"Anleitung zum Traurigsein": Wie erträgt man den Tod seines Kindes?

Stand: 22.04.2024 15:51 Uhr

Wie kann man den Tod des eigenen Kindes bewältigen? Berni Mayer hat ein Buch darüber geschrieben. Seine Tochter Olivia ist vor mehreren Jahren gestorben - sie wurde gerade mal vier Jahre alt.

von Julia Schweinberger

Wie darüber sprechen - über das Nicht-Begreifbare? "Grade heute gehts mir ganz ok. Generell so mittel", sagt Berni Meyer. "Der 20. März ist der Todestag von Olivia. Das ist gewohnheitsmäßig eine heftige Woche. Und irgendwie ist es dieses Jahr noch heftiger, weil es der 5. Todestag ist. Es ist irre, zu denken, dass sie jetzt länger tot ist als sie lebendig war. Das hat uns alle ganz schön deprimiert."

"Wenn ich durchhänge, denke ich: Sei doch ein bisschen mehr wie Olivia"

Olivia: Balletttänzerin, Katy-Perry-Fan. Sie ist eineinhalb, da entdeckt man einen Gehirntumor. Er ist unheilbar, trotz Behandlung. Drei Jahre später stirbt sie. "Ich weiß nicht, ob sie von Natur aus immer so laut und aktiv war oder ob sie ein bisschen gespürt hat, dass sie alles rausholen muss aus ihrer relativ kurzen Zeit", erzählt Berni Meyer. "Sie war laut, sie war wild, sie war ganz gut in Humorsachen. Manchmal kam mir die fast sarkastisch vor. Irgendwas ganz Signifikantes wäre aus ihr geworden. Sie hätte Leuten später mal in den Arsch getreten. Sie ging jeden Tag mit voller Geschwindigkeit an! Ich finde das sehr bewundernswert. Da denke ich auch manchmal dran, wenn ich so durchhänge. Dann denke ich: Sei doch ein bisschen mehr wie Olivia."

"Anleitung zum Traurigsein" ist auch ein tröstliches Buch

Berni Mayer lebt in Berlin. In Niederbayern ist seine Heimat. Er schreibt schonungslos ehrlich: über das Scheitern seiner Ehe, Antidepressiva, Wellen der Trauer, die einen mitreißen. Und trotzdem: "Anleitung zum Traurigsein" ist ein tröstliches Buch.

Der drohende Tod eines Nächsten; des eigenen Kindes gar, ist eine Urangst. Angst davor, nicht zurecht zu kommen im Leben mit dem Verlust. Am Ende bleiben nur Erinnerungen. Schmerzhaft. Aber auch überlebenswichtig. "Es herrscht fast so eine jahrelange Magie der letzten Augenblicke, was sich natürlich noch mal verstärkt, wenn dann klar ist, es ist jetzt wirklich nur noch ein paar Monate", sagt Berni Meyer. "Der Tod lag schon jahrelang in der Luft, muss man sagen. Das macht Augenblicke ganz besonders schlimm - und auf eine komische Art und Weise manchmal auch besonders schön."

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Das Problem mit dem "Wenn was ist, melde dich!"

Berni Mayers Erzählung changiert zwischen konkreten Bewältigungsmaßnahmen und berührenden Geschichten. Da ist zum Beispiel Olivias Beerdigung an einem sonnigen Tag. Ihr Lieblingslied wird gespielt. Viele Freunde, Bekannte sind gekommen. Die Anteilnahme ist riesig. Es fühlt sich beruhigend an.

Doch dann passiert, was immer passiert: Alltag. Die anderen leben ihr Leben. Man selbst wird verschlungen, vom Abgrund. "Viele sagen: Du kannst mich jederzeit erreichen oder wenn was ist, melde dich. Aber - ohne Vorwurf - das ist Quatsch", so Berni Mayer. "Denn das verlangt dem Trauernden ab, zu urteilen, wann der Moment ist, wo ich mich mit Hilfe an jemand wende. An wen wende ich mich eigentlich? Wann mache ich das? Welche Uhrzeit? Was mache ich, wenn der nicht ans Telefon geht oder nicht zurückruft?". Das lege dem Trauernden eine Bürde auf, die man nicht braucht in der Trauerphase. "Viel einfacher: Jemand schreibt in absehbaren Abständen 'Hey, wie geht's dir?' Dann kannst du, musst aber nicht antworten, kannst sagen: beschissen. Oder du sagst: Lass doch mal telefonieren und dann ist der Impuls an den anderen ganz klar: Jetzt muss ich tätig werden."

Berni Mayer versteht die Trauer als Weggefährtin

Die Trauer, sie geht nicht weg. Und das ist okay. Berni Mayer versteht sie als Weggefährtin, die bleiben wird. Wahrscheinlich für immer. "Trotzdem hafte ich noch immer sehr an diesem Wunsch, dass irgendwann die Zeit kommt, in der alles leichter und besser wird. Irgendwie. Also ich komme mir fast kindisch vor, dass ich das nicht ablege. Aber ich glaube, das ist halt auch sehr menschlich. Vermutlich."

So ist das: Es gibt Schmerz, der nie (mehr) ganz vergeht. Aber Trost in der Untröstlichkeit finden, das geht. Wenn Berni Mayer das sagt, dann bleibt am Ende vielleicht doch so etwas wie Hoffnung.

Anleitung zum Traurigsein

von Berni Mayer
Seitenzahl:
224 Seiten
Genre:
Sachbuch
Verlag:
Dumont Buchverlag
Veröffentlichungsdatum:
14.112023
Bestellnummer:
978-3-8321-6085-2
Preis:
22 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur - Das Journal | 22.04.2024 | 22:45 Uhr

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Sachbücher