Dörte Hansen: "Altes Land"
Die Autorin Dörte Hansen kommt aus Nordfriesland, hat lange in Hamburg gewohnt und ist dann über die Elbe gezogen, ins Alte Land. Und genauso heißt auch der Debütroman der Journalistin: "Altes Land".
Apfelbäume soweit das Auge reicht
Apfelbäume bis zum Horizont, eine schnurgerade Linie kleiner, streng beschnittener Bäumchen. Das ist seit zehn Jahren der Blick aus Dörte Hansens Küchenfenster. "Ich glaub nicht, dass ich ein Buch geschrieben hätte, wenn ich in der Stadt geblieben wäre", erzählt Dörte Hansen. "Man muss schon was freiräumen, in sich und seinem Leben. Das Gefühl hatte ich. Und Freiraum ist das, was ich hier habe. Und ganz banal: Ich mach die Tür auf und ich gehe zwei Kilometer geradeaus und ich kann für mich sein. Die Gefahr ist andererseits, dass es ein bisschen zu leer ist, und man denkt, oh, jetzt könnte mal wieder ein bisschen Input kommen."
Hinterm Elbdeich trotzen hier stolz die riesigen, Jahrhunderte alten Bauernhäuser Wind und Regen. Prunkpforten laden ein in die akkurat gepflegten Gärten. Manchen der Höfe sieht man allerdings an, dass sie allmählich verfallen. Sie sind gemacht für eine Zeit, als noch Generationen zusammen in einem Haus lebten. Und in so ein Haus gerät Dörte Hansens Protagonistin Vera als kleines Mädchen, nach der Flucht aus Ostpreußen.
"Die Inschrift am Giebel war verwittert, aber Vera wusste, was da stand: Dit Huus is mien un doch nich mien, de no mi kummt, nennt't ook noch sien. Es war der erste plattdeutsche Satz, den sie gelernt hatte, als sie an der Hand ihrer Mutter auf diesen Altländer Hof gekommen war. Der zweite Satz kam von Ida Eckhoff persönlich und war eine gute Einstimmung gewesen auf die gemeinsamen Jahre, die noch kommen sollten. "Wovieel koomt denn noch von jau Polacken?" Leseprobe
Das Leben ist beides: ernst und heiter
Dörte Hansens Sprache ist genauso gewaltig wie die Geschichte, die sie erzählt. Wie sich die stolze Bäuerin Ida Eckhoff und Veras Mutter, die noch stolzere ostpreußische Sängerin, einen Kampf um die Vorherrschaft in diesem Haus liefern. Den Veras Mutter gewinnt. Zu einem hohen Preis. Die Kargheit, der Kummer, das Schweigen der Vertriebenen, das noch die Herzen der Generationen danach erkalten lässt: Das ist große Literatur und wirklich erstaunlich für einen Debütroman.
Daneben gibt es aber noch einen leichteren Erzählstrang: Über Veras Nichte Anne, die im Szenestadtteil Hamburg-Ottensen verzogenen Kleinkindern Flötenunterricht gibt. "Ich hab beim Schreiben gemerkt, dass es für mich nicht funktioniert, wenn ich nur diesen sehr ernsten Teil drin habe", erklärt die Autorin. "Ich wollte die Geschichte nicht so bleischwer machen. Und ich finde eigentlich, dass es ganz merkwürdig ist, dass man bei Büchern immer verlangt, dass sie das eine oder das andere sind. Das Leben ist ja auch nicht so."
"Heimat ist wie so eine Art Extrafell"
Heimatlosigkeit. Dieses Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die beiden unterschiedlichen Teile des Buches. Die verschrobene Einsiedlerin Vera, die als Kind auf der Flucht ihren Bruder erfrieren sieht und nie richtig im Alten Land-Leben ankommt. Und ihre Nichte Anne, die erst aus der Musik vertrieben wird, von ihrem kleinen Bruder, der sich als Wunderkind entpuppt, und dann von der Geliebten ihres Lebensgefährten aus der gemeinsamen Wohnung. Mit ihrem kleinen Sohn findet sie auf Veras Hof Unterschlupf. Und Ruhe.
"Ich hab das Gefühl, Heimat ist wie so eine Haut, eine Art Extrafell, das wärmt", sagt Dörte Hansen. "Wenn man das nicht hat, dann überlebt man auch, aber man ist verletzlicher und kühlt leichter aus. Und bei mir läuft das viel über Sprache. Wenn ich um mich herum Leute platt sprechen hör, dann fühl ich mich automatisch ein bisschen mehr zuhause.
Ein Debütroman ohne Bauerntheater
Dörte Hansen kommt vom Land. Mit ihrer Tochter und ihrer Familie spricht sie platt. Die Idee zu ihrem Debütroman kam ihr, weil sie sich über die Schwemme von Romanen geärgert hat, die das Landleben romantisieren. "Das Land war da immer der große Sehnsuchtsraum, und es wurden immer diese putzigen, netten, etwas schofeligen, aber liebenswerten Landmenschen beschrieben, und ich hatte das Gefühl, dass da so eine Art Bauerntheater entsteht. Und ich hab mich gefragt, was denken eigentlich die Landmenschen, wenn diese Stadtmenschen kommen und über sie Bücher schreiben?"
Dieser Roman ist wohltuend anders. Keine Romantik. Klischeefrei. Starke, knorrige Charaktere. Eine Geschichte, die lange nachklingt, wie das Ächzen und Knarren in dem großen dunklen Bauernhaus.
Altes Land
- Seitenzahl:
- 288 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Knaus
- Bestellnummer:
- 978-3-8135-0647-1
- Preis:
- 19,99 €