdienste die Ehrendoktorwürde der Universität. "Hans Moral war auch Dekan der medizinischen Fakultät, als Vertreter eines sehr jungen Fachgebietes - und das war ein Zeichen seiner Tüchtigkeit. Er ist europaweit als Referent tätig gewesen, als jemand, der neue Methoden demonstrierte, sodass es wirklich berechtigt ist, zu sagen, dass Moral zu seiner Zeit einer der bedeutendsten Zahnmediziner in Europa gewesen ist", schreibt der Zahnmediziner Professor Heinrich von Schwanewede, der bis 2008 an der Universität Rostock als Professor tätig war und sich mit dem Schicksal seines Kollegen Moral befasst hat.
Auslandsreisen gelten als Vaterlandsverrat
Heinrich von Schwanewede hat die Personalakte von Hans Moral studiert. Er spricht von einem gehetzten Menschen. Hans Moral war Jude. 1931 schrieb er - bereits gesundheitlich angeschlagen - seinen ersten Abschiedsbrief, einen Hilferuf. Darin beklagte er, dass man ihm seine Auslandsreisen als Vaterlandsverrat ausgelegt habe.
In Mecklenburg regierten bereits seit 1932 die Nationalsozialisten. Am 1. April 1933 wurden jüdische Geschäfte, Rechtsanwälte, Ärzte boykottiert - Hans Moral wurde gezwungen, sich beurlauben zu lassen. Sein Urlaubsgesuch wurde zusammen mit Flugblättern vor seinem Institut verteilt. Ihm selbst wurde erklärt, die Universitätsklinik könne vom "Abwehrkampf gegen die Greuelpropaganda des Judentums" nicht ausgenommen werden - schließlich sei er, der Direktor, ja Jude.
Hans Moral muss die Universität verlassen
Vier Tage später wurde Moral von Gauleiter Friedrich Hildebrandt aufgefordert, von seinem Lehramt zurückzutreten, andersfalls würde er entlassen werden. Moral weigerte sich. Zwei Tage später wurde das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" erlassen. Jüdische Hochschullehrer konnten nun von den Universitäten entfernt werden.
Selbstmord als Ausweg
Moral befand sich damit in einer auswegslosen Situation. Der Kurort, in dem er Zuflucht suchen wollte, nahm zu diesem Zeitpunkt keine Juden mehr auf. Die Türen und Fenster seiner Wohnung wurden eingeschlagen und die Täter hatten keine Strafen zu befürchten, denn der anti-jüdische Terror war legalisiert. Am 14. April 1933 schrieb Moral einen zweiten Abschiedsbrief: "Das neue Beamtengesetz stößt mich in eine zweite Klasse von Menschen. Darin liegt eine Ehrabschneidung, die ich nicht ertragen kann. Ich habe durch 20 Jahre meine Pflicht an der Universität getan und habe mir nichts zu Schulden kommen lassen. Einen Dank für diese Tätigkeit verlange ich nicht. Aber ich habe es auch nicht verdient, dass ich entehrt werde. Zugleich mit meinem Amt verliere ich aber auch meine Existenzmöglichkeit, sodass mir in der Tat nichts anderes bleibt, als aus dem Leben zu gehen. Mein letzter Gedanke gehört der Universität. Möge sie sich weiter gut entwickeln und über sie nicht dasselbe Unglück hereinbrechen, das heute über mich hereingebrochen ist."
Am 4. August 1933 schluckte Hans Moral ein Schlafmittel und das Gift Zyankali. Er wurde wiederbelebt, kam jedoch nicht wieder zu Bewusstsein - und starb zwei Tage später. Als Hans Moral sich das Leben nahm, war er 47 Jahre alt.
"Leider haben ihn die Fakultät und die Universität im Stich gelassen", sagt Heinrich von Schwanewede über Morals Tod. "Besonders tragisch war, dass es Hinweise darauf gibt, das Moral einen Ruf nach Belgrad hatte und dass am 4. August die Genehmigung kam, dass er nach Belgrad ausreisen könne. Wir wissen heute nicht, ob Moral, der sich abends am 4. August das Leben nahm, davon Kenntnis hatte und sich den Anfeindungen auch im Ausland nicht mehr gewachsen sah oder ob er darüber überhaupt nicht in Kenntnis gesetzt worden ist ... In Anbetracht des Alters muss man sich fragen, zu welchen Leistungen Moral noch fähig gewesen wäre."
Gedenktafel als Erinnerung
Nach dem Ende der DDR wurde 1991 im Foyer des Hauptgebäudes der Universität Rostock eine Gedenktafel angebracht. Sie erinnert an Hans Moral und an alle anderen Opfer des nationalsozialistischen Terrors an der Universität - eine sehr späte Anerkennung, sagt Heinrich von Schwanewede. Die Zahnklinik trägt seit 2003 den Namen Hans Moral. Im Zuge der Sanierung des Hauptgebäudes der Universität wurde die Tafel zeitweilig abgenommen. Sie hängt nun wieder, prominent platziert, neben dem Büro des Kanzlers.