"Unsere Meere. Nord- und Ostsee": Ein aufrüttelnder Bildband
Der Hamburger Naturfilmer Thomas Behrend hat sich für die ARD mit den Gewässern vor Deutschlands Küsten beschäftigt: der Nord- und Ostsee. Zu dem vierteiligen Film ist auch ein Bildband erschienen, der ehrlich und schön zugleich ist.
Große Herzklopfmomente; entzückende Babyspiele; tragische Unglücke mit Todesfolge; Augenblicke von Glück und Leichtigkeit - alles dies spielt sich tagtäglich in unseren Meeren ab: in Nord- und Ostsee. Und zwar unbeobachtet, ungesehen von menschlichen Blicken.
Tauch-Experten sorgen für Aufnahmen aus nächster Nähe
Es sei denn, ein Filmteam kommt vorbei, wie das von Thomas Behrend. Der allein bringt schon drei Jahrzehnte Erfahrung als Naturfilmer mit und hat dabei mehr als 100 Filme gedreht. Doch diesmal hat er ein ganz neues Team bei sich - mit Spezialisten: den zwei Apnoetauchern Manuel Spescha und Martina Andrés. Sie tauchen ohne Sauerstoffflasche; nur ein einziger Atemzug, und runter.
"Man ist leise, man macht nicht diese lauten Luftblasen", erklärt Andrés. "Und man ist auch beweglicher, man ist schneller, es ist sehr viel natürlicher. Man bewegt sich unter Wasser fast wie ein Tier. Und man verschmilzt so ein bisschen mit der Umgebung. Die Tiere sind dann viel zutraulicher und lassen sich nicht so stören."
Wie die Seehundbabys in der Ostsee rund um Anholt. Wenn irgendein Foto das Kindchenschema erklärt, dann dieses: die knuddelig runde graue Schnauze mit dem dreieckigen Nasenspiegel, die schwarzen Kulleraugen, dazu eine tapsige Vorderflosse wie eine große Hundepfote. Süßer geht es einfach nicht.
Solche Aufnahmen aus nächster Nähe waren nur möglich, weil Martina Andrés lautlos und luftblasenfrei tauchen kann.
Thomas Behrend will aufrütteln
Dabei bietet der Fotoband bei weitem nicht bloß Postkarten-Tierbaby-Motive: Behrend möchte eben nicht eine Naturidylle verkaufen, wo keine mehr ist. Sondern im Gegenteil aufrütteln und zeigen, was die Menschheit mit ihrem Lebensstil gerade vernichtet.
So wie auf Helgoland, wo die Basstölpel ihre Nester an den Klippen nicht mehr nur aus Algen bauen, sondern auch aus Fasern und Plastikschnüren von zerfetzten Fischernetzen. "Die holen sich Netzreste, um ihre Nester zu bauen, aber die verfangen sich immer wieder. Wir haben jeden Tag die Elterntiere oder auch die Jungen gesehen, wie sie sich stranguliert haben, wie sie letztendlich vor unseren Augen verdurstet und verendet sind. Das sind Bilder, die kriegst du aus dem Kopf nicht wieder raus."
Spektakuläre Bilder und spannende Hintergrundgeschichten
Die Bilder in dem Buch, das die vierteilige Naturdoku begleitet, sind schlichtweg spektakulär: ein Trupp startender Papageitaucher an einem Grashang, in panischer Flucht vor Raubmöwen. Ein kleiner Katzenhai, geschlängelt wie der Buchstabe S, über einer Algenwiese auf dem Grund der Nordsee; sein rechtes Auge scheint zu der Fotografin zurückzublinzeln, sie unauffällig zu beäugen. Das Eiderentenküken unter dem ausgestreckten goldbraunen Flügel der Entenmutter; lediglich die glänzende Schnabelspitze und zwei kleine Augmurmeln lugen hervor, um ins grüne Blattwerk vor dem Nest zu schauen.
Erfreulich gut lesbar sind dazu die Texte zu den vierzehn einzelnen Kapiteln, je sieben pro Meer. Man erfährt Hintergrundgeschichten von den Dreharbeiten, liest von den Nöten der Filmemacher, wenn sie Katastrophen im Tierreich beobachten, eingreifen möchten und doch wissen, dass sie den Lauf der Natur nicht stören dürfen. Oder aber schlicht machtlos sind gegen die tödlichen Folgen menschlicher Gedankenlosigkeit und Bequemlichkeit.
So ist das Buch ehrlich und schön zugleich. Es verhindert Märchenglauben an eine intakte Tierwelt. Und zeigt doch auch, wie überwältigend schön die scheinbar bekannten, wenig exotischen Meere Nord- und Ostsee direkt vor unseren Haustüren sind - ein schutzbedürftiges nordeuropäisches Paradies.
Unsere Meere. Nord- und Ostsee
- Seitenzahl:
- 240 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Frederking & Thaler
- Bestellnummer:
- 978-3-9541-6405-9
- Preis:
- 35,99 €