Marodes Atommüll-Endlager Asse: Der lange Weg zur Räumung
Der 4. April 1967 markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der Schachtanlage Asse II bei Remlingen im Landkreis Wolfenbüttel. Noch bis 1964 wurde hier Steinsalz gefördert. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde der Abbau eingestellt. Dann wird die Asse zur Atommüllkippe: Im Bauch des Schachtes landen von nun an Uran, Plutonium und Arsen - insgesamt 125.787 Fässer und Gebinde mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen, dazu Chemiemüll. Für solch hochgiftige Stoffe würde man sich eine sichere Lagerstätte wünschen. Doch die Asse erweist sich in den folgenden Jahrzehnten als alles andere als das.
1965: Der Beginn des Elends Asse II
1965 hat der Bund das Gelände um das ehemalige Salzbergwerk gekauft und es zu einem sogenannten Versuchsendlager für Atommüll ausbauen lassen. In 13 Kammern wird der radioaktive Müll zwischen 1967 und 1978 eingelagert - wobei dieser Ausdruck schon fast beschönigend klingt: Baufahrzeuge kippen die Tonnen mit ihrem gefährlichen Inhalt teilweise einfach direkt in den Schacht.
Täglich rund 10.000 Liter Sickerwasser in der Asse
In den benachbarten Asse-Schächten I und III musste der Bergbau schon früher aufgegeben werden als in Schacht II - denn Grundwasser war in die unterirdischen Hohlräume eingetreten und hatte die weiteren Arbeiten dort unmöglich gemacht. Spätestens seit 1988 tritt auch in die Asse II Sickerwasser ein: Anfang Juli 2024 liefen durchschnittlich 10.000 Liter in den Schacht, das entspricht rund 50 Badewannen. Im Juni 2021 wurden zwischenzeitlich sogar mehr als 15.000 Liter gemessen. Wie sich der Wasserzutritt in Zukunft entwickeln wird, kann die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), die die Asse seit 2017 betreibt, nicht vorhersagen. Er kann sich jederzeit so verändern, dass ein sicherer Betrieb des Bergwerks nicht mehr möglich ist.
Einsickerndes Wasser überwiegend unbedenklich
Der überwiegende Teil der Flüssigkeit ist laut BGE radiologisch unbedenklich und wird von einem Chemieunternehmen abgenommen. Etwa 15 Liter am Tag gelten jedoch als kontaminiert. Ist die radioaktive Belastung vergleichsweise gering, verarbeitet die BGE diese Lösung in den tiefsten Bereichen des Bergwerks zu Beton. Dabei sei den Angaben zufolge aber sichergestellt, dass die in dem Beton enthaltenen radioaktiven Stoffe nicht mehr die Tagesoberfläche erreichen. Wenn die radioaktive Belastung stärker ist, wird die Flüssigkeit laut BGE als radioaktiver Abfall deklariert und an die Landessammelstelle des Landes Niedersachsen abgegeben. Das passiere jedoch selten und betreffe nur wenige Liter.
Wasser inzwischen in der Nähe von radioaktivem Müll
Seit Anfang des Jahres 2024 ging die Menge des aufgefangenen Salzwassers an der sogenannten Hauptauffangstelle in 658 Metern Tiefe zurück. Seit April 2024 steigt hingegen die gesammelte Salzwassermenge auf der darunter liegenden 725-Meter-Ebene deutlich an. Diese Ebene ist nur 25 Meter über der Lagerstätte von Tausenden Fässern mit schwach- und mittelradioaktivem Atommüll. Das an diesen beiden Stellen aufgefangene Wasser hat laut BGE keinen Kontakt zu den Abfällen und ist nicht radioaktiv belastet. Einen Anstieg der Salzwassermengen auf der Haupteinlagerungsebene in 750 Metern Tiefe zeigen die Messungen demzufolge bisher nicht.
Instabile Kammern - eingebrochene Decken
Als das Problem des einlaufenden Wassers Ende der 80er-Jahre bekannt wird, warnen Experten auch, dass einige Kammern bereits instabil und Zwischendecken eingebrochen seien - der Handlungsdruck liegt auf der Hand. Um weitere Einbrüche zu verhindern, werden offenstehende Hohlräume in der Südflanke des ehemaligen Bergwerks ab 1995 mit Haldensalz verfüllt. Doch das Ergebnis ist nicht zufriedenstellend, das ehemalige Bergwerk bleibt eine fragile Angelegenheit - ebenso wie das Risiko, dass die Behälter durch das Wasser beschädigt und radioaktive Stoffe freigesetzt werden.
