Plötzlich erwachsen: Volljährig mit 18
Über die Herabsetzung der Volljährigkeit von 21 Jahren auf 18 Jahre wurde lange und erbittert diskutiert. Es gab die Befürchtung, dass die Jugend endgültig außer Rand und Band geraten könnte. Aber nichts davon geschah. Als das Gesetz am 22. März 1974 verabschiedet wurde und am 1. Januar 1975 in Kraft trat, holte die Politik nur nach, was längst gesellschaftliche Wirklichkeit war: Die Jugendlichen entschieden selbst über ihr Leben.
Junge Wählerstimmen
Schon im Jahr 1970 wurde nach einer Gesetzeseingabe des Hamburger CDU-Bundestagsabgeordneten Dietrich Rollmann das aktive Wahlalter von 21 auf 18 Jahre herabgesetzt. Die damals schlagende Argumentation war, dass junge Männer bereits mit 18 Jahren zur Bundeswehr einberufen werden konnten. Zudem hegten nach den Studentenunruhen der späten 60er-Jahre viele Abgeordnete die Hoffnung, dass die Protestierenden sich besser in gesellschaftliche Prozesse integrieren, wenn sie wahlberechtigt sind. Für 1972 waren die nächsten Bundestagswahlen angesetzt - die Politiker hatten auch die Stimmen der Jungwähler im Visier. Vielleicht war auch der Blick auf den anderen deutschen Staat von Bedeutung. Denn in der DDR galt die Volljährigkeit mit 18 Jahren schon seit 1950 - in Anerkennung des "hervorragenden Anteils der Jugend am Aufbau der antifaschistisch-demokratischen Ordnung" - so die Begründung im Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik.
Wählen mit 18 - aber nicht gewählt werden
In der Bundesrepublik konnte man nun ab 1970 zwar mit 18 Jahren wählen, das passive Wahlrecht - die Wählbarkeit in ein Amt - wurde jedoch erst einmal an die Volljährigkeit geknüpft, die nach wie vor bei dem 1875 von Fürst von Bismarck festgesetzten Alter von 21 Jahren lag. Rollmann war auch in diesem Punkt für eine Änderung, denn "die deutsche Demokratie werde gestärkt, wenn dieser Jugend die vollen Staatsbürgerrechte zuerkannt" würden. Die wirtschaftliche "Reife" besäßen die Jugendlichen schon längst - so argumentierte der Abgeordnete gegenüber dem Hamburger Abendblatt im Juni 1970: "Wenn sich ein 18-Jähriger ein Moped kauft, verlangt kein Kaufmann mehr die Zustimmung der Eltern. Die Bevölkerung sieht es als selbstverständlich an, dass 18- bis 21-Jährige über ihr Geld frei verfügen können."
Frisiercreme und Pferdeposter
Trotzdem dauerte es noch vier Jahre, bis über die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters entschieden wurde. Man traute der Jugend nicht so ganz über den Weg - durfte man sie wirklich mit vollen Bürgerrechten ausstatten? Sollten 18-jährige Mädchen, die in ihren Zimmern Pferdeposter hängen hatten und beim Anblick ihrer Stars in Ohnmacht fielen, wirklich selbst über ihren Ausbildungsverlauf entscheiden dürfen? Jungs, die sich nur für Fortbewegungsmittel und die passende Frisiercreme interessierten - solche Grünschnäbel sollten eine Firma aufmachen oder ein Erbe antreten dürfen?
Die Jugend emanzipiert sich
Für manchen Erwachsenen war die Jugend, die sich seit der Nachkriegszeit immer stärker von der Autorität der Elterngeneration löste, geradezu eine Gefahr. Der Prozess dieser Loslösung begann in den späten 50er-Jahren. Von den entbehrungsreichen Kriegs- und Nachkriegszeiten wollte die Jugend nicht mehr viel wissen, im Gegenteil - sie wollte Spaß und Selbstbestimmung. Ihre Welt war durch Musik und Film umfassender, größer geworden als der reale Ort, an dem sie die Füße unter den Tisch der Eltern stellten. Auch wenn sie nur "halbstark" war, schockierte diese Jugend die ältere Generation, weil sie deren Werte nicht mehr anerkannte.
