Albert Ballin: Der Mann, der die Hapag prägte
Aus ärmlichen Verhältnissen zum Topmanager: Als Generaldirektor macht der Hamburger Albert Ballin die Hapag zur größten Reederei der Welt. Doch sein Leben endet tragisch.
Die Straße Stubbenhuk am Hamburger Hafen ist um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine ärmliche Gegend, in der Hafenarbeiter und Seeleute leben, Kneipen und kleine Händler das Bild bestimmen. Wer zwischen Fleeten und Elbe wohnt, hat nichts mit der Welt der Großkaufleute zu tun, die in der Hansestadt den Ton angeben. Und trotzdem beginnt hier eine der erfolgreichsten Karrieren des Kaiserreichs.
Albert Ballin - Kind jüdischer Einwanderer aus Dänemark
In Haus Nr. 17 wird am 15. August 1857 Albert Ballin geboren, als 13. Kind einer jüdischen Familie, die aus Dänemark eingewandert ist. Er wächst in einfachen Verhältnissen auf, spricht Plattdeutsch, besucht eine jüdische Volksschule und spielt angeblich gern Cello.
Auswanderer sind schon früh sein Geschäft
Eine Berufsausbildung erhält er nicht, nimmt aber Privatunterricht in Englisch und Mathematik. Gleichzeitig arbeitet er in der kleinen Agentur seines Vaters mit, die Auswanderern Schiffspassagen nach Übersee vermittelt. Als der Vater stirbt, führt er die Geschäfte weiter. Er kommt zur rechten Zeit: Denn im letzten Drittel des Jahrhunderts verlassen immer mehr Menschen den Kontinent. Sie fliehen vor Arbeitslosigkeit, Hungersnöten und Kriegen in die Neue Welt.
Binnen weniger Jahre hat Ballin Erfolg, vor allem, weil er in Kooperation mit einer Schifffahrtslinie billige Massentransporte nach New York anbietet, im eigens eingebauten Zwischendeck von Frachtschiffen. Bald fertigt er in Hamburg ein Drittel aller Auswanderer nach Übersee ab, macht sogar der mächtigen Hamburg-Amerikanischen-Packetfahrt-Actien-Gesellschaft, der Hapag, Konkurrenz. Die weiß sich 1886 nicht mehr anders zu helfen, als Ballin eine lukrative Stellung in ihren Diensten anzubieten.
Ballin steigt bei der Hapag ein
Bei der Hapag beginnt der 29-Jährige einen beispiellosen Aufstieg. Mit Geschäftssinn und Ehrgeiz, Charme und weltmännischen Umgangsformen arbeitet er sich bis an die Spitze des bedeutendsten Hamburger Unternehmens empor. Er setzt auf Schnelligkeit und vor allem auf Service, auch für die weniger betuchten Passagiere. Denn im Gegensatz zu den anderen Reedereien bietet die Hapag eine umfassende Betreuung schon auf dem Weg zum Schiff an. Dazu gehören ärztliche Versorgung und Schlafplätze in eigens errichteten Auswandererhallen am Hafen. Heute befindet sich dort das Auswanderermuseum Ballinstadt.
Der junge Direktor entwickelt innovative Geschäftsfelder
Da die Passagierschiffe über den Atlantik in den stürmischen Wintermonaten nicht ausgelastet sind, erfindet Ballin die Kreuzfahrt. Von Cuxhaven aus führt die erste Vergnügungsreise für betuchte Bürger im Januar 1891 ins warme Mittelmeer. Später fahren die Touristenschiffe ans Nordkap und in die Karibik, organisieren Hapag-Reisebüros auch andere Angebote: Bahnreisen etwa und Flüge mit den neuen Zeppelin-Luftschiffen.
Die Hapag wird zur größten Reederei der Welt
Ballin wird 1899 Generaldirektor und baut als dieser nach der Jahrhundertwende auch das boomende Frachtgeschäft aus und macht die Hapag so zur größten Reederei der Welt. Unter seiner Führung steigt das Aktienkapital innerhalb weniger Jahre von 15 Millionen auf 180 Millionen Mark. Beinahe 200 Seeschiffe befahren nun mehr als 70 weltumspannende Routen. Sie laufen rund 400 Häfen auf allen Kontinenten an. Und immer neue Dampfer lässt Ballin bauen, die zu den größten und schnellsten ihrer Zeit gehören, wie der "Imperator" und die "Deutschland".
Vom Hafenjungen zum Freund des Kaisers
Längst ist der arme jüdische Junge vom Hafenrand zu einem der bedeutendsten Manager des nach Weltgeltung strebenden Deutschen Reiches geworden, zum "Freund und Reeder des Kaisers", der ihn in jedem Sommer in seiner Villa an der Alster besucht. Der global agierende Ballin leitet häufig internationale Schifffahrtskonferenzen, wobei ihm seine früh erworbenen Englischkenntnisse zugutekommen. Sogar als möglicher Reichskanzler wird er nun gehandelt. Der berühmte Journalist Theodor Wolff urteilt später: "Es gab noch mehrere Selfmademen im wilhelminischen Deutschland, aber keiner stieg aus so ungünstigen Verhältnissen so hoch hinauf."
Der erfolgreiche Unternehmer betätigt sich auch als Mäzen, fördert die Wissenschaften und den gerade beginnenden Umweltschutz, unterstützt etwa eine große völkerkundliche Südsee-Expedition, den Vogelschutzverein Jordsand und den Naturpark Lüneburger Heide.
Die Schattenseiten des Erfolgs
Doch er hat auch Feinde. Den Nationalisten und Antisemiten gilt er als "jüdischer Großkapitalist", den Sozialisten als Klassenfeind. Er arbeitet rastlos, 16 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Krankheiten und Kuraufenthalte sind die Folge, auch der häufige Griff zu Medikamenten und Cognac. Stundenlang muss ihn seine Ehefrau Marianne, eine Hamburger Kaufmannstochter, in den Schlaf lesen.
Mit dem Krieg beginnt der Niedergang
Der Erste Weltkrieg trifft ihn hart. Jahrelang hat er sich um die deutsch-britische Verständigung vor allem in der brisanten Flottenaufrüstung bemüht. Nun liegen die Schiffe der Hapag untätig im Hafen, werden im Ausland interniert oder von der Marine beansprucht. Der weltumspannende Handelsverkehr ist zusammengebrochen. Ballins Versuche, Friedensverhandlungen zu vermitteln, scheitern 1917 mit dem uneingeschränkten U-Boot-Krieg. Auch den Kaiser zu politischen Reformen zu bewegen, gelingt ihm nicht.
Angesichts der Zerstörung seines Lebenswerks resigniert Ballin schließlich. Als auch in Hamburg die Revolution beginnt und meuternde Matrosen sein Kontor besetzen, vergiftet er sich mit Schlaftabletten und Quecksilberchlorid. Er stirbt am 9. November 1918 in einer Hamburger Klinik, zur selben Mittagsstunde, in der Philipp Scheidemann in Berlin die Republik ausruft.