NDR Maskottchen "Antje" kommt 2004 ins Museum
Prustend und schnaufend schwamm sich NDR Maskottchen "Antje" in die Herzen der Zuschauer. Für Pausenfilme zog die Walross-Dame ihre Bahnen und ließ sich ins Wasser fallen. Nach ihrem Tod ist sie seit 2004 als Präparat im Museum.
750 Kilo schwer, armlange Stoßzähne und trotzdem zum Knuddeln süß: So ist Walross "Antje", NDR Markenzeichen und Publikumsliebling des Hamburger Tierparks Hagenbeck, in Erinnerung geblieben.
Vom Nordpolarmeer nach Hamburg
"Antjes" langes Walross-Leben beginnt vermutlich am 25. Mai 1976 im Nordpolarmeer vor Russland. Dort wird sie später von Fischern eingefangen. Im Alter von sechs Monaten kommt sie über Moskau in den Tierpark Hagenbeck, wo sie den Namen "Antje" erhält. Kein Zufall, so der einstige Tierpark-Chef Claus Hagenbeck: "Meine Schwester Antje war als sechsjähriges Mädchen sehr proper. Das kleine Walross hat uns damals an sie erinnert." Tierpfleger Heino Susott päppelt "Antje" mit einem Babybrei aus Fisch, Lebertran und Sahne auf - und ist schon bald von ihr als Ersatz-Mutter akzeptiert. 22 Jahre lang, bis zu seinem Ruhestand 1998, kümmert sich Susott um "Antje". Regelmäßig verbringt er die Silvesternächte bei ihr und lenkt sie mit Musik von der Knallerei ab.
"'Antje' machte wunderbare Späße"
Schon früh entdeckt Susott das Show-Talent der Walross-Dame. Er lässt sie bei Fütterungen auf einer Mundharmonika blasen - zum Entzücken der Tierpark-Besucher. Auch der damalige Chef-Designer des NDR, Ivar Radovitz, ist begeistert von der jungen Walross-Dame, als er sie 1978 in Hagenbeck besucht. Der Tierpark liegt direkt neben der NDR Sendeanstalt in Lokstedt. "'Antje' machte wunderbare Späße", erinnerte er sich später. "Ich ging dann zum damaligen Programmdirektor und führte ihm pantomimisch vor, wie sich 'Antje' dort im Becken bewegte. Der führte das wiederum dem Intendanten vor." Kurz darauf erhält Radovitz die Genehmigung, das Walross in Begleitung eines Kameramanns erneut zu besuchen - der erste Pausenfilm mit "Antje" entsteht.
Wenn die Kinder sie riefen, kam "Antje" angeschwommen
Es ist der Startschuss für "Antjes" Karriere als Fernsehstar. Schon bald zieht sie regelmäßig für die NDR Pausenfilme ihre Bahnen - und erobert mit ihrem unvergleichlichen Charme die Herzen der NDR Zuschauer im Sturm. Unvergessen die Fernseh-Momente, in denen sich das Walross schnaufend und prustend auf den Rand seines Beckens zieht - nur um sich einen Augenblick später elegant nach hinten ins Wasser fallen zu lassen. Auch im Tierpark Hagenbeck ist "Antje" der Liebling der Besucher - und sie liebt die Besucher gleichermaßen: "Die Kinder standen am Beckenrand und riefen 'Antje, Antje!'. Dann kam sie immer angeschwommen", erinnerte sich NDR Fotografin Gita Mundry nach "Antjes" Tod. Susott hat das Walross oft fotografiert und beobachtet: "Sie hat die Menschen als ihre Herde betrachtet. Jeden Morgen hat sie auf die ersten Besucher gewartet und dann war alles gut."
Ein Walross als "Wappentier"
Anfang der 80er-Jahre zeigt Radovitz bei einem internationalen Workshop die "Antje"-Pausenfilme einigen Kollegen von der BBC. "Die waren begeistert. Sie meinten, man solle aus 'Antje' das machen, was der Löwe für die Metro-Goldwyn-Mayer-Studios ist", so der ehemalige Chef-Designer. Und so schlägt er dem NDR vor, "Antje" in das Sender-Logo zu heben. Ab 1983 ist "Antje" nicht nur offizielles Signet, sondern ziert auch in stilisierter Form das Logo des NDR. Das Walross als "Wappentier" ist beliebt und begehrt: Schon bald kleben Sticker mit dem Walross auf unzähligen Auto-Hecks, Schulranzen und Spinden.