AufpASSEn & Co.: Besorgte Bürger formieren sich im Protest
Die Bevölkerung in der Umgebung ist alarmiert und würde den Atommüll unter ihren Füßen am liebsten so schnell wie möglich wieder loswerden. Bürgerinitiativen wie zum Beispiel die Aktion Atommüllfreie Asse (AAA) aus Wolfenbüttel organisieren Protestaktionen, seit 2003 begleitet der Verein aufpASSEn e.V. die Arbeiten in der Asse kritisch und macht immer wieder auf die Probleme aufmerksam, die das Atommüll-Endlager den Menschen in der Region bereitet. Außerdem informiert der Verein über Weiterentwicklungen und fordert einen verantwortungsbewussten Umgang mit dem Atommülllager.
Marode Asse einer "der größten europäischen Problemfälle"
Im Jahr 2008 tritt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) auf den Plan und wird auf Initiative des Bundes und des Landes Niedersachsen Betreiber der Asse. Das Ziel: die sichere Schließung der Grube und die Bergung der Fässer. Derweil ranken sich auch Gerüchte um das ehemalige Bergwerk: Uranabfälle sollen hier lagern, die bei der Vorbereitung einer deutschen Atombombe angefallen seien. Auch Geschichten über Kadaver von Affen im Schacht sind in Umlauf: An ihnen sollen radioaktive Versuche vorgenommen worden sein.
Im Jahr 2009 startet ein Untersuchungsausschuss des Niedersächsischen Landtags zur Lage in Remlingen. Einer der geladenen Zeugen ist der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD). Er bezeichnet die Asse als einem "der größten Problemfälle, die wir in Europa haben". Es sei skandalös, dass die Atomindustrie ein Bergwerk - so "löchrig wie ein Käse" - für eine "Billigentsorgung" genutzt habe.
Wie schlimm ist es wirklich? 2012 wird die Asse angebohrt
Als CDU-Politiker Peter Altmaier 2012 den zurückgetretenen Norbert Röttgen als Bundesumweltminister ablöst, verspricht er, sich des Problem-Endlagers Asse II anzunehmen. Am 1. Juni, keine zwei Wochen nach seiner Ernennung, besucht er die Schachtanlage. Per Knopfdruck startet er die Anbohrung einer der Kammern, in denen radioaktiver Abfall lagert. Es ist eine Aktion zu Forschungszwecken, um den tatsächlichen Zustand des Atommülllagers und den Zustand der Fässer zu ermitteln. Der Umweltminister kündigt ein Sondergesetz für eine zügige Rückholung des Atommülls an.
Niedersachsen beschließt Asse-Räumung - "Lex Asse" folgt
Einstimmig beschließt der Niedersächsische Landtag am 19. Juli 2012, dass der eingelagerte Atommüll aus der maroden Schachtanlage Asse II entfernt werden muss. Im darauffolgenden Jahr wird die Rückholung auch im Atomgesetz verankert: Mit breiter politischer Mehrheit beschließt der Bundestag 2013 die "Lex Asse", das "Gesetz zur Beschleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle und der Stilllegung der Schachtanlage Asse II".
Muss Asse II bald absaufen?
2017 übernimmt die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) die Betreiberverantwortung für die Asse II vom BfS. Die BGE sieht derzeit keine Veranlassung das Bergwerk gemäß den Planungen für einen Notfall zu fluten. Dies würde nur dann umgesetzt, wenn der Salzwasserzutritt technisch nicht mehr beherrschbar ist. Das ist derzeit nicht der Fall. Die BGE plant weiterhin die Rückholung der radioaktiven Abfälle.
Bergung des Atommülls ab 2033
Die Bergung des Atommülls soll spätestens 2033 erfolgen. Bis zum Beginn der Bergung werden die Kosten auf rund 4,7 Milliarden Euro geschätzt. Doch wenn der Müll rauskommt - wo soll er dann hin? Neben einem Zwischenlager, das erst noch entstehen muss, braucht es vor allem eine sichere dauerhafte Lagerstätte. Und auch die ist noch lange nicht in Sicht.