Ausweiskontrolle in Kaiserkeller & Co
Um wilde Jugendliche zu schützen - vor sich selbst und vor anderen - wurden in Hamburg als erster Stadt der Bundesrepublik ab Anfang der 60er-Jahre "Jugendschutz-Trupps" eingesetzt. Ab zehn Uhr abends streiften diese Beamten vor allem durch St. Pauli und Altona. Sie stürmten in die Clubs und Kneipen auf der Reeperbahn und am Hansaplatz und riefen "Ausweiskontrolle". Die Jugendlichen, die es durch den Einsatz von Lippenstift, Konfirmationsanzug oder dem "Bestechungs-Fünfziger" (fünfzig Pfennig) in die Etablissements geschafft hatten, wurden einkassiert.
Im Buch "The Beatles Anthology" erzählt der Beatle George Harrison von Auftritten in Hamburger Clubs wie dem Kaiserkeller. Er habe zwei Monate lang auf der Bühne gesessen und über die Bedeutung des Wortes "Ausweiskontrolle" gerätselt, das Paul McCartney auch schon mal scherzhaft als Ansage benutzte. Als der Groschen fiel, wurde ihm angst und bange - denn er war selbst erst 17 Jahre alt. Tatsächlich wurde er wenig später erwischt und durfte erst volljährig wieder zurück nach Deutschland.
68er wollen Einfluss
Die Generation der Protestierenden, die danach kam, ging noch einen Schritt weiter. Sie ging auf die Barrikaden. Sie wollte nicht nur über sich selbst bestimmen dürfen: Diese Generation wollte gesellschaftlichen Einfluss. Die "68er": Vielleicht waren die wirklich Aktiven zahlenmäßig gar nicht so viele, aber durch ihre massiven Proteste und die radikalen Forderungen - und nicht zuletzt die Medien - setzten sie die Maßstäbe, an denen sich die junge Bundesrepublik messen lassen musste. Darüber konnte sich der Bundestag nicht hinweg setzen, sodass die sozial-liberale Koalition und die oppositionelle CDU schließlich die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters mit großer Mehrheit befürworteten.
Plötzlich erwachsen
Am 1. Januar 1975 trat das neue Gesetz in Kraft. 2,5 Millionen Jugendliche zwischen 18 und 21 wurden "plötzlich erwachsen". Das Gesetz beinhaltete, dass Eltern für ihre Kinder ab dem 18. Lebensjahr nicht mehr verantwortlich waren, sie auch - die Kehrseite der Medaille - aus dem Haus werfen konnten. Die nun Volljährigen waren ehemündig, konnten Rechtsgeschäfte abschließen, Verträge schließen, einen Führerschein machen, Alkohol und Zigaretten kaufen. Die einzige Ausnahme gibt es nach wie vor beim Jugendstrafrecht - es kann weiterhin auch auf die bis 21-Jährigen angewendet werden.
Politische Debatten
Nach dem Amoklauf von Erfurt im Jahr 2000 wurde die Volljährigkeit mit 18 Jahren von einigen Politikern wieder in Frage gestellt: Etwa vom damaligen Bundesinnenminister Otto Schily und ebenso von CSU-Politiker Peter Gauweiler, der fand, die Gesetzesänderung von 1974 habe auf dem "Wunschdenken" basiert, dass Jugendliche "geistig ihrer Natur um drei Jahre voraus" seien. Biologen jedoch sagten, dass Jugendliche erst mit 21 "ausgereift" seien. Doch das war weder ein politischer noch ein gesellschaftlicher Konsens. Das Volljährigkeitsalter mit 18 wurde schon 1989 von fast allen Staaten der Welt mit der Ratifizierung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen grundsätzlich anerkannt und ist in den meisten Ländern Gesetz.