Die "Ära 'Antje'" geht zu Ende
23 Jahre lang schmückt "Antjes" stilisiertes Konterfei das Sender-Logo. 2001 schickt der NDR das Walross in Rente. "Antje" passe nicht mehr zu dem Bild eines modernen Informationssenders, heißt es. Dennoch werde sie weiterhin einen wichtigen Platz im Sender einnehmen, verspricht der damalige NDR Intendant Jobst Plog. Geplant sei eine Zeichentrickserie mit "Antje" als Hauptfigur.
Und so erhält "Antje" schon bald prominenten Besuch: Kinderbuchautor und Illustrator Janosch kommt nach Hagenbeck, um sich einen Eindruck von dem lebendigen Original zu verschaffen, bevor er sich an die Arbeit für die Zeichentrick-"Antje" macht.
Zu dieser Zeit ist "Antje" längst in einem für Walrosse geradezu biblischen Alter. In freier Wildbahn werden die Tiere nur etwa 20 Jahre alt. Im Sommer 2003 kündigt sich an, dass es mit dem alten Dame langsam zu Ende geht. Nur noch träge dümpelt sie in ihrem Becken dahin. Der einst stolze Bart ist ihr ausgefallen. Ohne ihn können Walrosse in der freien Natur nicht überleben - sie brauchen ihn zum Gründeln und damit zur Nahrungssuche. "Antje" hingegen bekommt täglich Frischfisch und eine Spezial-Fischsuppe mit Vitaminen und Traubenzucker.
"Antjes" Tod: Besucher weinen, Politiker fordern Denkmal
Am 17. Juli 2003 findet Pfleger Dirk Stutzki "Antje" tot in ihrem Schlafgehege. Sie ist in der Nacht sanft entschlafen. Nur selten löst der Tod eines Zootieres ähnliche Betroffenheit aus: Der Tierpark Hagenbeck setzt die Flaggen auf halbmast, Zoobesucher weinen. Politiker fordern ein Denkmal für "Antje", andere wollen einen Platz in der Hafencity nach ihr benennen lassen. Schon kurz vor ihrem Tod hat Zoodirektor Carl Hagenbeck mit dem Zoologischen Museum vereinbart: "Antje" soll nach ihrem Tod präpariert werden und im Museum ausgestellt werden.
Blau und niedlich: Die Janosch-"Antje" geht auf Sendung
Während die echte "Antje" beim Präparator liegt, geht die Janosch-"Antje" erstmals auf Sendung. Im September 2003 startet die Zeichentrickserie "Antje & Friends". Für Fans des Originals ist das niedliche blaue Janosch-Walross allerdings etwas gewöhnungsbedürftig. Mit der gewichtigen Walross-Dame, die NDR Moderator Carlo von Tiedemann als "altes Schlachtross" bezeichnete, hat die Zeichentrickfigur nur wenig Ähnlichkeit. Dennoch: Die Janosch-"Antje" kommt vor allem bei Kindern gut an. Gemeinsam mit ihren Freunden Bär und Tiger besteht sie jede Menge Abenteuer.
"Antje" erhält einen Ehrenplatz im Museum
Die echte "Antje" "lebt" bis heute weiter. Seit dem 31. August 2004 hat sie einen Ehrenplatz im Zoologischen Museum. Die Präparation des Walrosses sei schwierig gewesen, so Daniel Bein vom Centrum für Naturkunde. An "Antjes" Todestag sei es sehr heiß gewesen, das habe der Haut geschadet. Bei Tieren, die im Wasser leben, zersetze sich die Haut deutlich schneller als bei Landtieren. "Antje" sei deshalb bereits in einem schlechten Zustand gewesen, als Präparator Klaus Zwonarz an ihrem Todestag mit seiner Arbeit begann. 13 Monate braucht er, um das Präparat fertigzustellen. Zwonarz strafft die Haut, ersetzt die fehlenden Barthaare. Und er stellt fest, dass "Antje" eindeutig ein Weibchen war - immer wieder hatte es über diese Frage Zweifel gegeben.
Heraus kommt eine deutlich verjüngte Walross-Dame - die ist auch nach ihrem Tod ein Publikumsliebling ist.